Elektronisches Stabilitätsprogramm:An der falschen Stelle gespart

Nicht jeder Neuwagen hat serienmäßig ESP an Bord - das halten die Autoversicherer für gefährlich und machen jetzt Druck auf die Hersteller.

Uwe Schmidt-Kasparek

Es bleibt nur der Bruchteil einer Sekunde, als unvermittelt ein Kinderwagen auf die Fahrbahn rollt. Andreas Iburg reißt das Lenkrad seines Fiat Punto nach links - und schafft es, an dem Hindernis vorbeizukommen, ohne im Straßengraben zu landen oder mit dem Gegenverkehr zu kollidieren.

Mit beherztem Gegenlenken bringt Iburg das kleine Auto in die Spur zurück - nun müsste das Fahrzeug eigentlich übersteuern und mit dem Heck ausbrechen. Doch der Wagen bleibt absolut stabil und ist erstaunlicherweise ohne aktives Bremsen langsamer geworden.

Des Rätsels Lösung heißt ESP - Kurzform für Elektronisches Stabilitätsprogramm: Das System bremst im Ernstfall jedes Rad einzeln und dosiert ab und verhindert so das Ausbrechen. "Ohne ESP wäre ein solches Manöver nicht möglich", sagt Andreas Iburg, Ingenieur für Fahrzeugtechnik am Bosch-Prüfzentrum Boxberg bei Bad Mergentheim, und tritt den erschreckenden Beweis an.

"Ein Skandal"

Wieder fährt er auf das überraschende Hindernis zu, versucht auszuweichen - und schleudert mit seinem Fiat Panda völlig unkontrolliert über das Testgelände des Prüfzentrums. "Es ist ein Skandal, dass in Deutschland noch immer Neuwagen verkauft werden, die diesen elektronischen Lebensretter nicht serienmäßig an Bord haben", kommentiert Siegfried Brockmann, Leiter der Unfallforschung der Deutschen Versicherer in Berlin, das Ergebnis dieser Versuchsreihe.

Eine Situation, die die Versicherer so nicht mehr hinnehmen wollen und daher aufgelistet haben, für welches Auto ESP serienmäßig, als Sonderausstattung oder überhaupt nicht zu haben ist. Das Ergebnis: Vor allem Kleinwagen stehen in der Kritik.

Bei plötzlich notwendig werdenden Ausweichmanövern gefährlich sind beispielsweise Citroën C1, Ford Ka, Peugeot 107, Renault Twingo oder Toyota Aygo. Oft gibt es innerhalb von Kleinwagenserien nur wenige ausgewählte Modelle, die serienmäßig mit ESP ausgerüstet sind.

Insgesamt haben nur 58 Prozent der in Deutschland erhältlichen Fahrzeugmodellreihen serienmäßig ESP an Bord; immerhin 20 Prozent aller neuen Pkw sind gar nicht mit der wichtigen Sicherheitseinrichtung ausgestattet und vielfach gibt es den lebensrettenden Schleuderschutz nur gegen Aufpreis.

So etwa beim VW Fox, dem BMW Mini oder dem Seat Cordoba; auch beim VW Polo sind nicht alle Modellvarianten von Haus aus mit ESP ausgestattet. Und es ist nach Ansicht der Versicherer vor allem die notwendige Zuzahlung, die Neuwagen-Käufer von der Entscheidung für das ESP abhält - so werden in vielen Fällen mehr als 400 Euro in Rechnung gestellt.

"Derzeit sind rund zehn Prozent aller Polo mit ESP ausgerüstet", muss dann auch Stefan Voges-Staude, Pressesprecher des Volkswagen Financial Services, zugeben; beim VW Fox sind es sogar nur acht Prozent und bei der Konkurrenz, dem BMW Mini, rund ein Viertel.

"Wir fordern daher, das ESP-Systeme serienmäßig in alle Neuwagen eingebaut werden", formuliert Unfallexperte Siegfried Brockmann; zudem dürften ESP-Systeme nicht mehr manuell abschaltbar sein. Die Zahlen unterstreichen die Forderung der Experten: 25 Prozent aller Pkw-Unfälle mit Personenschaden und bis zu 40 Prozent aller Pkw-Unfälle mit Getöteten sind der Untersuchung folgend durch ESP positiv beeinflussbar - pro Jahr könnten so 37.000 Unfälle mit Verletzten und 1100 Unfälle mit Todesfolge auf deutschen Straßen vermieden oder abgeschwächt werden.

Das würde auch die Schadenbilanz der Versicherer deutlich verbessern, da gerade kleinere Fahrzeuge häufig von jungen Fahrern bewegt werden.

Durch die Liste der ESP-losen Autos hoffen die Versicherer, nun mehr Druck auf die Hersteller ausüben zu können. Und erste Reaktionen gibt es schon: So wird Volkswagen von Oktober an Neuwagenkäufer mit einer günstigen Versicherungsprämie zum Kauf des Schleuderschutzes locken.

"Wer künftig einen Polo mit ESP-System erwirbt, kann damit rechnen, dass seine Neuwertentschädigung, die die Versicherung bei Totalschaden zahlt, länger gilt'" so Stefan Voges-Staude.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: