Elektroautos:Zukunft aus der Dose

Seit die Bundesregierung das Elektro-Auto fördern will, schießt die Hoffnung der Käufer vollends ins Kraut - viel zu früh.

Joachim Becker

"Das Automobil hat seine besten Zeiten noch vor sich", ist Martin Winterkorn überzeugt, trotz der Krise sei die individuelle Mobilität kein Auslaufmodell: "Schon in wenigen Jahren wird der weltweite Absatz mit jährlich 70 Millionen Fahrzeugen höher liegen als jemals zuvor", sagte der Volkswagen-Chef letzte Woche anlässlich des VDA-Techniktags. Die Blechkarawane könne sich mit den Klimazielen der Politik sehr wohl vertragen: "Bei grünen Technologien haben die deutschen Hersteller weltweit die Führungsrolle", so Winterkorn. Ebenso, dass die Branche vor einem grundlegenden Paradigmenwechsel steht: "Wir arbeiten mit Hochdruck an dem Thema Elektromobilität, aber der Weg zu bezahlbaren und vor allem sicheren Elektroautos ist noch sehr weit." Winterkorn wehrt übertriebene Erwartungen ab: 2013 solle der erste Stromer aus der neuen VW-Kleinwagenfamilie Up! starten - doch der Verbrennungsmotor bleibe in den nächsten 20 Jahren die dominierende Antriebsform.

Elektroautos: Vitamin E: Der Elektro-Mini leidet in der ersten Generation noch unter Platzmangel. Die Rücksitze mussten komplett dem Batteriepack weichen.

Vitamin E: Der Elektro-Mini leidet in der ersten Generation noch unter Platzmangel. Die Rücksitze mussten komplett dem Batteriepack weichen.

(Foto: Foto: oH)

Automobilhersteller und Bundesregierung planen, bis 2020 eine Million E-Fahrzeuge auf deutsche Straßen zu bringen. "Autos, die ausschließlich mit fossilen Energiequellen fahren, sind langfristig Auslaufmodelle", sagt Bundesverkehrsminister Wolfgang Tiefensee. Dabei hat Strom als Antriebsquelle bis vor kurzem noch keine Rolle in der Treibstoffstrategie der Regierung gespielt. Erst im August 2007 wurde die Elektromobilität im "Integrierten Energie- und Klimaprogramm" verankert. Hochspannung im Auto hat also eine steile Karriere hinter sich - vor allem in den Augen der Konsumenten: "40 Prozent der Befragten erwarten bei Elektrofahrzeugen eine Reichweite von 250 bis 500 Kilometer", berichtet VW-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg. "Im Durchschnitt sind sie bereit, 2200 Euro mehr für den alternativen Antrieb zu bezahlen." Davon ist die Branche noch kilometerweit entfernt. Je nach Fahrzeugtyp wäre für die angepeilte Reichweite ein Batteriegewicht von 500 bis 800 Kilo nötig. Dadurch würde sich der Preis eines Kleinwagens ungefähr verdreifachen. Der amerikanische Tesla Roadster, ein 1,2 Tonnen leichter Zweisitzer, fährt sich mit 7000 Lithium-Ionen-Zellen fast wie ein echter Sportwagen. Er ist als eines der ersten vollwertigen Batterieautos schon zu kaufen, kostet aber 100.000 Euro und bietet höchstens vier Jahre Garantie auf die Batterien.

Wie viel Leistung die Akkus aus der Consumer Electronic nach acht Jahren Dauereinsatz abgeben, kann bisher noch niemand sagen. Wer mit Strom sparen will, sollte lieber ein Smart-Elektroauto wählen. 100 dieser Versuchsfahrzeuge sind mit einer Leistung von 30 kW (41 PS) in London unterwegs. Weil die kleinen Flitzer lokal weder Abgase noch CO2 ausstoßen, sind sie von der Londoner City-Maut befreit. Zudem liegen die Betriebskosten unter denen eines Smart Fortwo-Benziners: Für den Elektroantrieb sind pro 100 Kilometer nur rund zwei Euro Stromkosten fällig, während der Benziner auf der gleichen Strecke Sprit für mehr als sechs Euro verfeuert.

Sauber Fahren für weniger als die Hälfte? Das ist genau der Stoff, aus dem sich die Träume vieler Kunden speisen. Tatsächlich ist dabei weder der Batteriepreis noch der rapide Akku-Wertverlust eingerechnet - zumal die Smart EV mit überholten Hochtemperaturbatterien unterwegs sind. Beim nächsten Flottenversuch mit 1000 Fortwo kommt eine neue Batteriegeneration zum Einsatz: In Berlin, Rom, Florenz und Mailand werden ab Ende des Jahres abgespeckte Lithium-Ionen-Speicher aus dem Tesla Roadster in den Smart Elektrofahrzeugen unterwegs sein. Die Kalifornier gehören zu den ganz wenigen, die derzeit Stromspeicher für Elektroautos überhaupt liefern können - der Preis spielt bei den Kleinstserien eine Nebenrolle. Die Nutzer zahlen ohnehin nur einen symbolischen Obolus für die dreimonatige Probefahrt in der Elektrozukunft. Beim Mini E liegt die Mietrate bei 400 Dollar, obwohl das Batterieauto einen Wert von mehr als 50.000 Euro hat. "Damit wecken wir beim Kunden völlig falsche Erwartungen", sagt ein führender Automobilexperte, der ungenannt bleiben möchte.

Bis zu 30 Prozent Ausschuss

"Die Lithium-Ionen-Batterien sind eine Riesenherausforderung", sagt Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber, "deshalb arbeiten wir an der Industrialisierung und Standardisierung dieser Technologie." Gerade haben sich die Stuttgarter zu 49 Prozent bei der Evonik-Tochter Li-Tec eingekauft und die Deutsche Accumotive GmbH gegründet, "um mit Hochenergiebatterien künftig interessante Margen zu erzielen und unsere Produkte zu marktfähigen Preisen anbieten zu können", so Weber.

Die Akkus aus Deutschland sollen nicht nur in der eigenen Flotte eingesetzt, sondern auch verkauft werden. Doch das Rennen um die effizienteste Zellchemie und das beste Herstellungsverfahren ist noch komplett offen: "Bei der Produktion von Lithium-Ionen-Batterien liegt der Ausschuss derzeit bei bis zu 30 Prozent, weil kleinste Fehler das ganze System lahmlegen", weiß Wolfgang Steiger, Leiter der VW-Antriebsforschung: "Die Zellen für die Consumer Electronic haben die Hersteller schon im Griff. Aber die viel größeren Abmessungen und Energieinhalte bei den Anwendungen im Fahrzeug machen neue Produktionsverfahren nötig."

Um technologisch nicht zu früh aufs falsche Pferd zu setzen, gehen die meisten deutschen Hersteller Kooperationen mit Batterieherstellern ein - und entwickeln erst einmal ein kleines und leichtes Fahrzeug für die Elektrozukunft: "Wir haben mit dem Smart den Riesenvorteil, jetzt schon über das richtige Fahrzeugkonzept und den richtigen Kundenkreis zu verfügen", freut sich Jörg Prigl. Die Londoner Testfahrer hätten sowohl das Höchsttempo von 100 km/h als auch die Reichweite von rund 100 Kilometern akzeptiert, erklärt der Daimler-Verantwortliche für Smart: "Ein E-Smart wiegt 850 Kilo, also nur 100 Kilo mehr als der Benziner. Allerdings haben wir auf eine gängige Klimaanlage verzichtet, weil ihr Energiehunger die Reichweite um ein Drittel reduzieren würde", so Prigl.

Wohin die Reise gehen soll, hat Daimler jüngst mit drei Konzeptfahrzeugen auf Basis der Mercedes B-Klasse gezeigt: Als reines E-Mobil kommt der BlueZero E-Cell mit einem 100 kW (136 PS) starken Stromer rund 100 Kilometer weit. Danach muss er für rund vier Stunden an die Steckdose, um die Lithium-Ionen-Kapazität von 17,5 Kilowattstunden aufzuladen. Deutlich kürzer werden die Ladezeiten an einer Industriesteckdose mit 380 Volt. Wer längere Strecken plant, müsste zusätzlich zum Batterieantrieb ein Notstromaggregat erwerben. In Kombination mit einem 50 kW (68 PS) starken Dreizylinder-Turbobenziner vergrößert sich die Reichweite auf bis zu 600 Kilometer. Im BlueZero E-Cell Plus treibt der aus dem Smart bekannte Motor nicht direkt die Räder an, sondern lädt mit konstanter Drehzahl die Akkus. Der Verbrauch liegt um die 4,5 Liter, dank der Batterie sinkt der lokale CO2-Ausstoß auf 32 g/km.

Immense Fortschritte gegenüber den 90ern

Ein ähnliches Konzept leitet Opel aus dem Chevrolet Volt ab: Mit einem Batteriepaket, das an der Steckdose geladen werden kann, kommt das Elektroauto rund 60 Kilometer weit. Danach springt ein 1,4-Liter-Benziner an, der aber nicht direkt mit den Rädern verbunden ist. Als mobiles Ladegerät speist er eine Generatorleistung von 53 kW (72 PS) ins Bordnetz und erweitert die Reichweite so um 500 Kilometer. Der Opel Ampera soll im Gegensatz zu den meisten Elektrofahrzeugen bereits 2011 serienreif sein. Nachteil des Plug-in-Hybrids ist das hohe Fahrzeuggewicht von rund 1700 Kilogramm - viel zu viel für ein E-Fahrzeug, das nicht mehr Platz bietet als ein Golf.

Der Fortschritt gegenüber den Neunzigern ist allerdings immens: Damals musste der Audi 80 Duo noch 400 Kilo Batteriegewicht für 50 Kilometer Reichweite rumschleppen. Selbst mit modernster Lithium-Ionen-Technik besitzen Batterien aber nur ein Hundertstel (!) der Energiedichte von flüssigem Kraftstoff. Der 180 Kilo schwere Stromspeicher im Ampera fasst nicht mehr Energie, als in knapp fünf Liter Benzin stecken. "Seit unserem EV1 aus den neunziger Jahren wissen wir, dass wir kein reines Elektrofahrzeug machen werden", sagt Thomas Stephens, Leiter GM Powertrain: "Die Kunden hatten einfach zu viel Angst, unterwegs wegen Energiemangels liegen zu bleiben." Der Haken an der Sache ist, dass die Kraft der zwei Herzen mit rund 40.000 Euro mehr als doppelt so teuer ist als ein herkömmliches Kompaktauto.

Neue Antriebskomponenten machen Autos weder leichter noch billiger oder geräumiger. Beim Mini E fallen die Rücksitze komplett dem Batteriepack mit einer Leistung von 35 Kilowattstunden zum Opfer. Ohne Scheibenwischer, Klimaanlage und Licht kommt der Prototyp immerhin 250 Kilometer weit. Auf dem Weg von München nach Berlin müsste man die Akkus drei Mal aufladen.

VW hat mit dem Golf TwinDrive deshalb ein Versuchsfahrzeug aufgebaut, das wie der Opel Ampera sowohl an Steckdosen als auch an Zapfsäulen betankt werden kann. Ein kleiner 75 kW-Benziner ist variabel mit drei E-Motoren gekoppelt, die jeweils 30 kW leisten. Ab der ersten Umdrehung liefern der Stromer auf der Vorderachse und die beiden Radnabenmotoren in den Hinterrädern ihr maximales Drehmoment. Damit hängen sie im Stadtverkehr fast jeden Benziner ab, können auf der Landstraße den Elektro-Booster zum Beschleunigen nutzen und beim Bremsen auch noch Energie zurückgewinnen. Insgesamt bringt der Plug-in-Hybrid stolze 130 kW (170 PS) Systemleistung auf die Straße und ist über 170 km/h schnell: "Öko hin oder her - unsere Kunden wollen auch in Zukunft schließlich kein Verzichtauto kaufen", ist sich Martin Winterkorn sicher.

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