Fahrbericht Mercedes S 400 CDI L:Der fliegende Teppich

Lesezeit: 3 min

Wenn unter der Haube des S-Klasse-Mercedes der 4,0-Liter-Turbodiesel schnurrt, wird jede Fahrt zum Vergnügen.

Michael Harnischfeger

Szenen einer Testfahrt: Der Fahrtwind streicht kaum hörbar um die Außenspiegel. Ein Blick auf den Tacho: Ach ja, 180 sind es momentan. Eine gute Reisegeschwindigkeit, denn nichts, aber auch gar nichts strengt den Fahrer bei diesem Tempo an. Zwei Tonnen Auto sind unterwegs von A nach B, umsorgen die Passagiere und den Steuermann vorn links wie ein Luxusdampfer seine First-Class-Passagiere. Die Sitze surrten auf Knopfdruck in Position, heizen oder belüften nun je nach Wunsch Oberschenkel und Rücken sowie das, was dazwischen liegt. Die Klimaanlage hüllt jeden Passagier in seine Wunschtemperatur, denn natürlich lässt sie sich für jeden Platz individuell regeln.

Cruisen mit Tempo 180 - im S 400 strengt nichts an. (Foto: Foto: Mercedes-Benz)

Mehr Raum für die Herrschaften bietet kein Mitbewerber, denn weder Audi A8 noch Siebener BMW sind mit langem Radstand erhältlich, wenn unter ihrer Haube ein großer V8-Turbodiesel nuschelt.

Multimedia im Fond

Wer Platz nimmt im Fond des langen Mercedes, kann auf hölzernen Klapptischen Laptops öffnen, Papiere ausbreiten oder Bilanzen schließen. Ist der Frust zu groß, hilft vielleicht das Fernsehprogramm. Der kleine Monitor zwischen den Vordersitzen liefert zwar nicht immer gestochen scharfe Bilder. Doch um die aktuellen Nachrichten abzurufen, im Videotext die Börsenkurse zu studieren oder sich an einem Comic zu erfreuen, reicht die Bildqualität.

Verglichen mit bürgerlichen Mittelklasse-Vertretern wirken diese Limousinen wie die Villa gegenüber der Eigentumswohnung. Die Zimmer sind großzügiger geschnitten, Parkett oder Marmorboden sind spür- und sichtbar von besserer Qualität, und die Türen fallen mit jenem satten Klang ins Schloss, der Massivholz von furnierten Hohlkonstruktionen unterscheidet. Hier spielt Geld keine Rolle, sollte man denken.

Perfekt abgestimmte Diesel-Power

Das tut es eigentlich auch nicht, denn die meisten S-Klasse-Mercedes dürften wohl als Geschäftsfahrzeug geleast werden. Dennoch macht die S-Klasse mit dem großen Achtzylinder-Diesel mittlerweile einen nicht unwesentlichen Teil der Verkaufszahlen aus.

Denn es hat sich wohl herumgesprochen, dass der vier Liter große Common-Rail-Diesel, den zwei Turbolader mit variabler Schaufelgeometrie auf Trab bringen, zu diesem knapp zwei Tonnen schweren Auto passt wie der dunkle Dreiteiler zum Banker.

Mit der Macht von 560 Newtonmetern treibt er den Zweitonner so unangestrengt voran, als existiere das Gesetz von der Trägheit der Masse nicht. Dabei spielt sich alles nervenschonend bei niedrigen und mittleren Drehzahlen ab. 180 km/h im fünften Gang der zumeist samtweich schaltenden Automatik entsprechen 3000 Touren, 210 gerade einmal 3500.

Selbst bei der Höchstgeschwindigkeit von 250 km/h ist das Triebwerk noch weit entfernt vom roten Bereich, der erst jenseits der 4500 Umdrehungen beginnt. So ist das Fahrerlebnis in erster Linie geprägt von einer schier unerschöpflichen Kraft, die einher geht mit perfektem Geräuschkomfort. Der fliegende Teppich muss Pate gestanden haben bei der Entwicklung dieses Autos.

Manchmal ruckts beim Gangwechsel

Die Fünfstufenautomatik ist dem Kraftwerk unter der Haube fast immer kongenialer Partner. Wieso nur fast?

Nun: Sehr selten, aber immerhin einige Male im Verlauf von rund 3000 Testkilometern, erledigte sie Gangwechsel nicht wirklich ruckfrei. Peanuts, würde Hilmar Kopper sagen. Und diesmal hätte er Recht.Faszinierend bei all dem Temperament ist die Genügsamkeit dieses Autos. Größtenteils auf der Autobahn mit flottem Tempo bewegt, reichten der großen Limousine im Testdurchschnitt 11,2 Liter. Zwölf Liter auf hundert Kilometer zu verbrennen, dürfte nur wirklich bei großer Terminhatz möglich sein; andererseits sind 8,5 Liter durchaus drin, ohne zu schleichen. Von solchen Werten können Fahrer benzingetriebener S-Klassen nur träumen.

Wie alle S-Klasse-Mercedes ist der 400 CDI luftgefedert, was allerdings nicht zu rundum bestem Federungskomfort führt.

Vertiefungen in der Fahrbahn nimmt speziell die Vorderachse nicht butterweich, wenngleich die schiere Masse dieses Autos natürlich für einen sehr guten Abrollkomfort führt. Dass ein Zweitonner kein Ausbund an Handlichkeit sein kann, versteht sich von selbst. So ist das Dickschiff bei Kurvenfahrt nicht so agil wie etwa ein Audi A8. Als sehr angenehm erwies sich die zweistufige Verstellung der Stoßdämpfer. Der Federungskomfort nimmt zwar schon in der ersten Stufe Schaden, doch dafür liegt das Auto bei schneller Fahrt spürbar ruhiger und reagiert verlässlicher auf kleine Kurskorrekturen. Hier bleibt noch Raum für Verbesserungen.

Diese Feststellung trifft partiell auch auf die Verarbeitung zu: Der Schalter fürs elektrische Schiebedach war beim Testwagen ebenso wackelig montiert wie in einer C-Klasse, und die automatische Zuziehhilfe für Türen und Kofferraumdeckel nahm ihren Namen wohl zu genau: Auf Knopfdruck senkte sich die geöffnete Kofferraumklappe zwar, doch um sie verlässlich ins Schloss zu drücken, war auf den letzten Millimetern meist Handarbeit erforderlich.

Den Status der perfekten Reiselimousine gefährden solche Details allerdings nicht. Fast schon eine demokratische Facette dieses Autos: Für den Chauffeur ist der S 400 CDI ebenso faszinierend wie für den Boss hinten rechts. Selbst wenn der auf dem Weg zu seinem Aufsichtsratsvorsitzenden ist, der ihm den finalen, vielleicht auch goldenen Handschlag erteilt, muss er zugeben: kein guter Tag, aber eine gute Fahrt.

Quelle: autocert.de

© SZ - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: