Ettore Bugatti:Der Patron

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Ettore Bugatti erfand Autos, Züge und Flugzeuge, sogar ein Elektroauto war bereits dabei. Jetzt wurde sein Leben erstmals umfassend beschrieben.

Eckhard Schimpf

Der Mann war ein Monstrum, ein Freigeist, grenzenlos in seinem Anspruch. Ettore Bugatti war - wie Ferdinand Porsche oder Enzo Ferrrari - aus einem biografischen Holz geschnitzt, das heute nicht mehr wächst. Gerade deshalb ist der Name dieses technischen Genies noch immer präsent.

Genie mit Marotten: Ettore Bugatti entwarf mechanische Denkmäler wie den Auto-Rail, Schnellboote und schöne Autos. (Foto: N/A)

Eine Biografie mit Stoff für mehrere Leben

Der gebürtige Italiener entwickelte nicht nur grandiose Autos wie den legendären Typ 35 oder den alle Grenzen sprengenden Typ 41 Royale, sondern versuchte sich ohne Scheu an jeglichem technischen Gerät. Er entwarf Züge, Flugzeuge und selbst Schiffe - eines sollte den Atlantik in Rekordzeit nach New York überqueren, das andere war ein Torpedoboot mit zwei Kompressormotoren und 1100 PS. 1931 baute er sogar schon ein Elektroauto (Typ 56), mit dem er auf seinem Werksgelände herum kurvte.

Es gab nichts, was Bugatti sich nicht zutraute. Er entwarf Revolver, Tischdekorationen, einen fahrbaren Hühnerstall und eine Vielzweck-Hundeleine. Aus Ärger über die vielen Reifenschäden an seinen Rennwagen erwog er zwischendurch ernsthaft, selbst Pneus herzustellen. Sogar Zündkerzen wollte er produzieren. Mit mehr als 500 Patenten hat er die Autowelt bereichert. 20.000 Handskizzen als Zeugen wundersamer Fantasie sind noch erhalten.

Wenn eine Biografie Stoff für mehrere Leben enthielte, dann diejenige Ettore Bugattis. Nun versucht ein Buch, ihr gerecht zu werden. Und fast zwangsläufig gehört es zu denen, die Rahmen sprengen. Vom Inhalt, vom Umfang und von der Aufmachung her. Ein Solitär im bibliophilen Geäst, fünf Kilo schwer, 800 Seiten stark und mit 1200 zeitgenössischen Bildern garniert. Zwar heißt der soeben erschienene deutsche-englische Band etwas nichts sagend "From Milan to Molsheim", doch in der gewissen Lässigkeit offenbart sich der Verzicht auf jegliche Effekthascherei.

Es ist ein illustriertes Fachbuch, frei von jeder Fabulierlust. Aber diese Askese ist keineswegs ein Nachteil. Eine derart tief schürfende und umfassende Beschreibung des Lebenswerks von Bugatti hat es bisher noch nicht gegeben. Dieses Urteil wurzelt im Faktenreichtum des Bandes und in der Metiersicherheit der Autoren Uwe Hucke und Julius Kruta.

Und ungeachtet der sachlich-nüchternen Erzählweise schimmert aus jedem Kapitel der Reiz der Extravaganz dieser ungewöhnlichen Marke. Heutigen Maßstäben ist ein solcher "Renaissance-Fürst der Technik" wie Ettore Bugatti (1881-1947) natürlich weit entrückt. Dieser fantasievolle Autodidakt, aus einer Mailänder Künstlerfamilie von Architekten, Bildhauern und Malern stammend, gründete 1909 - also vor 100 Jahren - im elsässischen Molsheim eine Fabrik, die seinen Namen trug. Die Historie der Motorisierung kennt Hunderte von Automarken. Fast alle sind untergegangen und längst vergessen. Auch Bugatti ist letztlich gescheitert, doch der Mythos dieser legendären Marke starb nie.

Das ist auf den ersten Blick recht verwunderlich. Denn mit Beginn des Zweiten Weltkriegs 1939 hatte diese Firma praktisch aufgehört zu existieren, und nach 1945 überwog nur noch ein schales, von Mangel geprägtes Gemurkse. Bugatti glänzte auch nie mit Produktionsrekorden. Gerade mal 7800 Autos rollten aus dem Werk in Molsheim.

Aber: Was für grandiose, geradezu kühne Konstruktionen sind das gewesen. Etwa 2000 haben überlebt. Sie werden heute gehandelt wie Antiquitäten, gleichrangig mit Gemälden von Picasso oder Monet. Ein Auto als Kunstwerk, als ein Stück Exklusivität - dafür steht der Name Bugatti. Damals - und heute wieder, denn 1998 hat Ferdinand Piëch die Bugatti-Markenrechte für VW erworben und Molsheim neu belebt. Der Schritt war umstritten, für viele Marktbeobachter unverständlich, doch der 1001 PS starke Veyron, seit 2005 auf dem Markt, darf heute als ein Superlativ des Automobilbaus gelten. Die Volksmarke VW demonstriert so ihre High-Tech-Kompetenz - und macht damit auch noch Geld. 250 der 300 geplanten Veyron-Exemplare für weit mehr als eine Million Euro (??) das Stück sind schon verkauft. Ettore Bugatti hätte das durchaus gefallen.

Aber dieser besessene, kreative Ingenieur bestach nicht weniger mit seiner schillernden, kapriziösen Persönlichkeit. Bugatti war gleichermaßen Gourmet, Lebemann, Dandy. Er liebte exquisite Kleidung, spazierte oft mit Melone oder Tropenhelm an den Rennstrecken herum. Er kaufte Schlösser - wie das Château St. Jean oder d'Ermenonville bei Paris, mit einem Park voller Pfauen und Hirsche. Feinstes Tuch umhüllte ihn, wenn er morgens ausritt, manchmal von einem Esel begleitet. Er züchtete Pferde. Vollblüter natürlich, daher der Name "Pur Sang" (Vollblut) für seine Rennwagen. Wirklich reich war Bugatti dennoch nie. Im Gegenteil: Ständig plagten ihn Finanzsorgen.

Die Rennfahrer, die auf den Autos mit seinem Namen Tausende von Siegen herausfuhren, behandelte er barsch und knöpfte ihnen gern das Preisgeld ab. Sein Starfahrer Louis Chiron nannte ihn stets "Gott". Ebenso schroff wie seine Piloten fertigte er seine Kunden ab. Traten sie nicht devot und höflich auf, drehte ihnen der "Patron" brüsk den Rücken. Als ein deutscher Kaufinteressent in Molsheim einmal in einem Opel anreiste, stutzte ihn der Chef zurecht: "Wer mit solch einem Auto vorfährt, verdient keinen Bugatti." Dem König von Albanien schlug er den Wunsch nach einem Royale-Modell mit der Begründung ab: "Der Mann hat ja grauenhafte Tischmanieren."

Alle Renn- und Sportwagen Bugattis - auch die 57er-Reihe seines 1939 tödlich verunglückten Sohnes Jean - verströmen das "gewisse Etwas", genährt aus einer Fülle genialer Ideen. Die Hucke-Kruta-Chronologie belegt das eindringlich. Allradantrieb, konsequenter Leichtbau, Motoren mit 16 Zylindern und ein Design, das Maßstäbe setzte - vom Hufeisenkühler über die Aluminiumfelge bis zur noch heute sensationellen Karosserie des Typs Atlantic. All das ist typisch Bugatti. Nur: Es fehlte stets an Geld für konsequente Weiterentwicklung. Darin lag auch der Grund für das spätere Scheitern im Rennsport. Bugatti war von 1931/32 an - zumal gegen die deutschen "Silberpfeile" - nicht mehr konkurrenzfähig.

So ungewöhnlich wie das Panorama dieses virtuosen Schaffens ist auch die Entstehungsgeschichte des neuen Buches. Der ehemalige Textilfabrikant und Bugatti-Sammler Uwe Hucke wagte sich Ende der 1960er-Jahre - wie vor ihm schon Hugh Conway und Erwin Tragatsch - an eine seriöse Bugatti-Würdigung. Sie erschien 1971 und hatte 168 Seiten. Später lernte Hucke den damaligen Studenten Julius Kruta kennen. Dieser war, ungewöhnlich genug für einen Burschen des Jahrgangs 1972, seit einem Schulaustausch in England im Jahr 1984 vom Bugatti-Virus infiziert. Die beiden beschlossen 1996, das alte Hucke-Buch zu ergänzen. Sie schürften in allen nur aufspürbaren Originalquellen.

Doch 2002 starb Uwe Hucke im Alter von 63 Jahren, und Julius Kruta setzte das Mammutwerk allein fort - unterstützt von Michael Ulrich, einem versierten Kenner der Automobil-Frühzeit. Zwölf Jahre lang dauerte das Forschen, Sammeln, Schreiben, das Feilschen um Zeichnungen und Fotos. Dann hatte Julius Kruta, der inzwischen dort arbeitet, wo er hingehört, nämlich bei Bugatti, endlich das Riesenwerk vollendet.

Zur Fülle all dieser Skurrilitäten passt der kleine Verlag, in dem es erschien. Ihn gründeten in Münster ein Arzt und ein Archäologe: Johannes Monse und Tom van Endert. Und weil sie dem, so Monse, " kleinsten Verlag der Welt" nicht ihre eigenen Namen geben wollten, sondern etwas Klangvolleres wünschten, nannten sie ihn etwas pompös "Monsenstein & Vannerdat", spezialisiert auf aufwändige Kleinserien und Nischen-Themen wie russische Motorräder oder Hasselblad-Kameras. Das umfangreichste Bugatti-Buch aller Zeiten passt dazu.

Uwe Hucke/Julius Kruta: From Milan to Molsheim; Verlagshaus Monsenstein & Vannerdat; 806 Seiten; 1200 Fotos und Zeichnungen; Großformat im Schuber: 250 Euro; Limitierte Ausgabe in Leder: 1000 Euro.

© SZ vom 06.12.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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