Fahrbericht: Mercedes-Benz SLR McLaren:Sternstunde

Lesezeit: 5 min

626 PS, 334 km/h Spitze und ein Sound wie in der Boxengasse: Der Mercedes-Benz SLR McLaren ist Formel-1-Technik für die Straße. Mit einer gehörigen Prise Luxus. Und zum Preis einer veritablen kleinen Villa.

Das ist er also: der Stolz des Hauses Mercedes-Benz. Matt silbern schimmernd steht er da im weitläufigen Innenhof der Stuttgarter Konzernzentrale. Geduckt, lang gestreckt - jederzeit bereit, nach vorn zu stürmen.

Born to be wild: das 435.000-Euro-Geschoss (Foto: Foto: pressinform)

SLR. Die drei Buchstaben standen in der langen Geschichte der Automarke mit dem Stern immer für kompromisslose Sportlichkeit. Für Leistung. Für Siege. Kaum ein großes und bedeutendes Rennen in den 50er Jahren, das die damaligen Rennfahreridole Juan Manuel Fangio, Stirling Moss oder Karl Kling mit ihren 300 SLR nicht gewonnen hätten. Mille Miglia, Targa Florio - die SLR waren unschlagbar.

Und schon damals brachte Mercedes-Benz diese Erfolge auf die Straße. Das 300-SLR-Coupé, unter den Oldtimer-Fans besser bekannt als "Uhlenhaut-Coupé", entstand als Synthese aus dem serienmäßig gebauten Flügeltürer 300 SL und dem Renn-SLR - ein alltagstauglicher Rennsportwagen mit Straßenzulassung. Und, obwohl nur zwei Prototypen gebaut wurden: eine Legende.

Neu aufgelegte Legende

Mit dem SLR McLaren strickt Mercedes-Benz nach gleichem Muster an einer neuen Legende. Auch er soll die perfekte Verschmelzung sein zwischen Formel-1-Technik und Luxus-Coupé. Zwei Monate, nachdem Mika Häkkinen 1998 auf seinem Silberpfeil die Weltmeisterschaft in der Formel 1 geholt hatte, stellte Mercedes in Detroit die Konzeptstudie für den SLR vor.

Daraus wiederum entwickelten die Ingenieure diesen Supersportwagen für die Straße - mit offensichtlichen Zitaten aus der Renngeschichte von Mercedes: Die Entlüftungskiemen, die seitlich austretenden Auspuffrohre erinnern an die Historie, die schmale Schnauze mit dem Stern an die aktuelle Formel-1-Serie.

Die eigentliche Renntechnik steckt unter der Silberhaut. Karosserie und Chassis sind aus den gleichen crashfesten Kohlefaserverbundstoffen wie die Dienstwagen von Schumi & Co., die Hochleistungsbremsen aus faserverstärkter Keramik. Den Hochleistungs-V8 liefern die Edeltuner von AMG im schwäbischen Affalterbach. Von Hand zusammengebaut wird der SLR bei McLaren im englischen Woking. Zwei Stück am Tag.

Genug der klugen Vorrede. Es wird Zeit, dieses Auto zu entdecken. Also erst einmal drum herum und mit den Augen genießen. Die pfeilförmige Bugspitze mit dem eingelassenen Mercedes-Stern, die riesigen Lufteinlässe darunter, die schier unendlich lange Motorhaube, die ansteigende Seitenlinie, das weit nach hinten gesetzte Cockpit, das bullige Heck mit den wuchtigen Rückleuchten und den Wülsten des Sechskanal-Diffusors. Nun gut: Für 435.000 Euro kann man auch ein Höchstmaß an automobiler Schönheit erwarten.

Geflügeltes Wesen

Entriegelt wird der SLR per Knopfdruck mit einem Schlüssel, wie er auch für eine hundsgemeine C-Klasse mitgeliefert wird. Erst mal. Dann aber kommt der Teil mit den glänzenden Augen: Ein leichter Zug an der Öffnungsklappe - und sanft schwingt die Flügeltür schräg nach vorne auf.

Wer jetzt gleich einsteigt und nicht erst einmal drei Schritte zurück macht, um sich diesen Anblick in seiner Gesamtheit zu gönnen, der hat dieses Auto sowieso nicht verdient. Der Einstieg danach erfordert etwas Übung - der hohen Türschweller wegen.

Kompromissloser Purismus? Bei Mercedes versteht man darunter sichtlich etwas anderes als bei der Konkurrenz von Porsche oder Ferrari. Der Innenraum des SLR ist durchaus üppig luxuriös. Feinstes Leder, Aluminium und Karbon überall, die Musik kommt aus einem Bose-Soundsystem, dazu Navi, Telefon, elektrische Fensterheber, Klimaautomatik, Tempomat, verstellbares Multifunktionslenkrad, die Sitze elektrisch verstellbar - zumindest in der Höhe und im Abstand zu den Pedalen.

Keine Gewichtsprobleme

Die Lehne der aufgepolsterten Carbon-Sitzschalen läßt sich nicht verstellen. Warum auch? Wer sich seinen SLR ordert, bekommt die Sitze maßgeschneidert. Purismus ist relativ - und während andere mit jedem Gramm geizen und selbst noch den Zigarettenanzünder dem Leistungsgewicht opfern, bekennt sich der SLR zu seiner Luxus-Gewichtsklasse von mehr als 1,7 Tonnen.

Und die wollen bewegt werden. Gestartet wird der SLR, wie man in einem Kampfjet eine Rakete abfeuert: Mit dem Zündschlüssel scharf machen, dann die Abdeckklappe oben auf dem Ganghebel hochklappen und mit dem Daumen den Startknopf drücken. Schon bricht das Inferno los. Die acht Zylinder erwachen tief grollend zum Leben. Nach innen dringt davon nur relativ wenig - doch wer neben den Sidepipes steht, bekommt die volle Dröhnung ab.

Umso mehr spürt man den Motor am ganzen Körper: Das hinter der Vorderachse tief eingebaute Aggregat gibt seine Schwingungen über die Aufhängung direkt an den Innenraum weiter. Insgesamt sechs Lufteinlässe versorgen das Triebwerk mit der Luft zum Atmen. Allein schon durch den Stern am Bug saugt der Kompressor des V8 jede Stunde 1850 Kilogramm Luft an und verbraucht nur dafür schon viel interne Leistung.

Schafspelz...

Handbremse los, Gangwählhebel auf "D" - und langsam Gas geben. Der SLR rollt sanft an, als könne er kein Wässerchen trüben. Das ist nicht die brachiale und kaum beherrschbare Gewalt einer Viper. Der SLR ist Innenstadt-tauglich. Lässt sich im Stadtverkehr steuern wie ein Renault Clio.

Über zwei Drehknöpfe auf der Mittelkonsole kann der Fahrer zwischen drei Getriebegangarten und drei Schaltgeschwindigkeiten wählen. Es wird Zeit für "S" wie "sportlich". Also raus auf die Autobahn. Ein paar Kilometer raus aus dem Großraum Stuttgart, und der Verkehr nimmt so weit ab, dass man den wahren SLR rauslassen kann. Ok, kein Auto bis zum Horizont. Das Gaspedal durchgetreten - und los geht der Höllenritt.

...und Wolf

Der V8 leistet 626 PS und legt gewaltige 780 Newtonmeter Drehmoment auf die Kurbelwelle. Was das heißt? Katapultstart wie von einem Flugzeugträger heißt das - die 295er-Walzen an der Hinterachse keilen los. Nach 3,8 Sekunden sind 100 km/h erreicht, gut sechs Sekunden später Tempo 200. Und unter immer grimmigerem Dröhnen geht es unablässig weiter - was, zum Teufel, hat man sich bei Mercedes dabei gedacht, ein Radio einzubauen? Bei diesem Sound?

280 km/h liegen an. Und der Wagen liegt satt auf der Straße. Kein Tänzeln. Kein Ruckeln an der Lenkung. Dass das so ist, dafür arbeiten viele Faktoren zusammen. Die ausgewogene Gewichtsverteilung von 49:51 zum Beispiel. Oder die ausgefeilte Aerodynamik. Mit dem glatten Unterboden und der Keilform wirkt schon das ganze Auto wie ein großer Spoiler.

Zusätzlichen Abtrieb verschafft ein Heckspoiler, der ab 95 km/h automatisch ausfährt. Bei 240 km/h wirkt eine Abtriebskraft von fast 170 Kilo. Und wer den Heckflügel vollständig hochklappt, legt noch einmal 43 Kilo auf die Hinterachse - sieht allerdings hintenraus auch nichts mehr.

Lange hält man dieses Tempo auch auf abgelegenen Autobahnstücken nicht durch. Und auf die möglichen 334 km/h wird man nur auf abgesperrten Kursen kommen. Sobald das erste Auto am Horizont sichtbar wird, also lieber wieder runter mit dem Tempo.

Gelangweiltes Quietschen

Ohnehin verschätzt man sich im SLR sehr leicht: Man ist fast immer schneller, als man glaubt. Die innenbelüfteten Keramikbremsen sind für diese Tempi ausgelegt - sie greifen hart, fest, gnadenlos - und auch etwas gefühllos zu. Beim Alltagstempo in der Stadt kann es immer noch vorkommen, dass sie gelegentlich beim Bremsen quietschen. Es wird wohl Langeweile sein.

Denn fürs Bremsen ist der SLR genauso gemacht wie fürs schnelle Fahren: Bei einer Vollbremsung aus hohem Tempo stellt sich der Heckspoiler 65 Grad steil in den Wind und wirkt zusätzlich als Luftbremse.

Aber nur um schnell zu fahren, ist der SLR auch viel zu schade - auf gerader Strecke ist das keine Kunst, sondern allenfalls eine Frage der Angstgrenze. Richtig Freude macht der Silberpfeil, wenn er über kurvige Bergstraßen tanzen darf. Durch den Schwarzwald zum Beispiel, von Freudenstadt hinunter ins Rheintal nach Achern.

Schienenfahrzeug

Nichts bringt ihn in den engen Serpentinen aus der Ruhe. Er lässt sich präzise zirkeln, rüttelt allenfalls mal unwillig bei aufdringlichen Bodenwellen - und schiebt einfach da hin, wo er hin soll. Wie auf Schienen. Dafür sorgt zur Not die eingebaute Regel-Elektronik.

Zum Erlebnis gerät der SLR im übrigen selbst dann noch, wenn er steht. An der roten Ampel in Freiburg zum Beispiel, an der die Jungs im VW-Bus nebenan ganz begeistert davon erzählen, dass sie seit einem Kilometer ihr Autoradio ausgeschaltet haben, um diesen Sound zu genießen. Oder beim Parken am Straßenrand in Tübingen, wenn es plötzlich an der Fensterscheibe klopft und ein junger Fahrradfahrer zaghaft fragt: "Darf ich den mal hören?"

Oder abends vor dem Restaurant, wenn sich Freunde gegenseitig rudelweise über Handy herbei telefonieren: "Und vergiss Deine Kamera nicht." Ein so offen geparkter Maybach hätte längst seine Kratzer im Lack abbekommen - der SLR aber weckt nicht Sozialneid sondern pure Faszination.

Der SLR McLaren macht süchtig. Nur gut, dass er auch einen therapeutischen Preis hat.

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: