Elektronik im Auto:Kein Platz für die banale Außenwelt

Der Mercedes F015 auf der 2015 Consumer Electronics Show

Der Mercedes F015 auf der CES in Las Vegas.

(Foto: Bloomberg)

Auf der Elektronik-Show CES in Las Vegas werden Autos zu einfühlsamen Computern, die mit dem Fahrer interagieren. Was auf der Straße passiert, wird zur Nebensache. Die Frage dabei ist, ob es künftig auch noch Spaß macht, diese Autos zu fahren.

Von Joachim Becker

Großes Kino in Las Vegas: Erst beschwert sich ein kleiner Roboter, dass die fehleranfälligen Menschen noch immer hinterm Steuer sitzen. Dann tritt ein Mann mit Walross-Schnauzer auf und verspricht Abhilfe. "Kritiker sagen, dass das Auto seine besten Tage hinter sich hat. Ich bin der gegenteiligen Ansicht. Die Technologie der selbst fahrenden Autos entwickelt sich rasant weiter", verkündete Dieter Zetsche am Vorabend der Elektronikmesse CES. Der Daimler-Chef hielt nicht nur eine Grundsatzrede, sondern brachte auch eine futuristische Fahrzeugstudie in die Wüstenstadt mit. Die Silberflunder erinnert weniger an eine Luxuslimousine im S-Klasse-Format als an den Mercedes C 111 aus den 1970er-Jahren. Anders als vor einem halben Jahrhundert kann aber jedes Kind das Forschungsauto (fern-)steuern: Ein Knopfdruck auf die Smartphone-App genügt, um das fahrerlose Ufo herbeizurufen.

Mit riesigen 26-Zoll-Rädern erinnert der Mercedes F015 an die Kutschen von früher. Doch es geht nicht um Nostalgie, sondern um die künftige Lufthoheit im Bermudadreieck aus Home Entertainment, tragbarer Elektronik und dem Auto als größtem mobilen Endgerät. Hintergrund ist die Markenbindung im digitalen Zeitalter. Im Fahrzeug soll eine wohlige Wohnzimmeratmosphäre entstehen, in der die Passagiere den Umgang mit ihren gewohnten Unterhaltungs- und Informationsmitteln beibehalten können. Die Kunden sollen in allen Lebensbereichen mit dem markeneigenen Backend verbunden bleiben - zum Beispiel, wenn der persönliche elektronische Assistent den digitalen Kalender mit den aktuellen Verkehrsinformationen abgleicht, um die richtige Zeit für den Aufbruch und das ideale Verkehrssystem für die Strecke zu bestimmen.

Das Auto überwacht gleichzeitig Fahrer und Verkehr

Automatisiertes Fahren ist also beileibe nicht nur ein Komfort- oder Sicherheitsthema, sondern auch der Kreuzungspunkt zentraler gesellschaftlicher Trends. Das Signal auf der weltgrößten Elektronikmesse ist klar: Mercedes will den F015 gleichermaßen mit künstlichem Bewusstsein und mit einem luxuriösen digitalen Lifestyle ausstatten. Ganz zu schweigen von den neuen Mensch-Maschine-Schnittstellen, bei denen die Stuttgarter stilprägend sein wollen: Der Autopilot reagiert auf die Gesten und Augenbewegungen seiner Passagiere und kann gleichzeitig das Umfeld des Fahrzeugs überwachen. Während sich der arbeitslose Fahrer den anderen Mitreisenden zuwenden kann, kommuniziert der unermüdliche elektronische Assistent auch mit den Fußgängern am Straßenrand: Lichtsignale in der Fahrzeugfront zeigen an, dass der F015 autonom unterwegs ist und rechtzeitig zum Stillstand kommen wird. Zudem leitet die Laserprojektion eines Zebrastreifens die Passanten höflich über die Straße.

Der einfühlsame Computer scheint vieles besser zu können als die leicht ablenkbaren Menschen. Doch die fortschreitende Automatisierung könnte sich als Rückschritt für Menschen mit Benzin im Blut erweisen: Roboterautos geben so nüchtern Gas wie Taxi- oder Busfahrer. Um Langeweile zu vermeiden, brennt Mercedes im F015 ein multimediales Feuerwerk ab. Während mancher Autohersteller heute schon bei aufgemotzten Autoradios von Infotainment spricht, können sich Mercedes-Passagiere künftig im gesamten Innenraum mit Flachbildschirmen umgeben. Das Forschungsmodell mit dem Stern fährt außerdem ein großes Head-up-Display und ein breites Projektionsband unter der gesamten Windschutzscheibe auf. Die verbleibenden Sehschlitze auf die Außenwelt wirken wie kleine Pop-up-Fenster in einer digitalen Gesamtinszenierung. Für die banale Realität, so die Botschaft, ist hier ebenso wenig Platz wie in den bildschirmübersäten Messehallen der CES.

Viele Spezialeffekte aus der Unterhaltungsindustrie

Viele Effekte aus der Unterhaltungselektronik werden auch im Auto Einzug halten. Im VW Golf R Touch soll das große Display über der Mittelkonsole beispielsweise zur Bühne für die bunt inszenierte Fahrzeugtechnik werden. Die hoch auflösenden Abbildungen des Konzeptfahrzeugs lassen sich mit Handgesten wie mit einer Computermaus bewegen. Außerdem kann der Home-Bildschirm mit Fotos und den bevorzugten Bedienelementen des Kunden selbst inszeniert werden: "Wir wollen den Menschen beim Infotainment nicht vorschreiben, wie sie unsere Fahrzeuge bedienen. Jüngere Generationen sind die Gestensteuerung, die interaktiven Grafiken und die realistischen Bilder von ihren elektronischen Endgeräten gewohnt", sagt VW-Entwicklungsvorstand Heinz-Jakob Neußer in Las Vegas.

Auch der Kartenhersteller Here, der viele Navigationssysteme versorgt, setzt künftig auf die Ästhetik von Computerspielen: Da die Welt für das automatisierte Fahren ohnehin neu vermessen werden muss, werden klassische 2D-Kartenansichten zunehmend durch dreidimensionale Kinoeffekte ersetzt: Der Globus wird so zur digitalen Erlebniswelt.

Der ultimative Luxus des 21. Jahrhunderts

Daimler-Chef Zetsche hatte sich über den medialen Overkill in seiner Grundsatzrede noch lustig gemacht - nur um das Auto der Zukunft dann als optimale Basisstation zu feiern: "Während die meisten elektronischen Endgeräte eher Zeit und Platz rauben, bietet der F015 den ultimativen Luxus des 21. Jahrhunderts: Freiraum, um seine Zeit sinnvoll zu nutzen", verkündete er. Wenig erfreuliche Fundamentalzahlen untermauern seine Zukunftsvision: Bis 2025 soll der weltweite Automobilmarkt um 30 Prozent auf einen Absatz von 100 Millionen Fahrzeugen jährlich wachsen. Umgerechnet sind das 270 000 neue Autos pro Tag, die auf unsere Straßen drängen. Es wird also eng in den Städten von morgen, die in ihrer Grundstruktur noch von gestern stammen. Da sind intelligente Lösungen gefragt, um diese Infrastruktur vor dem endgültigen Kollaps zu bewahren.

Einen Beitrag kann die Automatisierung des Parkens leisten. Der neue BMW Siebener wird von diesem Herbst an erstmals ferngesteuert ein- und ausparken können. Der Fahrer muss dann nicht mehr hinter dem Lenkrad sitzen, sondern kann den Vorgang per Smartphone oder Smartwatch überwachen. Das ist zumindest auf Privatgrund schon heute rechtlich zulässig. Im nächsten Schritt sollen sich die Fahrzeuge mit Parkhäusern vernetzen. Werden der Gebäudeplan und die freie Flächen in das Navigationssystem übertragen, können Roboterautos ihre Passagiere an der Einfahrt absetzen und sich den Stellplatz selbständig suchen. Zur individuellen Zeitersparnis kommt der Vorteil für die Städte: Ohne die Freiräume für das Ein- und Aussteigen können Parkhäuser mehr Autos auf derselben Fläche unterbringen.

Einfach am Eingang des Parkhauses abstellen

Was nach Science-Fiction klingt, wird zumindest in der automobilen Oberklasse schon bald zu kaufen sein. Audi scheut weder Kosten noch Mühen, um Ende 2016 erstmals einen Lidar-Scanner im neuen A8 anbieten zu können. Auch die autonomen Google-Testfahrzeuge verwenden die optische 360-Grad-Umfelderkennung, um Hindernisse in einem Umkreis von 100 Metern dreidimensional zu erfassen. Zusammen mit einem leistungsstarken Zentralrechner unter dem Beifahrersitz können auch die Signale weiterer Sensoren in Echtzeit ausgewertet werden - diese hoch genaue Datenfusion ist eine wesentliche Voraussetzung für das automatisierte Fahren. Wie präzise ein Auto eigenständig ausweichen kann, hat ein umgebauter BMW i3 auf der CES gezeigt. Zehn Mal schneller als herkömmliche Ultraschall-Parksensoren reagieren kleine Scanner an Front, Heck und den Fahrzeugseiten, wenn Hindernisse den fahrerlosen Weg zum Parkplatz blockieren.

"Das System baut ständig eine eigene Karte von der Umwelt auf, um alle Hindernisse auf Kniehöhe genau zu erfassen", erklärt BMW-Entwickler Moritz Werling. Mit der Universität Karlsruhe nahm er schon 2007 an einem Rennen von Roboterautos in der Wüste Nevadas teil. Dabei wurden hauptsächlich Lidar-Scanner verwendet. "Mittlerweile werden die Systeme automobiltauglich und wir brauchen für die Datenverarbeitung keinen Kofferraum voller Computer mehr", sagt Werling, "aber es bleibt nach wie vor sehr anspruchsvoll, wenn ein autonom fahrendes Auto auf schnell bewegte Hindernisse trifft, die jederzeit ihre Richtung ändern können." Um alle möglichen Szenarien abzudecken, ist noch viel Software-Entwicklung nötig. Ganz so schnell werden Menschen wohl doch nicht vom Fahrersitz verdrängt.

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