E-Motorrad Energica:Hier Ferrari, dort Lamborghini, dazwischen Elektro-Motorräder

Energica Ego

Das Elektro-Motorrad Energica Ego hat eine Spitzengeschwindigkeit von 240 km/h. Die Batterie reicht für 150 km. Der Preis: 25 000 Euro.

(Foto: Energica)

Wo Italiens Leidenschaft für Motoren besonders intensiv ausgelebt wird, produziert Livia Cevolini rasante E-Bikes. Besuch bei einer PS-Exotin.

Von Ulrike Sauer, Modena

Beim Ampeltest hängt Ego alle ab. Auf Youtube sieht man das Elektromotorrad aus Italien erst gegen den Tesla Roadster antreten, dann gegen eine BMW S 1000 RR HP4, gegen das amerikanische E-Bike Zero S und gegen eine Tesla Model S P85D. Organisiert hat den Spaß ein Ego-Käufer der ersten Stunde. Er holte die stärksten Maschinen aus seiner Garage. Sein Vater schickte noch den spritschluckenden Ferrari 458 mit auf die Piste.

Keiner hatte auf der Viertelmeile eine Chance gegen Ego, das Rennrad des Startups Energica. Im Video-Abspann gibt Firmengründerin Livia Cevolini der Comicfigur Captain America das Wort: "Eine bessere Welt zu erschaffen, bedeutet die alte manchmal niederzureißen." Die junge Italienerin ist seit sechs Jahren kräftig dabei. Sie traut sich, was die großen Hersteller tunlichst unterlassen: Die 37-Jährige setzt voll auf die elektrische Zukunft - und zwar in der Liga supersportlicher Motorräder.

Außenseiterin im italienischen Motor Valley

Es gibt auf dem Markt bereits gemütliche Stromroller und batteriebetriebene Leichtkrafträder. Aber richtige Motorräder? In der Spitzenklasse wagt sich die Branchenprominenz nicht aus der Deckung. Die Außenseiterin aus Modena, mitten im italienischen Motor Valley, der Heimat der Ferraris und Lamborghinis, der Ducatis und Maseratis, schon. Sie hatte zuvor kein einziges Motorrad gebaut. Darum ist Energica so etwas wie Europas Tesla der Motorradwelt, im Kleinformat.

Die Firma ist ein Kind der Krise. 2008 war ein Jahr des Schreckens. Auch für CRP, das Hightech-Unternehmen ihres Vaters. Seit 1970 ist Roberto Cevolini erfolgreich mit den Formel-1-Teams im Geschäft. Die Familie ist auf der Piste zu Hause. Die Krise geht am Motorsport nicht vorbei. Der Rückzug von Honda und BMW aus Formel 1 ist ein Schlag für CRP. Italien fällt in die schwerste Rezession seiner Geschichte. "Andere strichen die Segel, wir diversifizierten", sagt Livia Cevolini. Ein feines Lächeln um die Mundwinkel verbirgt eine eiserne Entschlossenheit.

2011 stand der erste fahrtüchtige Prototyp bereit

Die Familie versuchte, der Krise davonzufahren. Man wollte etwas völlig Neues machen, etwas Einzigartiges, Konkurrenzloses, sagt die Energica-Chefin. Und dabei das Know-how von CRP nutzen, etwa im 3D-Druck. Also stürzte sie sich in die Entwicklung von E-Rädern. 2011 stand der erste fahrtüchtige Prototyp bereit, Rennsiege folgten.

In der Firma sei der Ableger lange Zeit als Sekte angesehen worden, sagt Cevolini. In einer Szene von Garagenbastlern ist die Ingenieurin mit ihrer Geschäftsmission eine Ausnahme. Der Einstieg in die E-Motorradherstellung markiert einen Wendepunkt. Im Rücken hat ihr Start-up 40 Jahre Erfahrung der Mutter CRP. Die Cevolinis treten aus dem Schatten ihrer Auftraggeber. Als Hightech-Partner der Formel-1 liefert CRP den Teams Teile und bietet Problemlösungen an. Kommt ein Rennstall alleine nicht weiter, klopft er in Modena an. Das verlangt Diskretion. Es gelten die Geheimhaltungsstandards der Rüstungsindustrie. Mit der Entwicklung des E-Bikes treten sie niemandem auf die Füße.

Auf das Extrembike Ego folgt nun das Straßenmodell Eva

Das wirkt befreiend. Ego heißt das erste Motorrad von Energica. Ego, lateinisch für ich, ist der Name eines Extrembikes, das anspruchsvolle Kunden zufriedenstellen soll. Auf Ego folgt mit Eva jetzt ein attraktives Straßenmodell. Es heißt wie die erste Frau, die Primadonna. Und wie die Mutter von Livia Cevolini.

Die Unternehmerin erlebt aufregende Tage. Vor zwei Wochen bezog Energica mit 40 Mitarbeitern einen neuen Firmensitz. Wo bis dahin das italienische Modelabel Jucca seine Kollektionen entwarf, dirigiert die E-Pionierin nun den Produktionsstart. Ende Januar brachte sie ihr Unternehmen in Mailand an die Börse und sammelte 5,3 Millionen Euro ein, um die Fertigung anzuschieben und das Vertriebsnetz aufzubauen. Jetzt sitzt die große, dünne Frau fröstelnd in ihrem hypermodernen Büro. Weiße Möbel, weiße Wände, weiß gestrichene Zementböden. Hinter der breiten Glasfront streift der Mai-Wind durch die Lambrusco-Reben.

"Unser Batterieblock ist komplexer als ein Motor"

Nach der Fertigung von Kleinserien gehen Ego und Eva nun in die Produktion. In der 2000 Quadratmeter großen Werkshalle stehen vier Montagestationen ziemlich verloren herum. Bis Jahresende sollen hier 244 Motorräder zusammengesetzt werden. Cevolini peilt für dieses Jahr 6,5 Millionen Euro Umsatz an. Er soll 2017 auf 17,6 Millionen Euro steigen. Im Jahr 2019 will sie mit 2000 verkauften Motorrädern die Gewinnzone erreichen.

Entworfen wurde das Elektro-Motorrad komplett von Energica. Fertigen lässt das Unternehmen die Einzelteile außer Haus. Immerhin habe man die stärkste Lieferkette der Welt vor der Tür. Zusammengebaut werden das Rad und auch die Batterie nun im ehemaligen Lager der Modefirma. "Unser Batterieblock ist komplexer als ein Motor", sagt Cevolini. Ego bringt es auf 240 km pro Stunde Spitzengeschwindigkeit. Die Batterie reicht für 150 Kilometer. Der Preis: 25 000 Euro. Nicht gerade billig, aber immer noch eine Null weniger als ein Ferrari.

Die Arbeiten an neuen Modellen laufen bereits

Als 18-Jährige hatte Livia keine Motoren im Sinn, sondern Kunst. Sie machte im Juli ihr Abitur und wollte nach Florenz an das renommierte Institut Palazzo Spinelli, eine Kaderschmiede für Restaurateure. Sie entschied sich um. Im September nahm sie das Studium der Ingenieurwissenschaften in Parma auf. Was hat sie umgestimmt? Cevolini kichert. Es seien Erzählungen der Eltern aus ihrer Kindheit gewesen. Episoden wie diese: Die Fünfjährige hat 20 Spielkameraden zum Geburtstag nach Hause eingeladen. Es herrscht das übliche Tohuwabohu. Nach einer halben Stunde sitzen alle brav um den Tisch und werden von Livia beschäftigt. "Vielleicht hast Du auch das Zeug, ein Unternehmen zu führen", gibt ihr die Mutter zu bedenken.

Ihr künstlerisches Talent nutzt sie bis heute. "Ich habe die Kreativität in die Welt der Technik gebracht. Und es hat sich gelohnt", sagt sie. Im 3D-Druck genauso wie beim Elektromotorrad. "Energica ist auch Stil, Fashion, Lifestyle, nicht nur Hightech aus der Formel-1." Hinter verschlossenen Türen wird in Modena schon am dritten und vierten Modell gearbeitet. "Als junges Unternehmen sind wir viel elastischer und schneller als ein Massenhersteller", sagt die Italienerin. Die großen Branchenführer müssten ein reifes Produkt in der Hand haben und sich auf einen breiten Markt mit sicherem Potenzial verlassen können, bevor sie sich auf ein neues Geschäft einlassen.

Cevolini glaubt, dass sich die Verbreitung der E-Mobilität am wirkungsvollsten durch den Ausbau der Infrastruktur zum Aufladen der Batterien beschleunigen ließe. "Kaufprämien richten nichts aus, denn die E-Modelle bleiben trotzdem noch eine kostspielige Anschaffung". Sie selbst fährt in Modena 15 Minuten, um ihren BMW i3 an der nächsten Schnellladestation aufzutanken. Sie selbst fährt kein Motorrad, weil sie als Teenager einen schweren Fahrradunfall hatte.

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