Ducati und der VW-Konzern:Käufliche Liebe

Die Kultmarke Ducati gehört bald zum VW-Konzern. Rationale Gründe kann das nicht haben. Die italienischen Zweiräder sind seit jeher ein anfälliges und teures Nischenprodukt. Der Versuch einer Erklärung.

Jochen Wagner

Reiz ist Schönes in Bewegung. Das gilt in der Kunst, auf der Gasse und im Markt. Wo eine rasante Schönheit reizt, wird mancher Verehrer schwach. So schwach, dass er die merkantile Trumpf-Ass zieht: viel Geld. Denn Geld tauscht nicht nur vermeintlich Untauschbares. Geld macht auch sinnlich. Ferdinand Piëch, unumstrittener König bei VW, hat viel Geld, um messbaren Profit in maßlose Passion zurückzuverwandeln. Er hat schon das Märchen von 1001 Nacht in den 1001 PS des Bugatti Veyron verwirklicht. Nun hat am 18. April 2012 die Audi AG die Ducati Motor Holding S.p.A. zu Bologna gekauft.

Ducati und der VW-Konzern: Ducati fahren war schon immer mehr als Fortbewegung. Leidenschaft, Emotion, Faszination, dafür steht die Marke, dafür geben alte Männer viel Geld aus. Auch um sich so zu fühlen wie er: Im Bild fährt der Rennfahrer Valentino Rossi auf seiner Ducati der aktuellen Moto-GP-Saison.

Ducati fahren war schon immer mehr als Fortbewegung. Leidenschaft, Emotion, Faszination, dafür steht die Marke, dafür geben alte Männer viel Geld aus. Auch um sich so zu fühlen wie er: Im Bild fährt der Rennfahrer Valentino Rossi auf seiner Ducati der aktuellen Moto-GP-Saison.

(Foto: AFP)

Piëch ist gerade 75 Jahre alt geworden oder jung genug geblieben, sich zum Geburtstag einen Wunschtraum zu erfüllen. Nun muss niemand mehr fremdgehen, wer zwischen Audi oder Ducati zu wählen vermag. 870 Millionen Euro soll das Schnäppchen gekostet haben, plus 200, 300 Millionen Schulden, die die Bologneser Meccanica noch mit sich herumgeschleppt hat. Der Reiz der mobilen Schönheit war also gewaltig, denn mit Ducati war einst kaum Geld zu verdienen. Das ist pure Passion, Leidenschaft, die Leiden schafft.

Auch wenn die kleine Firma 2011 mit 42.000 verkauften Bikes (4176 in Deutschland) knapp eine halbe Milliarde Rekordumsatz machte - signifikant gehören zur Historie der 1926 von den Gebrüdern Adriano, Bruno und Marcello Cavalieri Ducati gegründeten Radio-Bauteile-Firma manche Havarien. Waren es 1935 im Bologneser Stadtteil Borgo Panigale 7000 Beschäftigte, so sind es heute noch 1150. Es waren aber auch schon mal bloß 150 Leutchen, die, teils monatelang ohne Lohn, die Krisen überleben halfen. 1945 wurde Ducati verstaatlicht. Nach der Spaltung in die Ducati Energia und Ducati Meccanica wurden vom ersten Viertakter namens Cucciolo (Hündchen) mit sage und schreibe 48 Kubik und einem PS um 1950 etwa 200.000 Exemplare verkauft. In den Sechzigern baute man zunächst Automotoren und kleine Motorräder wie Scrambler 200 und 250, Mark 3D, GT 350, GT 500 und die erste V2, die 750 GT.

Ein technischer Meilenstein: 1969 kam die Desmodromik

1969 erfand der bis heute als Heiliger verehrte Ingenere Fabio die Desmodromik. Die über Königswellen, Öffner- und Schließerkipphebel zwangsgesteuerten Ventile (desmos, griechisch: gebunden, und dromos, Lauf) erlaubten gegenüber Ventilfedern höhere Drehzahlen. Doch der sportliche Nimbus bescherte den edlen wie pflegeintensiven Diven keine Markterfolge. Finanziell stets prekär, wurde Ducati 1979 dem VM-Konzern integriert, 1983 von den Brüdern Castiglioni für Cagiva gekauft, 1996 pleite von der Texas Pacific Group übernommen und trotz Börsengang 1999 in 2005 von Investindustrial wieder in italienischen Besitz genommen.

110 Millionen Profit also im Jahr 2011, aber vor allem glühende Passion, wie sie Ducati-Treffen wie in Thal im Osten Münchens oder beim World-Ducati-Weekend in Misano Adriatico bezeugen. Ducatis Mythos sind die legendären Erfolge der Ducati Corse Racing-Truppe. Im Allerheiligsten des Werks tüfteln fast 200 süchtige Berserker, dem 90-Grad-V-Zwo-Motor in der siegreichen Checa-1198R über 200 und der MotoGP von Rossi und Hayden etwa 250 standfeste Cavalli zu entlocken. Ducati-Champions verkörpern den Reiz des schnellen Schönen. Im April 1972, gerade mal vor 40 Jahren, gewann Paul Smart vor Bruno Spaggiari, beide auf Ducati 750 SS, die 200 Miglia von Imola, 1978 holte sich Mike Hailwood auf der Ducati 900 SS die TT der Isle of Man. Und seit Gründung der Superbike-WM 1988 sind es mit Raymond Roche, Doug Polen, Carl Fogarty, Troy Corser, Neil Hodgson, James Toseland, Troy Bayliss und Carlos Checa in 2011 ganze 14 Fahrer- und 15 Konstrukteurs-WM-Titel. Dazu krönte Casey Stoner mit dem Gewinn der Moto-GP-WM 2007 die kleine Motorradschmiede zum triumphalen David gegenüber den japanischen Goliaths Honda, Kawasaki, Suzuki und Yamaha.

Drei Tage hat Bologna damals gefeiert. Unfassbar dafür, dass aktuell die italienische Traumpaarung des Motorradheros Valentino Rossi auf der Moto-GP-Ducati zwischen Platz 6 und 10 hinterherfährt. Doch der Mythos lebt, bar rationaler Argumente oder Legitimationen, von Arbeitsplätzen abgesehen, im ökologischen Szenario aus Peak Oil und Klimagau. Es ist einzig die notorische Lust am motorischen Tanz auf dem Asphalt.

Ihn versteht, wer einmal eine Ducati gefahren, gefühlt hat. Dieser Eindruck brennt sich in Leib und Geist ein, der Ducati-Ritt wird unlöschbar auf der seelischen Festplatte gespeichert - unter Schlüsselerlebnisse. Was so schön, so beweglich, so reizend ist, muss wahr sein. Welche Modelle es auch sind, ihr Authentizitätssiegel ist der 90-Grad-V-Desmo-Motor. Die ultimative jüngste Evolution, die Panigale, benannt nach dem genius loci des Werks, ist eigentlich ein motorisierter PC vor lauter elektronischer Fahrhilfen, die die Puristen sowieso abschalten. Ein atemberaubendes Superbike, direkt vom Circuit halt notdürftig für die Straße zugelassen. Eine Droge aus Motor, Chassis und Finish für Speed, Grip, Drive und: Sound.

Ducati kann man nicht beschreiben, nur fühlen

Die Panigale vereint von der 851 (ab 1988) über die hyperschöne 916er (1994), deren Geschwister 748, 996, 998 (bis 2002) und die im Design umstrittene, aber fahrerisch exzellente 999er bis zur 1098 und 848 (ab 2006), sowie der 1098 R und 1198 (ab 2008) Hightech und Eleganz. Sie ist mit der erstmaligen Abkehr vom sakrosankten Gitterrohrrahmen zugunsten eines - heiklen? - Alu-Monocoque-Chassis, eine technische Revolution. Erstmals pumpt ein Superquadro-Motor mit 112er-Kolben 195 PS aus nur zwei Zylindern über eine kettengesteuerte Desmodromik auf den Asphalt.

Was sich aus dem Erlebnis im Stand entwickelt, kann man nicht beschreiben. Eine Duc verstehen, heißt sie fahren, und zu hören. Sie rumort mitunter nimmer ganz TÜV-konform, aber unfassbar schön. Eine Sirene, akustisch ein Ohrenschmaus, optisch eine Augenweide, technisch ein Gedicht, pure Poesie. Dies Gesamtkunstwerk ist einmalig. Mögen andere vielleicht potenter, billiger, erfolgreicher sein, dies ist der Mythos von Ducati. Er ist zu Hause in der "terra di motori" zwischen Bologna und Modena, wo sie alle hocken, Bugatti, Islero, Ferrari, de Tomaso, Morini, Ducati in Bologna, Lamborghini in Sant' Agata/Bolognese - letztere beiden sind jetzt 30 Kilometer an der Via Modena beisammen.

Tja, Ferdinand Piëch hat eine Panigale. Was mag in ihm denken, wüten, träumen? Es gibt wohl auch im Kommerz ein Unbewusstes, ein Irrationales. Reiz ist nicht nur Schönes in Bewegung. Schön ist auch, was zweckfrei gefällt und vergnügt. Piëch sei Dank bereichern das kunstgeschichtliche Bonmot und die ästhetische Maxime nun auch den Markt. Ducati ist ein Spielzeug gefälligen Vergnügens. Das geht bei der seit 1993 als Dauerseller zeitlosen Monster an und hört bei der jüngsten Superbike-Rakete, die mit Sportauspuff und Steuerungs-Chip mehr als 200 PS hat, nicht auf. Wer nicht als Bückling umherrasen will, kann auf ST-Tourer, Zweiventil-Motoren-Sportler oder verkappte Offroader alla Hypermotard, tourensportliche Multistradas und Powercruiser alla Diavel zugreifen.

Mögen sich orthodoxe Königswellen-Fans der alten Zweiventiler und Freaks neuer Vierventilmotoren, die der Taglioni-Zögling Massimo Bordi mit den Ingenieuren Farné und Mengoli erfunden hat, streiten. Was soll's. Ducati, das ist Anmut, Grazie und Speed. Und die Sehnsucht nach Stil.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: