Elektromobilität auf der IAA:Die Zukunft braucht noch Zeit

Die deutsche Autoindustrie hält sich mit einem Fahrplan für die Elektromobilität zurück und äußert auf einem Fachkongress auf der IAA deutlich ihre Zweifel.

Joachim Becker

Eine Branche steht unter Strom: Die 64. IAA war nicht nur die wichtigste Automobilausstellung, sondern auch die größte Elektromobilitätsmesse der Welt. "Wir sind auf dem Weg zum Null-Emissions-Auto", erklärte Matthias Wissmann, Präsident des Verbandes der Automobilindustrie.

IAA Frankfurt - Greenpeace Protest

Protest-Aktion: Greenpeace warf auf der IAA dem VW-Konzern zu wenig Umweltbewusstsein vor.

(Foto: dpa)

Der begleitende "Fachkongress Elektromobilität" des VDA zählte in der vergangenen Woche 450 internationale Teilnehmer. Dort übten sich die deutschen Topmanager in demonstrativer Harmonie - und machten Werbung für Batteriefahrzeuge: "Wir erleben eine Revolution in den alternativen Antriebskonzepten", sagte Klaus Draeger. Zugleich warnte der BMW-Entwicklungsvorstand aber vor übertriebenen Erwartungen: "Nicht alles, was technisch machbar ist, wird auch wirtschaftlich darstellbar sein."

Noch deutlicher wurde Markus Lienkamp von der TU München: "Wir haben ein riesiges Kostenproblem bei E-Mobilen. Wenn wir bestehende Modelle einfach elektrifizieren, dann werden sie immer zu schwer und zu teuer sein."

Auch Bernd Bohr ließ sich von Wissmanns Aufbruchstimmung nicht beeindrucken: "Die Zukunft ist elektrisch - aber wann ist Zukunft?", fragte der Leiter der Bosch-Sparte KFZ-Technik. Noch sei die Technologie in einem embryonalen Stadium, es gebe unterschiedliche Szenarien, wie hoch der Marktanteil von Elektrofahrzeugen in den nächsten Jahrzehnten sein werde: "Das ist schwieriger vorherzusagen als alle anderen Techniktrends", so Bohr.

Hohe Stückzahlen seien in jedem Fall die Grundlage wettbewerbsfähiger Preise: 2020 würde ein E-Mobil mit einer Batterie von 22 kWh Kapazität für 150 Kilometer Reichweite 40 Prozent oder 4500 Euro teurer sein als ein vergleichbares Kompaktauto mit Verbrennungsmotor. "Allein die zahllosen Stecker und Kupferkabel kosten mehrere hundert Euro, weil wir in alten Automobil-Architekturen denken. In zehn Jahren werden wir mit einem Schmunzeln auf die heutigen Elektrofahrzeuge zurückblicken."

Niemand weiß, ob Elektro ein Erfolg wird

Während Zulieferer Bosch kostensenkende Standardisierungen über die gesamte Branche hinweg forderte, signalisierten Volumenhersteller wie VW und General Motors wenig Flexibilität in ihren Produktionsabläufen: "Wir müssen Synergien zu bestehenden Infrastrukturen schaffen, um die Serienkosten zu senken", beharrte Uwe Winter, Chefentwickler des Opel Ampera.

Auch Rudolf Krebs setzte eher auf Evolution als auf Revolution: "Volkswagen wird die Elektrifizierung in allen Segmenten vorantreiben", so der Konzernbeauftragte für Elektrotraktion, "dabei nutzen wir aus Kostengründen erst einmal vorhandene Automobil-Plattformen. Die Folge ist, dass wir jede Ecke des Fahrzeugs ausnutzen müssen, um Energie an Bord zu nehmen. Eine standardisiere Batterie wird es also zunächst nicht geben."

Noch zögert VW, elektrische Single-Automobile wie die Studie Nils auf den Markt zu bringen. "China wird wahrscheinlich der wichtigste Markt für Elektromobile. Dort waren schon 2009 rund 21 Millionen E-Bikes unterwegs. Aber noch wissen wir nicht, was die richtigen Fahrzeugkonzepte für Aufsteiger aus dieser Gruppe sind", so Krebs. Ob die Kunden ein Fahrzeug in der Größe des Nils, Up!, Polo oder Golf wollten, werde man bis 2015 klarer sehen.

Zukunft serienmäßig? Noch weiß niemand, wo die optimalen Bereiche im Elektro-Markt sind. Wird die neue Generation des Smart fortwo electric drive ein Erfolg, der vom nächsten Frühjahr an 19.000 Euro plus 60 Euro monatlicher Batteriemiete kosten wird? Daimler rechnet immerhin mit fünfstelligen Produktionszahlen, bestätigte Forschungs- und Entwicklungsvorstand Thomas Weber.

Mit der Brennstoffzellentechnologie schicken die Stuttgarter ein zweites Pferd ins Rennen, das 2014 starten soll. Doch in vielen deutschen Autokonzernen löst die Wasserstoff-Technologie höchstens akademisches Interesse aus. Was die bleischweren Elektroautos aber allemal voranbringen werden, ist das Thema Leichtbau. Nach BMW setzen nun auch Audi und Mercedes verstärkt auf Carbonfasern: "300 Kilo Gewichtsersparnis stellen wir uns für Limousinen durch einen Materialmix inklusive Carbon vor", erklärte Weber.

Mit Carbon in die Zukunft?

Der extrem leichte und hochfeste Formel-1-Werkstoff könnte einer der wichtigsten Schrittmacher für die automobile Zukunft sein: "Bis 2020 werden die Kosten für ein Kilo Kohlefasern auf 20 Euro sinken", prognostizierte SGL Carbon-Vorstand Gerd Wingefeld - 1970 betrug der Preis noch 500 Euro je Kilo.

Die Verarbeitung der schwarzen Graphitfasern macht auch heute noch drei Viertel der Gesamtkosten aus. Wenn man die duroplastische Einbettung der Fasern durch thermoplastische Harze ersetze, könnten die Prozesszeiten und damit die Kosten weiter sinken, kündigte Wingefeld an.

"Wir wollen weltweit Leitmarkt und zugleich Leitanbieter für Elektromobilität werden", beschwor der Bundesverkehrsminister in seiner Rede. "Als wir 2010 die Nationale Plattform Elektromobilität gegründet haben, war der Selbstzweifel in der Industrie groß."

Aber es gebe keinen uneinholbaren Vorsprung der asiatischen Hersteller bei den Hochenergiezellen, betonte Peter Ramsauer: "Mit einer weiteren Milliarde Euro für 2012 und 2013 werden wir gezielt auch die Batterieforschung fördern und die Zahl der entsprechenden Uni-Lehrstühle von vier auf acht verdoppeln."

Außerdem sollen drei bis fünf große Elektro-Schaufenster die Praxistauglichkeit der E-Fahrzeuge unter Beweis stellen. Statt direkter Subventionen für den Kauf von E-Mobilen wird es für die Kunden jedoch nur Vorteile beim Parken und einen Entfall der Kfz-Steuer für zehn Jahre geben. Ob das genügt, um einen Boom auszulösen?

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