Fahrbericht Alfa Romeo Giulietta:Vor Liebe fast blind

Die neue Generation des Alfa Romeo Giulietta

Die aktuelle Generation des Alfa Romeo Giulietta verspricht Fahrspaß, ist in Sachen Qualität aber nicht fehlerfrei.

(Foto: Alfa Romeo)

Schlechte Verarbeitung, legendärer Rostbefall: Die Alfa Romeos haben trotz ihrer schönen Formen keinen guten Ruf - auch in der Familie des Autors. Eine Testfahrt in der aktuellen Giulietta soll das ändern.

Von Felix Reek

Der erste und einzige Alfa Romeo in unserer Familie hinterließ einen bleibenden Eindruck: Meine Mutter arbeitete in einem Friseursalon, ihr Chef kam mit knallrotem Kopf auf sie zugerannt und rief: "Frau Henrich, ihr Freund ist da - und sein Auto qualmt!" Die Giulia, die mein Vater für ein paar hundert D-Mark gekauft hatte, verabschiedete sich bereits auf der ersten Fahrt. Ich selbst begegnete einem Alfa im Zivildienst. Ein Kollege fuhr mit einem feuerroten 75 vor. Kantig und doch elegant, einfach wunderschön. Viel öfter sah ich den Italiener nicht. Er stand die meiste Zeit in der Werkstatt.

Es ist kein Wunder, dass unsere Familie eine ganz spezielle Beziehung zu der sportlichen Marke aus Mailand hat. Jeder von uns wollte schon einmal einen dieser wunderschönen Italiener kaufen. Mein Vater und ich etwa die Limousine 159, mein Bruder den Kompaktwagen 145. Getraut hat sich das bisher keiner. Aus Angst vor den berüchtigten Unzuverlässigkeit der Alfa Romeos.

Ganz unbegründet ist das nicht. In den 1970er Jahren produzierte Alfa Romeo erstmals im neuen Werk in Süditalien den Alfasud. Die Belegschaft war unerfahren und streikwillig. In 13 Jahren legten sie 700 Mal die Arbeit nieder. Das Ergebnis dieser Kombination waren katastrophale Verarbeitungsqualität und legendärer Rostbefall.

Das Image litt unter der unerfahrenen und streikfreudigen Belegschaft

Alfas Image litt so entscheidend, dass sich die Marke bis heute nicht davon erholt hat. 1986 übernahm Fiat den Konzern und versuchte das Qualitätsproblem durch den Einbau eigener Teile in den Griff zu bekommen. Trotzdem landeten über Jahre hinweg immer wieder Alfas auf den Spitzenpositionen der Mängellisten von TÜV und Dekra.

Und doch nehmen Alfa Romeos im Herz von Autoliebhabern einen Sonderplatz ein. Keine andere Marke hat es über die Jahrzehnte geschafft, so konstant zeitlose und schöne Automobile zu bauen. Der 8C Competizione ist wahrscheinlich das anmutigste Fahrzeug des vergangenen Jahrzehnts. Wen interessieren da schon die kleinen Fehler und Macken?

Das ist bei der aktuellen Giulietta nicht anders. In der Tiefgarage schauen mich die elegant geschwungenen Rücklichter zuerst an. Schon ist es um mich geschehen. Vergessen ist der qualmende Giulia meines Vaters. Vorbei geht es an Coupé-haft geschwungenen Linien, dem in der Scheibe versteckten Türöffner. Ich klappe den Schlüssel aus. Und es ist tatsächlich ein echter Schlüssel, den ich im Schloss drehe, um den Motor zu starten, keine unpersönliche Chipkarte oder ein Startknopf. Der Tacho leuchtet auf, die Zeiger jagen einmal kurz nach oben, alles vollkommen analog, keine Digitalanzeige weit und breit. Wie herrlich altmodisch!

Plastik, so weit das Auge reicht

Das Cockpit des Alfa Romeo Giulietta

Optisch überzeugt der Inneraum der Giulietta. Wenn da nur nicht diese Nachlässigkeiten wären.

(Foto: Alfa Romeo)

Doch dann kommt die Ernüchterung. Das Lenkrad ist seltsam scharfkantig und drückt in die Handflächen. Beim Einstellen hat man das Gefühl, es gleich in den Händen zu halten. Im Innenraum gibt es, abgesehen von den Ledersitzen, Plastik, so weit das Auge reicht. Der neue, verbesserte Dieselmotor nagelt und röhrt unangenehm laut, obwohl Alfa ihn als besonders leise preist. Die Seitenspiegel lassen sich für meine Größe nicht perfekt einstellen, um die beste Sicht nach hinten zu ermöglichen.

Der Innenraum ist staubig, das Chrom fleckig. Und zu allem Überfluss wackelt das Zündschloss so bedrohlich, dass ich Angst habe, dass es mir gleich in den Schoß fällt. All das in einem Auto, das gerade einmal 10 000 Kilometer gefahren ist. Aber es heißt schließlich nicht ohne Grund, dass man als Alfa-Fahrer leidensfähig sein muss. Der Fahrspaß sollte diese Lappalien doch allemal wett machen, sage ich mir.

Die ersten Kilometer in der Giulietta bestätigen das. Zwar liegt der Zweiliter-Diesel mit 150 PS eher im Leistungsmittelfeld, doch das merkt man kaum. Der Alfa schiebt ordentlich nach vorn. Die Schaltwege sind kurz, die Lenkung direkt. Geht doch!

Zwar behaupten Puristen, seit der Übernahme durch Fiat gäbe es keine richtigen Alfas mehr, doch die Giulietta fühlt sich wie ein richtiger Alfa an. Sie war schließlich immer das Brot-und-Butter-Auto der Italiener. 1954 erschien sie zuerst und sollte Sportlichkeit in den Mittelstand bringen. Das funktioniert auch heute noch. Besonders, wenn der D.N.A.-Schalter, der die Fahreigenschaften abstimmt, in den "Dynamic"-Modus umgelegt wird. Der Motor spricht schneller an und liefert mehr Leistung. Die Giulietta geht jetzt deutlich rabiater zur Sache und jagt mit mir nach vorne. Wer hier nicht aufpasst, startet mit durchdrehenden Reifen an der Ampel.

Unzulänglichkeiten als Charakterstärke

Fahrbericht Alfa Romeo Giulietta: Schön ist sie ohne Zweifel, die aktuelle Fahrzeugpalette von Alfa Romeo. Von links nach rechts: Giulietta, MiTo und 4C.

Schön ist sie ohne Zweifel, die aktuelle Fahrzeugpalette von Alfa Romeo. Von links nach rechts: Giulietta, MiTo und 4C.

Das ist zwar nicht sehr dezent, macht aber Spaß. Und genau das soll ein Alfa: Spaß machen. Alles was diesen trübt, ist überflüssig. Zumindest, wenn es nach den Italienern geht. Spurhalteassistenten und Abstandswarner gibt es in der Giulietta nicht - nicht einmal gegen Aufpreis. Das mag altmodisch sein, aber das sind vielleicht auch die Fans von Alfa Romeo: Sie verdrängen die kleinen Fehler und Unzulänglichkeiten oder verbuchen sie unter "Charakter".

Einige Wochen später stehe ich mit meinem Bruder auf dem Parkplatz eines Gebrauchtwagenmarktes. Sein Mazda hat nach 270.000 Kilometern die Reifen von sich gestreckt. Vor uns ein schwarzer Alfa Romeo 156, Baujahr 2001, wenige Kilometer, tadellos gepflegt, wunderschön anzuschauen. Aber das ist nur das Äußere. Ein Blick in die App der Dekra sagt: "Mit hohen Laufleistungen etwas mehr Mängel als der Durchschnitt. Die häufig sportliche Fahrweise der Alfisti schlägt sich in hohen Mängelquoten an Fahrwerk, Lenkung und Bremsanlage nieder. Etliche Fahrzeuge haben bereits bei geringer Laufleistung mit Rost zu kämpfen". So geht es noch einige Zeilen weiter. Wir schlendern um das Auto, bewundern noch einmal die Formen. Mein Bruder schaut mich an, ich schaue ihn an. "Vielleicht beim nächsten Mal sagt er", sagt er und geht weiter.

Technische Daten Alfa Romeo Giulietta Turismo 2.0 JTD 16V :

Commonrail-Diesel mit 2,0 Litern Hubraum; Leistung 111 kW (150 PS); max. Drehmoment: 380 Nm bei 1750/min; Leergewicht: 1395 kg; Kofferraum:350 Liter; 0 - 100 km/h: 8,8 s; Vmax: 210 km/h; Testverbrauch: 8,2 l / 100 km (lt. Werk: 4,2l; CO₂-Ausstoß: 110 g/km); Euro 5+; Grundpreis: 26.850 Euro

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