Fahrrad im Test:Kabellos schalten

Mit der Red-Etap-Gruppe von Sram können Rennradfahrer nun per Funkübertragung die Gänge wechseln.

Von Sebastian Herrmann

Es ist dringend notwendig, den technischen Fortschritt in der Welt mit Hilfe einer neuen Einheit messbar zu machen. Sonst verliert man den Überblick. Also folgender Vorschlag: Künftig bemessen wir den Fortschritt in der Einheit LG/SchQM - also Ladegeräte (LG) pro Schubladenquadratmeter (SchQM). Dank Handys, Smartphones, elektrischen Zahnbürsten und unzähligen anderen Geräten mit aufladbaren Akkus stapeln sich über die Jahren in diversen Schubladen stetig steigende Mengen von Ladekabeln, wobei die Erinnerung nicht immer ganz frisch ist, zu welchem Gerät sie einst gehörten.

Die Elektrifizierung des Fahrrads - unbestreitbar ein technischer Fortschritt - fügt dem Kabelgewirr nun weitere Verwicklungen hinzu. Pedelecs und E-Bikes müssen aufgeladen werden und auch echte Fahrräder werden zunehmend mit elektrischen Schaltungen ausgeliefert, deren Akkus etwa alle 1000 Kilometer ans Netz müssen. Den Anfang hat Shimano mit seiner elektrischen Schaltung Di2 gemacht, Sram und Campagnolo haben nachgezogen. Der Hersteller Sram ist nun einen Schritt - beziehungsweise ein LG/SchQM - weitergegangen und bietet eine kabellose Funkschaltung für Rennräder an. Das klingt sehr nerdig, aber der Erfolg der Di2-Schaltgruppen von Shimano haben bewiesen, dass sich die elektrisch betriebenen Gangwechsler an den Rennern längst ihre einstige Nische verlassen haben.

Die Sram Red Etap wirft nun also ein weiteres Ladegerät in die Welt, schafft dafür aber Kabel ab, die ansonsten am oder im Rahmen des Rennrads verlegt werden müssten. Verbaut ist die Schaltgruppe in diesem Fall am Testrad AR1, einem aerodynamisch optimierten Rennrad von Felt aus der enorm gehobenen Preisklasse.

Sowohl am Umwerfer am vorderen Kettenblatt als auch am Schaltwerk am hinteren Ritzelpaket befindet sich je ein kleiner Akku, die beide abnehmbar sind, um sie aufzuladen. Räder mit Shimanos Di2 müssen in der Nähe einer Steckdose stehen, wenn sie aufgeladen werden, da sich der Akku im Sattelrohr befindet und das Ladekabel am Steuergerät am Lenker eingesteckt werden muss. Das ist manchmal unpraktisch, etwa wenn in einer Hotelgarage keine Steckdose aufzutreiben ist. Dieses Problem ergibt sich mit der Etap nicht, dafür kann man nun darüber nachdenken, ob man die Akkus nicht jedes Mal abmontieren sollte, wenn das Rad irgendwo angeschlossen ist, damit sie keiner klaut.

Felt AR1Das modernste Schaltwerk der Welt: Die Schaltbefehle werden per Funk übertragen. Das Schaltwerk verfügt über einen eigenen Akku, so dass keinerlei Kabel nötig ist.

Am mit 7999 Euro absurd teuren Rennrad AR1 von Felt fehlen die Kabel für die Schaltung. Die Befehle überträgt der Fahrer vielmehr per Funk.

(Foto: Paul Masukowitz)

Die Schaltung selbst begeistert, weil ihre Bedienung so bestechend simpel ist. Mit dem Schalter am linken Bremsgriff wechselt das System in einen leichteren Gang, einmal auf den rechten Hebel gedrückt, springt die Kette in einen schwereren Gang. Bleibt der Finger auf dem Hebel, dann wechselt das System rasch durch mehrere Gänge. Um die Kette vorn vom großen auf das kleine Blatt oder umgekehrt zu schalten, werden beide Hebel gleichzeitig gedrückt: Dann surrt der kleine Motor am Umwerfer und wechselt in jene Position, die gerade nicht eingestellt war. Das ist derart einleuchtend, dass man sich nach kurzer Eingewöhnung fragt, weshalb nicht alle Rennradschaltungen auf diesem Planeten nach diesem System funktionieren. Zugleich, aber das ist jetzt wirklich irgendwie nerdig, springt bei Sram die Kette zackiger durch die Gänge, während Shimano die Kette eher geschmeidig über die Ritzel gleiten lässt. Das ist Geschmackssache, doch dem Tester bereitet es große Freude, wenn die Gänge wie präzise Schläge wechseln.

Die fehlenden Kabel lassen das Rad sehr clean erscheinen. Die Bremszüge sind im Rahmen verlegt und bis auf einige Zentimeter zwischen Lenker und Oberrohr ist das Felt komplett aufgeräumt. Auf den ersten Blick wirkt das nackt oder unfertig, auf den zweiten puristisch und edel. Die gesamte Red-Etap-Gruppe - Brems-Schaltkombinationen, Kurbel, Ritzelpaket, Kette und Umwerfer - kosten um die 2200 Euro. Das ist sehr viel Geld, allerdings auch für sehr gute Technik.

Die Sender befinden sich in den Köpfen der Schaltbremsgriffe und werden von kleinen Batterien betrieben, die laut Hersteller nach etwa zwei Jahren ausgetauscht werden müssen. Wie empfindlich die Technik ist? Sagen wir es so: Hoffentlich fällt das Rad nicht um, wenn man es in einer Pause anlehnt und kracht dabei auf die Hebel. Natürlich sollten diese das aushalten, aber das will man lieber doch nicht auf die brachiale Weise ausprobieren.

Wie lange so eine elektrische Schaltung hält, ist eine andere grundsätzliche Frage. Sagen wir so: Es ist schwerer vorstellbar in 30 Jahren auf Radflohmärkten alte funktionstüchtige E-Schaltungen zu bekommen als gängige mechanische Varianten. Trotzdem wird es wohl nicht mehr lange dauern, bis die Etap-Technik nicht mehr nur in High-End-Rädern, sondern auch an Rennrädern der Mittelklasse verbaut werden wird.

Felt AR1Das modernste Schaltwerk der Welt: Die Schaltbefehle werden per Funk übertragen. Das Schaltwerk verfügt über einen eigenen Akku, so dass keinerlei Kabel nötig ist.

Das Schaltwerk hinten verfügt über einen eigenen Akku.

(Foto: Paul Masukowitz)

Das Felt AR1, das die Etap-Gruppe antreibt, ist ein aerodynamisch optimiertes Rennrad, das absurde 7999 Euro kosten soll - je nach Ausstattung. Das Unterrohr ist breit und flach, im Sattelrohr gibt es eine kleine Aussparung, damit das hintere Laufrad noch weniger Luftwiderstand erzeugt. Und auch die Carbon-Sattelstange ist breit, auf dass der Wind vorbei strömen kann. Angesichts optisch derart dominanter Aero-Carbon-Komponenten, wirkt der schmale Alu-Lenker billig und fehl am Platz. Auch der schwarzglänzende Vorbau passt nicht zum matten Rahmen, ebenso die silbernen Bremsen, die dem Rad in Schwarz besser gestanden hätten.

Die Carbon-Laufräder von Knight mit einigermaßen hohen Flanken sind leicht sowie schnell. Sie haben nur einen Nachteil, den sie jedoch mit den meisten Laufrädern aus Carbon teilen: Die Wirkung der Felgenbremsen ist teils miserabel, besonders wenn es nass ist; dann kostet es Kraft, das Tempo zu reduzieren, und so richtig dosierbar ist die Bremswirkung dann nicht. Aber auch dieses Problem werden Ingenieure sicherlich eines Tages lösen - und es ist nicht abwegig, dass sie dabei ein neues Ladegerät in den Alltag des modernen Menschen bringen werden. Der Fortschritt ist ja nicht aufzuhalten.

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