Ferrari F355 Spider:Eine reine Gefühlssache

Überaus gelungene Melange aus professioneller Funktionalität und dezenter Extravaganz

(SZ vom 03.09.1997) Jeder, der einmal die Führerscheinprüfung bestanden hat, behauptet von sich, mehr oder minder gut Auto fahren zu können. Und bei den heute doch recht ordentlichen Getrieben und Schaltungen, findet der Fahrer auch bei einem neuen Auto zumeist auf Anhieb den richtigen Gang. Wer jetzt vermutet, daß es aber auch bestimmte Automobile gibt, bei denen das nicht immer so ist, der ist auf der falschen Fährte. Deshalb sollte man - und das schon einmal vorweg - in einem handgeschalteten Ferrari nicht so schalten und walten, wie man es von sonstigen Autos gewohnt ist.

Der Sechsgangschaltung eines F355 Spider etwa muß man - Ferrari-typisch - den kleinen Kick abringen, um in einen anderen Gang zu schalten. Dabei ist besonders bei kaltem Motor einiges Fingerspitzengefühl vonnöten. Aber auch mit wohltemperiertem Triebwerk empfiehlt es sich das Zartgefühl anzuwenden, das ein passionierter Philatelist einer Blauen Mauritius angedeihen ließe - wenn er sie einmal in die Finger bekäme. Und genau diese Fähigkeit ist es, was den wahren Ferraristi an seinen Wagen bindet.

Ohne Übertreibung kann der V8-Mittelmotor als technisches Sahnestückchen bezeichnet werden, der nicht nur mit einem wunderbaren Klang begeistert, sondern auch mit supersportlichen Fahrleistungen: Aus 3,5 Liter Hubraum werden hier 280 kW oder 380 PS an die Räder gebracht. Nach 4,7 Sekunden hat man die 100-km/h-Marke passiert, und erst bei 295 Stundenkilometern endet der Vortrieb. Natürlich kann der zweisitzige Spider diese Papierwerte auch in die Realität umsetzen - allerdings gilt auch beim F355 Spider das, was für alle Cabriolets dieser Welt mit geöffnetem Verdeck gilt: Das größte Vergnügen verspürt der Pilot beim gemütlichen Dahingleiten über die Landstraßen.

Apropos Verdeck: Das Dach läßt sich halbautomatisch öffnen - das heißt, es wird mit der Hand entriegelt, und ab einer gewissen Position reicht dann ein Knopfdruck aus, um das Verdeck verschwinden zu lassen. Offen kommt auch die schnittig markante Form der Karosserie noch besser zur Geltung als im geschlossenen Zustand. Zudem fällt dann auch den vielen neugierigen Betrachtern der Blick auf das feine Interieur deutlich leichter.

Handarbeit in Perfektion

Vom serienmäßigen Ledergeruch umhüllt findet man in den sportlich geschnittenen Sitzen perfekten Halt und eine bequeme Reiseposition. Die viele Handarbeit, die dort - im besten Sinn des Wortes - noch immer zum Einsatz kommt, bemerkt man an den feinen Stichnähten der Lederverkleidungen des Armaturenträgers und der Türen. Der Fahrerplatz selbst zeichnet sich durch eine gekonnte Mischung aus Funktionalität ohne übertriebene Spielereien und dezente Extravaganz ohne Protzigkeit aus.

Einfach schön und überaus ästhetisch ist auch die Mittelkonsole gestaltet. Die Führung der Schaltung ist aus mattem Aluminium, ebenso wie der Schalthebel. So entsteht beim Gangwechesel ein metallisches Reibegeräusch - so als würde ein Glöckchen daran erinnern wollen, beim Schalten möglichst viel Vorsicht walten zu lassen.

Bequemlichkeit ist eigentlich kein Thema für einen Ferraristi, es sollte aber nicht unerwähnt bleiben, daß sich das straffe Fahrwerk, das auch bei hohen Geschwindigkeiten eine traumhaft gute Sicherheit bietet, auf längeren Strecken mit dem Rücken anlegt. Und weil jeder Ferrarifahrer auch seinen Motor hören will, macht sich dieser auch im Innenraum deutlich bemerkbar. Dabei dominiert aber nicht ein nervtötender schriller Ton, wie er bei so manchen hochgezüchteten Pseudo-Sportwagen aus dem Auspuff röhrt, sondern ein voller - zugegeben lauter - Klang, wie ihn Sounddesigner nicht besser hätten komponieren können.

So viele Unannehmlichkeiten bei einem Auto, das 228 000 Mark kostet? Da aber bekanntermaßen alles relativ ist, treten für den wahren Ferraristi solche banale Begründungen in den Hintergrund. Aber eben diese Kleingkeiten sind es auch - neben dem Mythos der Rennwagen, der ausgefeilten Technik und den gewaltigen Fahrleistungen -, die einen Ferrari von einem normalen Automobil unterscheiden und welche die Faszination dieser italienischen Sportwagen ausmachen: eben alles reine Gefühlssache.

Von Marion Zellner

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