Fahren ohne Fahrer:Computer am Steuer ist noch ungeheuer

Autonome Autos sind auf dem Weg von der Utopie zur Realität. Bis zur Serienreife werden noch Jahre vergehen. Doch dann beginnt erst das eigentliche Problem, der Kampf um die gesellschaftliche Akzeptanz der Technologie.

Moritz Koch

Die Geisterhand sitzt oben auf dem Autodach, eingezwängt in eine Büchse aus Metall. Das Konstrukt sieht seltsam aus - wie eine fahrende Kaffeemühle. Tatsächlich aber handelt es sich um ein Hightech-System, das den Straßenverkehr revolutionieren könnte: Die Metallbüchse soll Autos ohne Fahrer ans Ziel bringen, vorbei an Staus und Unfallstellen, sicher, pünktlich, spritsparend. Wie von Geisterhand geführt.

Google, Roboter-Autos, self-driving-cars, Kalifornien

Im US-Bundesstaat Nevada dürfen die Google-Autos öffentliche Straßen benutzen - aber nur, wenn ein Fahrer an Bord ist, der bei Bedarf eingreifen kann.

(Foto: dpa)

Das "autonome Auto", wie es in Fachkreisen genannt wird, klingt nach Science-Fiction, doch auf den Straßen von Nevada ist es schon Realität. Seit ein paar Wochen dürfen die Bordcomputer dort das Steuer übernehmen, nicht nur auf einer Teststrecke, sondern im normalen Berufsverkehr. Der Führerschein für die Geisterhand ist ein Novum in der amerikanischen Verkehrsgeschichte. Einzige Bedingung der Behörden Nevadas ist die Präsenz eines menschlichen Beifahrers, der einspringen soll, falls die Systeme verrückt spielen. Ein Tritt auf die Bremse oder eine Bewegung des Lenkrads genügt, um den Autopilot auszuschalten.

Hinter dem Projekt stehen Ingenieure aus dem Hause Google, allen voran der deutsche Computerwissenschaftler Sebastian Thrun. Als 18-Jähriger verlor Thun seinen besten Freund bei einem Autounfall. Er entschloss sich, den Rest seines Lebens darauf zu verwenden, gegen den tödlichen Alltag auf den Straßen anzukämpfen. Thrun studierte in Hildesheim und Bonn, dann wanderte er nach Kalifornien aus. Dort lehrt er an der Universität Stanford und widmet sich als Google-Fellow den Forschungsarbeiten am autonomen Auto.

GPS-Ortung statt menschlicher Sinnesorgane

Acht Prototypen aus den Laboratorien des Technologiekonzerns haben nun in Nevada eine Zulassung erhalten. Sechs Toyota Prius, ein Audi TT und ein Lexus RX 450h. In allen Fahrzeugen übernehmen Lasersysteme und GPS-Ortung die Rolle der menschlichen Sinnesorgane. Computerprogramme verarbeiten die Datenströme und lenken die Google-Mobile durch den Wüstenstaat, dessen weitläufige, kaum befahrene Straßen ein geeignetes Übungsterrain bieten.

Sogar ein eigenes Kennzeichen für die autonomen Autos gibt es in Nevada schon. Eine liegende Acht, das Symbol für Unendlichkeit, auf einem roten Hintergrund, dazu der Schriftzug: "Autonomous Vehicle". Bruce Breslow, der Chef von Nevadas Zulassungsbehörde, findet das Unendlichkeitssymbol würde am besten passen zum "Auto der Zukunft". Aber macht sie wirklich das Auto der Zukunft aus, die auf dem Dach aufmontierte Geisterhand?

Es ist kaum vorstellbar, dass Autokäufer in ein paar Jahren bereit wären, auf computergesteuerte Autos umzusteigen. Viele Menschen beschleicht ein ungutes Gefühl, wenn die eigene Möglichkeit zur Kontrolle der versprochenen Sicherheit eines IT-Systems geopfert wird. Und selbstverständlich verlöre Autofahren die emotionale Qualität, auf die Konzerne in ihrer aufwendig produzierten Werbung so gerne abheben.

Autonomes Fahren: das Ende aller Unfälle?

Solche Fragen beschäftigen Thrun nicht. Für ihn geht es vor allem um eines: die Sicherheit. Im Autoland Amerika sterben jedes Jahr 30 000 Menschen im Straßenverkehr. Und menschliches Versagen ist mit großem Abstand die Unfallursache Nummer eins. Bei einer Testfahrt der Google-Autos im Jahr 2010 sagte der damalige Konzernchef Eric Schmidt, es sei bedauerlich, dass das Automobil vor dem Computer erfunden wurde. "Das Auto sollte sich selbst fahren. Ich finde es erstaunlich, dass wir Autos von Menschen fahren lassen." Doch so leicht wird Schmidt die Bedenken gegen die neue Technologie nicht ausräumen können. Die Akzeptanz-Probleme sind gewaltig. Menschen vertrauen eben lieber ihren eigenen Fähigkeiten; das Gefühl, sich einem Computersystem auszuliefern, schürt hingegen Angst. Genau diese Angst ist es, die auch die Vorbehalte gegen selbstfliegende Flugzeuge nährt, über die schon seit Jahren diskutiert wird. Dabei ist längst bewiesen, dass die meisten Unfälle auf menschliches Versagen zurückgehen, in der Luftfahrt genauso wie im Straßenverkehr.

Eine vielleicht noch wichtigere Hürde für die Einführung der neuen Technologie als die psychologischen Vorbehalte gegen Computer ist der Einwand, dass führerlose Fahrzeuge im Straßenverkehr enorme Verwirrung stiften würden. Beispielsweise an Kreuzungen, an denen Menschen ihr Fahrverhalten oftmals nach Zeichen anderer Fahrer richten.

Sie geben einander Signale, eine Handbewegung, ein Blick in die Augen reicht zur Verständigung. Menschen wissen, wie sich andere Menschen orientieren. Was in einem Computer vor sich geht, wissen sie nicht. Dieses Problem ließe sich nur lösen, wenn alle Autos auf Autopilot umstellen würden - was einstweilen noch vollkommen unrealistisch erscheint. Doch vielleicht werden die Vorteile autonomer Verkehrsmittel die Skeptiker irgendwann überzeugen, schließlich gehen sie über den Sicherheitsaspekt hinaus. Computersysteme im Auto dienen schließlich auch dem Umweltschutz. Die Programme lassen sich so einstellen, dass sie den Spritverbrauch minimieren. Anders als mancher menschlicher Fahrer haben die Bordcomputer keine Freude an heulenden Motoren und quietschenden Reifen. Und auch darum geht es: um verlorene Zeit. Staus sind eine massive Produktivitätsbremse in modernen Volkswirtschaften. Stunden, die für die Arbeit genutzt werden können, verstreichen mit stumpfsinnigem Warten, wenn wieder mal eine Unfallstelle die Autobahn blockiert.

Die Autohersteller implementieren autonome Systeme Schritt für Schritt in ihre Fahrzeuge

Darum forschen auch andere am selbstlenkenden Auto. Volvo etwa hat eine eigene Abteilung für autonomes Fahren eingerichtet und kürzlich in Spanien einen selbstfahrenden Konvoi auf die Straße geschickt. Nur den ersten Wagen, einen Lkw, lenkte ein menschlicher Fahrer, die restlichen Fahrzeuge verarbeiteten die Daten, die der führende Lastwagen über eine Funkverbindung übertrug und richteten ihr Fahrverhalten danach aus. Der Konvoi gelangte ohne Zwischenfälle ans Ziel.

Viele Systemkomponenten, die autonome Autos steuern, gehören inzwischen schon ins Repertoire gehobener Mittelklassewagen. Hersteller wie Honda, Toyota, Ford, VW und Audi bieten Spurassistenten an, die unkonzentrierte Fahrer warnen, wenn das Auto die Spur verlässt. Tempomaten mit automatischer, radarbetriebener Abstandsregelung sind bei vielen Modellen bereits Standard. Ebenso die Notfallbremssysteme, die einen drohenden Unfall selbständig erkennen und eine Vollbremsung einleiten. Am weitesten wagt sich die General Motors Premiummarke Cadillac vor in die Gefilde der künstlichen Intelligenz. "Supercruise" nennt sie ihr neuestes Verkaufsargument. Es kann nicht nur die Spur, sondern auch einen konstanten Abstand zum Vordermann halten, selbst bei zähflüssigem Verkehr.

Die selbststeuernden Testmodelle, die nun über die Straßen von Nevada rollen, sind auch für den Internetkonzern Google keine Spielerei. Sie sind vielmehr ein Zwischenschritt bei der Verwirklichung einer Geschäftsidee, bei der die bekannten Stärken der Suchmaschinenfirma eine große Rolle spielen sollen - Suche, Navigation und Werbung. Das selbstfahrende Auto ist in erster Linie eine Demonstration der Fähigkeiten, zu der künstliche Intelligenz mittlerweile im Stande ist. Zwar sind die Aussichten gering, dass das autonome Google-Mobil demnächst in Serienproduktion ginge. Der Computerkonzern kann aber darauf hoffen, Technologien und Patente an Autohersteller zu verkaufen. Sebastian Thrun, der deutsche Google-Forscher, treibt diese Entwicklung seit Jahren voran. Da die Computertechnik sich viel schneller entwickelt als die des Automobils wird spannend zu sehen sein, wohin ihre Verbindung einmal führen wird.

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