Elektromobilität:Kretschmann kennt die Gründe für die E-Auto-Misere

Kretschmann bei 'Lebenswelt Elektromobilität'

Publikumswirksam "betankt" Winfried Kretschmann auf einer Veranstaltung ein Elektro-Auto.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Die Grünen fordern ein Verbot für Diesel- und Benzinmotoren ab 2030. Baden-Württembergs Ministerpräsident, selbst ein Grüner, hält das für Quatsch. Weil er Realist ist.

Von Max Hägler

Das Unverständnis, ja der Zorn waren Winfried Kretschmann deutlich anzumerken. "Das sind doch Schwachsinnstermine", schimpfte der populäre Grünen-Politiker auf dem Parteitag. Es ging um die Fortbewegung der Menschen: Ab dem Jahr 2030 soll das überwiegend per Stromautos funktionieren, der Bau von Benzin- und Dieselwagen dann verboten sein, so lautete der Mehrheitsbeschluss der Grünen. Kretschmann, im Hauptberuf Ministerpräsident des Autolandes Baden-Württemberg, sieht das fundamental anders, wie in einem - gegen seinen Willen aufgenommenen - Video nachzuhören war. "So, jetzt überleg Dir mal", rief er da seinem Sitznachbarn zu, "es fahren fünf Millionen Elektroautos rum. Wo tanken die?" Er könne das nicht ansatzweise erklären.

Die Aufnahme ist, trotz der umstrittenen Entstehung, sehr interessant, weil sie die innerparteiliche Diskussion abbildet; die Parteispitze hatte zuvor ja ihre große Einigkeit beschworen. Darüber hinaus ist aber auch das von Kretschmann aufgeworfene Thema interessant: Wie schnell ist das denn nun umsetzbar mit den Elektroautos? Ist Kretschmann mit seinen Bedenken nur den Einflüstereien der Automanager erlegen? Oder ist seine Einschätzung schlicht und einfach: richtig?

Fest steht: Audi, BMW, Mercedes, Volkswagen bauen zwar schon Elektroautos - und reden ganz viel darüber. Aber es käme ihnen durchaus nicht ungelegen, wenn sie die alte Technik noch recht lange verkaufen könnten: Einen Verbrennermotor zu entwickeln, kostet mehrere Milliarden Euro. Auch deswegen zögerten sie lange, um Elektro-Modelle auf den Markt zu bringen. Jetzt nimmt der Druck zu, weil das Image von Verbrennermotoren in Verruf geraten ist, weil die Grenzwerte für Abgase zugleich immer strenger werden, weil E-Mobilität cool ist.

Doch weiterhin ist da das große Problem: die Batterien. Viele tausend Euro teuer und immer noch nicht richtig gut. In ein, zwei Jahren sollen sie ausreichen für einige hundert Kilometer, aber wohl auch nur auf dem künstlichen Prüfstand und nicht im echten Betrieb. Ein Technologiesprung ist in den kommenden Jahren nicht zu erwarten; es bleibt vorerst bei der Lithium-Ionen-Technik, die man auch aus dem Handy kennt. Die Leistung wird besser, aber jedes Jahr nur ein paar Prozent.

"Da ist viel Unsicherheit"

Damit stellt sich die Frage: Reicht das den Kunden? Denen in China womöglich schon, sie fahren meist nur von der Vorstadt ins Zentrum, denen in Deutschland eher nicht, weil sie unbedingt auch von, sagen wir, Frankfurt bis an die Adria kommen wollen.

Ab Mitte des kommenden Jahrzehnts werden dennoch etliche E-Modelle auf dem Markt sein: elektrische Sportflitzer, genau wie Lieferwagen und Familienkutschen. Aber wie begehrt werden sie sein? Irgendwo zwischen 15 und 25 Prozent soll ihr Anteil liegen, schätzen die deutschen Auto-Manager. Genau wissen sie es nicht und rechnen mit Unterschieden zwischen den großen Städten und ländlichen Regionen. "Wenn man Äußerungen der letzten Wochen zur Entwicklung der Elektromobilität übereinander legt", sagt BMW-Finanzvorstand Nicolas Peter, "dann sieht man: Da ist viel Unsicherheit."

Sogar der EnBW-Chef bremst er die Erwartungen

Gerade hat auch die Kanzlerin, die promovierte Physikerin, in einem Interview mit der Wirtschaftswoche erklärt, dass auch sie nicht wisse, "wie schnell diese Transformation vorangehen soll". Sie halte den sehr sparsamen Verbrennungsmotor, vielleicht in Kombination mit einem Elektromotor, "noch für eine ganze Zeit lang" für vernünftig. Kretschmann hat sich übrigens vor einigen Wochen privat einen Diesel gekauft.

Aber wie verhält es sich mit dem Tanken, das eigentlich Aufladen heißt, für diejenigen, die sich schon jetzt einen Elektrowagen kaufen? Es ist das zweite große Problem neben der Batterie, weiterhin. "Das heutige Stromnetz ist noch nicht darauf ausgelegt, das gleichzeitige Aufladen einer wachsenden und am Ende hoffentlich großen Zahl von Elektrofahrzeugen reibungslos zu ermöglichen", sagt Frank Mastiaux, Vorstandschef des Energieversorgers EnBW. Er ist ein ungeduldiger Mensch, ein intensiver Gesprächspartner von Kretschmann, und ihm ist am Verkauf von Strom gelegen. Und ausgerechnet so einer bremst die Erwartungen?

Es fehlen die Elektrotankstellen

In seinem Unternehmen, dem drittgrößten Versorger Deutschlands, rechnen sie wie folgt: Eine Million Elektroautos würden bei durchschnittlich 14 000 Kilometern Fahrleistung jährlich 2,5 Terawattstunden Strom verbrauchen. Das ist relativ gesehen nur ein halbes Prozent des gesamten Stromverbrauchs im Land. Klingt nach nicht viel. Aber die Frage ist: Wie kommt der Strom in die Fahrzeuge?

"Wir müssen uns doch darum kümmern, dass es überhaupt funktioniert", forderte Kretschmann in seiner Wutrede - er befürchtet lange Staus an den wenigen Elektrotankstellen, weil der Ausbau so lange dauern könnte. Weil auch das Aufladen tatsächlich nicht so schnell geht wie das Tanken von Benzin, spricht die Autoindustrie von Ladeparks - 400 solcher Orte will ein Konsortium von Autobauern schaffen, aber noch stockt dieses wichtige Symbolprojekt ein wenig. Kartellfreigaben fehlen und die Gespräche mit den Geschäftspartnern vor Ort laufen zäh. Den ersten Termin haben sie schon gerissen: Eigentlich wollte man bereits im Frühjahr mit dem Bau von Ladesäulen beginnen.

"Eine Jahrhundertaufgabe"

Aber der Strom soll künftig nicht nur an solchen Plätzen fließen, sondern vor allem in den Garagen daheim oder am Arbeitsplatz. Das Problem: Dafür sind die Netze und Steckdosen nicht gemacht, es würde sie überfordern. Firmenparkhäuser müssten nach Einschätzung der EnBW an das Hochspannungsnetz angeschlossen werden. Und auch die Kabel zum Privatparkplatz müssten wohl teils neu verlegt werden. Denn bislang ist jeder Haushaltsanschluss in Deutschland nur auf durchschnittlich zwei Kilowatt Verbrauch ausgelegt, was etwa zwei Herdplatten entspricht. Wenn nun jeder fünfte Haushalt elektrisch fahren würde und alle gleichzeitig ihre Elektrofahrzeug laden möchten - dann wäre das heutige Netz überlastet und bräche zusammen. Black Out.

Pufferbatterien würden helfen, aber da ist die Erfahrung der Stromversorger: Manche Kommunen erlauben das aus Brandschutzgründen gar nicht. Auch intelligente Ladesteuerungen bräuchte es: Wenn alle E-Autos vernetzt sind, dann könnten Computer das Laden zeitlich staffeln. Aber das ist nicht schnell umsetzbar, sagt Gabriel Seiberth, Mobilitätsexperte bei der Unternehmensberatung Accenture. Schon jetzt sollten in vielen Haushalten Smartmeters statt der alten Stromzähler hängen. Doch kaum irgendwo in Deutschland ist dies der Fall und in den kommenden Jahren wird sich das wohl nur langsam ändern. Und dann erinnert Seiberth an das Internet: Wie lange habe es gedauert, bis überall die Infrastruktur bereitstehe? Auch jetzt sei noch nicht überall eine schnelle Verbindung möglich. "Der Wandel hin zur Elektromobilität wird noch viele Jahre dauern", sagt er. Kretschmann wird das nicht gefallen - aber er wird beipflichten.

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