Elektroautos:Bei ihren E-Autos zeigen die Hersteller zu wenig Gefühl

Lesezeit: 6 min

Es mangelt nicht an den nötigen Produkten. Aber es mangelt den Elektroautos wie dem BMW i3 an Reichweite. Und an Emotion. (Foto: Jan Woitas/dpa)

In Deutschland begann das Zeitalter der Elektroautos mit Verteidigungsfloskeln. Ein Riesenfehler: Die Industrie hätte viel mehr auf Emotionen setzen müssen.

Essay von Thomas Fromm

Vielleicht wäre einiges anders gelaufen, wenn man von Anfang an mit mehr Gefühlen an die Sache herangegangen wäre. Autos, so erzählen uns die Manager in den Autokonzernen seit Jahrzehnten, seien ja vor allem eines: in Blech verpackte, große Gefühle. Ein schönes Auto zum Beispiel lässt sich ja nicht zufällig einfacher verkaufen als, sagen wir, irgendein Aktienfonds zum gleichen Preis. Wer hat schon eine tiefere Beziehung zu seinem Aktienfonds?

Wenn es um diesen alten Trick mit den Emotionen geht, warum nur haben die Marketing-Strategen ihn diesmal dann nicht eingesetzt? Ihre Elektroautos mit Gefühlen aufgeladen und von Anfang in Szene gesetzt wie einen Maserati Quattroporte mit acht Zylindern und 440 PS?

Elektroautos
:Flächendeckend E-Autos? 2025 vielleicht

Kaum einer kauft Elektromobile, die Kanzlerin kassiert das offizielle Eine-Million-Ziel ein. Auch die Autoindustrie zögert - und schiebt den Kunden die Verantwortung zu.

Von Markus Balser und Max Hägler

Als es losging mit den Planungen für Elektroautos, da sagten Manager sehr oft Sätze wie diesen hier: "Unsere Elektroautos dürfen keine rollende Verzichtserklärung sein." Rollende Verzichtserklärung - das klang so, als hätte da ein Automanager Zweifel an seinen eigenen Autos. Elektroautos? Wägelchen für Menschen, die keine anderen Autos mehr fahren können? Oder Müsli-Autos für Menschen, die Autos eigentlich ablehnen? Bloß nicht! Wie peinlich.

So also begann das Zeitalter der Elektroautos in Deutschland. Mit Verteidigungsfloskeln, Entschuldigungen und seltsamen Wortschöpfungen. Sorry, wir bauen eigentlich sonst ziemlich tolle Autos, und hoffentlich bleibt das auch so. Dann kam die Politik mit dazu. Und damit wurde jetzt groß geplant.

Über Nacht wurde aus dem Wirtschaftsminister ein Autoentwickler

An jenem 3. Mai 2010 war es noch nicht zu spät, natürlich nicht. Aber die Bundeskanzlerin machte Tempo, so als hätte sie Angst, dass es bald schon zu spät sein könnte. "Wer heute nicht die E-Mobilität entwickelt und zur Marktreife führt, der wird in wenigen Jahren hintendran sein", sagte Angela Merkel (CDU) damals. Und: "Die Welt schläft nicht."

Schlafen ging schon gar nicht in diesem Frühling der deutschen Elektromobilität. Es gab genug zu tun. Das Land hatte jetzt eine politisch-industriell-wissenschaftliche Initiative mit dem etwas gewöhnungsbedürftigen Namen "Nationale Plattform Elektromobilität", eine Menge Arbeitsgruppen zu Infrastruktur, Batterien und Ladesäulen, dazu kam ein Konjunkturpaket-Förderprogramm, und aus dem damaligen Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle wurde quasi über Nacht Brüderle, der Autoentwickler. "Jetzt entwickeln wir das Automobil neu", sagte er.

Nun war der Minister Brüderle zwar bis dahin nicht als Autoentwickler aufgefallen, aber wo Nationale Plattformen zur Elektromobilität entstehen, da werden aus Wirtschaftsministern auch schon mal Autoentwickler. Als dann ein Jahr später diese so hoffnungsvoll gestartete Plattform ihren nächsten Bericht der Bundeskanzlerin überreichte, da nahm man sich vor, "dass bis 2020 eine Million Elektrofahrzeuge auf unseren Straßen im Einsatz sind". Mehr noch: Bis 2030 könnten es sogar sechs Millionen Fahrzeuge sein. Von wegen hintendran: Deutschland, dieses alte Dieselstinkerland, war jetzt bald ganz weit vorne! Und alle machten mit.

Natürlich ist man hinterher immer schlauer als vorher, aber dass sieben Jahre nach dem E-Auto-Frühling gerade mal an die 34 000 reine E-Autos und 165 400 Hybrid-Fahrzeuge (also Autos mit kombiniertem Elektro- und Verbrennungsmotor) herumfahren würden, hätte man wohl auch nicht gedacht. Auch Angela Merkel wahrscheinlich nicht. Vor ein paar Tagen besuchte sie einen Arbeitnehmerkongress der Unionsfraktion und sagte diesen einen Satz: "So wie es im Augenblick aussieht, werden wir dieses Ziel nicht erreichen." So wie es aussieht - das bedeutet übersetzt so viel wie: Leute, hakt das Ziel ab, das klappt garantiert nicht.

Und wie immer, wenn man weit neben dem Ziel landet, wird auch jetzt nach den Gründen gesucht. Hat die Regierung, die sich seit Jahren Gedanken über freie Fahrten auf Busspuren und Parkplatzprivilegien für E-Autos Gedanken machte, Leuchtturm- und Schaufensterprojekte initiierte und eine Förderprämie von 4000 Euro für E-Auto-Käufer ausschüttete, am Ende vielleicht doch zu wenig getan?

Elektromobilität
:Mit der Lego-Strategie gegen Tesla

Audi, BMW und Mercedes wollen das E-Auto sexy machen - und anders als Tesla Geld damit verdienen. Um Elon Musk im Technikwettlauf zu schlagen, setzen sie auf Bewährtes.

Von Joachim Becker

Die Industrie berichtet zu wenig Gutes über ihre E-Autos

Ja, sie hätte mehr tun können. Doch selbst wenn die Regierung jedem Käufer die Hälfte der Kosten für seinen Elektroauto-Kauf überwiesen hätte, wenn sie für die E-Autos eigene Straßen und eigene Parkplätze in die Landschaft gestellt hätte, ja selbst wenn sie bei jedem Elektroauto noch extra eine teure Uhr im Handschuhfach versteckt hätte - die Sache wäre vermutlich nicht viel anders ausgegangen.

Dass in Deutschland die Elektromobilität nicht vom Fleck kommt, hat nichts damit zu tun, dass die Kaufprämie zu niedrig ist. Und auch nicht damit, dass es zu wenig E-Auto-Modelle gibt. Und schon gar nicht damit, dass die Fahrzeuge, die es gibt, angeblich zu hässlich wären (o.k., einige sind wirklich ziemlich hässlich, aber das sind viele andere Autos auch).

Eines der Probleme ist, dass die Industrie selbst seit Jahren zu wenig Gutes über ihre E-Autos berichtet. Anders als der kalifornische Hersteller Tesla, der seine Fahrzeuge seit Jahren wie Stars präsentiert. So kommt es, dass deutsche Kunden lieber jene alten Autos kaufen, die farbig und elegant in Szene gesetzt werden. Und so kommt es dann auch, dass es bis heute keine gescheite Infrastruktur für E-Autos in Deutschland gibt. Was dann wiederum noch mehr Käufer abschreckt.

Der Diesel war eine sichere und äußerst lukrative Bank

Die Kunden wollen keine Autos, die nach 100 Kilometern mit leeren Batterien stehen bleiben, ohne dass sie wissen, wo man die dann wieder aufladen soll. Wer mit vollbetankten Golfs, 3er BMWs und Daimlers groß geworden ist, wer es gewohnt ist, dass an jeder Ecke der Stadt und auf jeder Autobahn Zapfsäulen stehen, der zögert den E-Auto-Kauf hinaus - wenn es sein muss, bis der letzte Tropfen Sprit durch die Zapfpistole gezogen wird.

Es ist ein Teufelskreis. Auf der anderen Seite standen jahrelang die Hersteller und schraubten weiter tapfer an ihren Dieselmotoren, die in der Zwischenzeit längst kleine Chemie-Werke geworden waren. Sie verdienten mit ihren alten Benzin- und Dieselkolonnen immer noch prächtig Geld. Warum also auf Elektroautos mit ihren teuren Batterien setzen, wenn man das Geld auch anders verdienen kann? Der Diesel war bis zu jenem Septembertag 2015, an dem die VW-Affäre wegen gefälschter Abgasmessungen ausbrach, für die Hersteller eine sichere und äußerst lukrative Bank. Selbst danach noch versuchten die Konzernmanager verzweifelt, ihren Diesel am Leben zu erhalten. Dabei hatte schon fünf Jahre zuvor eine Nationale Plattform das Elektroauto zur nationalen Sache und ein Wirtschaftsminister sich zum Autoentwickler erklärt.

Die Lage im Frühjahr 2017: VW immer noch im Dieselsumpf, Fiat unter Dieselbetrugsverdacht, in dieser Woche Hausdurchsuchungen wegen des Verdachts auf Abgasmanipulationen bei Daimler - die Sache mit dem immer saubereren Dieselmotor war ganz offensichtlich ein Mythos. Hätte man rechtzeitig am Image des hippen Elektroautos geschraubt, statt immer nur vor dem alten Dieselmotor zu sitzen, müssten die Stromer nicht immer noch gegen den Generalverdacht anfahren, "rollende Verzichtserklärungen" zu sein - vieles wäre heute einfacher für die Unternehmen.

Eigentlich sollte der Diesel dabei helfen, die immer strengeren CO₂-Auflagen einzuhalten. Dumm nur, dass man dabei nicht an die ungesund hohen Stickoxid-Werte beim Diesel gedacht hatte. Da man das E-Auto seit Jahren in den hintersten Reihen parkt, heißt es Mal wieder: alles zurück auf null, auf die alte CO₂-Schleuder Benzinmotor. Wer hätte das gedacht.

VW I.D. im Fahrbericht
:Der Elektro-VW der Zukunft beeindruckt schon jetzt

Der I.D. von Volkswagen ist innovativ, geräumig, schnell - und er spricht gern mit den Insassen. Eine erste Testfahrt mit einem Auto, das erst 2020 auf den Markt kommt.

Von Georg Kacher

Es geht um die Angst vor dem Stehenbleiben

Bei der Hauptversammlung von BMW fragte Daniela Bergdolt von der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW) neulich: "Warum sind wir als Säbelzahntiger losgesprungen und beim Thema Elektromobilität als Bettvorleger gelandet?" Die Antwort ist doch klar. Es geht nicht nur um die Frage, ob eine Firma wie BMW die richtigen E-Autos im Angebot hat. Es geht auch um die Angst des Kunden vor dem Stehenbleiben, um Reichweiten und um die Frage, wo die nächste Ladesäule steht. Und es geht im Grunde um die Kultur dieses Autofahrerlandes, das auch ein Autoherstellerland ist. Und die tun sich schwer damit, ihre Historie hinter sich zu lassen und neu zu starten.

Anfang der frühen 80er-Jahre sang ein heute wohl nicht ganz zu Unrecht vergessener junger Mann, dass er Spaß haben will und deshalb richtig Gas gibt. "Mein Maserati fährt 210 schwupp die Polizei hat's nicht geseh'n, und kost' Benzin auch drei Mark zehn, scheißegal, es wird schon geh'n, das macht Spaß, ich geb' Gas, ich geb' Gas." Wenn es um Autos geht, steckt Deutschland immer noch in den 80ern.

Ausgerechnet Norwegen zeigt dem Autoland Deutschland, wie es geht

So ist es wahrscheinlich kein Zufall, dass ausgerechnet ein kleines Land wie Norwegen den Verbrennungsmotor gerade ausrangiert und auf Elektroautos setzt. Gratis-Tanken an Notladestationen, einheitliche Zugänge zum Tanksystem, erschwingliche und flächendeckende Schnellladestationen. An keinem anderen Ort soll es so viele Elektroautos im Verhältnis zur Bevölkerung geben wie hier. Ausgerechnet Norwegen zeigt dem Autoland Deutschland, wie es geht? Ja, ausgerechnet Norwegen. Und das könnte daran liegen, dass dieses Land keine eigenen Autobauer hat. Keine 100-jährigen Traditionen, keine Fabriken, in denen seit Jahrzehnten immer wieder neue Generationen von Verbrennungsmotoren getestet werden. Wer nicht immer an gestern denkt, ist in Zukunft im Vorteil.

Was nicht heißt, dass Deutschland zu spät wäre. Sieben Jahre nachdem sich die Dieselnation eine eigene Plattform Elektromobilität gab, sind andere Länder wie China, die Niederlande und selbst die USA weiter. Aber das absehbare Ende des Dieselmotors ist eine Chance, und nicht ganz zufällig planen die großen deutschen Autohersteller nun den gemeinsamen Bau von Schnellladestationen für E-Autos. Einige Hundert Aufladepunkte entlang der großen Verkehrsachsen in Europa - das ist ein später Anfang, aber es ist ein Anfang.

Wenn dann auch noch die Gefühle mit dazukämen, wäre es fast perfekt. Denn ohne Emotionen lassen sich auch keine Elektroautos verkaufen.

© SZ vom 27.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Marktübersicht
:Mit dem Elektroauto bis zum Gardasee

Auf dem Papier kommen der VW E-Golf und der BMW i3 endlich auf 300 Kilometer Reichweite. Ein neuer Opel schafft deutlich mehr. E-Mobile, die es bereits jetzt zu kaufen gibt.

Von Thomas Harloff

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: