Douglas DC-3:Es ist ein Mädchen

Im Cockpit einer 67 Jahre alten Douglas DC-3 quer durch die USA: eine Verbeugung vor der guten alten Zeit.

Kurt Braatz

Die alte Lady leidet unter Nachtschweiß, in den flachen Blechwannen zu ihren Füßen glänzt Motoröl. "Das haben sie alle", erklärt Connie Bowlin, denn: Sobald Sternmotoren abgestellt werden, läuft das Schmiermittel in die unteren Zylinder und durch die offenen Auslassventile ins Freie. Öl, sagt Connie, verbraucht dieser Flieger wie andere Kerosin: "Im Stand läuft es raus, in der Luft verbrennt es." Zwischen vier und zwölf Liter pro Triebwerk und Flugstunde sind normal.

Douglas DC-3: Douglas rot-weiß: DieDC-3, Baujahr 1942, trägt die Kennung N-728G und gehört zu den letzten  noch fliegenden Exemplaren dieses legendären Flugzeugmusters.

Douglas rot-weiß: Die

DC-3

, Baujahr 1942, trägt die Kennung N-728G und gehört zu den letzten noch fliegenden Exemplaren dieses legendären Flugzeugmusters.

(Foto: Foto: Braatz)

Connie Bowlin flog als Kapitän mehr als 25 Jahre für Delta Airlines. Als ihr Passagierjets allein langweilig wurden, begann sie, sich für die Klassiker der Luftfahrt zu begeistern; bis jetzt sammelte die schlanke 60-Jährige gut 18.000 Flugstunden auf 80 Typen - heute überführen wir gemeinsam eine Douglas DC-3 von Wisconsin nach Georgia. Einmal von Nord nach Süd durch die USA.

Der Prototyp der zweimotorigen DC-3 flog vor fast 75 Jahren. Damals wollte American Airlines eine Maschine mit bequemen Liegen haben, damit die Passagiere auf Nachtflügen schlafen konnten. Der fliegende Schlafwagen erwies sich aber als wenig profitabel; erst als die Flugzeuge mit 25 bis 35 Sitzen ausgerüstet wurden, entwickelte sich die DC-3 zum Verkaufsschlager. Fast 16.000 Maschinen verließen in 17 Produktionsjahren die Hallen. Unser Exemplar ist Baujahr 1942 und trägt die Werknummer 4359.

Von 1941 an musste die DC-3 in den Krieg ziehen. Sie transportierte Menschen, Waffen und Versorgungsgüter auf allen Kontinenten, schleppte Lastensegler und setzte Fallschirmjäger ab. Die britische Royal Air Force gab ihr den Namen, der bis heute blieb: Dakota. Nach Kriegsende wurden unzählige der Flugzeuge an die zivile Luftfahrt abgegeben und sorgten für gewaltiges Wachstum.

Ohne die DC-3 hätte es keine Berliner Luftbrücke gegeben

Ohne die Dakota hätte es die Berliner Luftbrücke nicht gegeben. Ohne die Dakota wären die Luftstraßen der Welt viel langsamer erschlossen worden. Das erste Flugzeug, das am Südpol landete, war im Oktober 1956 eine Dakota. Auch die Lufthansa nutzte bis Mitte der sechziger Jahre einige Exemplare im Frachtverkehr. Wie viele DC-3 heute noch fliegen, weiß niemand. Schätzungen schwanken zwischen 300 und 1000 Maschinen, in Europa sind nur noch 25 zugelassen.

"Und jetzt noch vier Umdrehungen", fordert Connie und wirft ihr bisschen Körpergewicht gegen einen der beiden mächtigen Propeller, "wir wollen ja nicht, dass unser Mädchen gleich beim Start einen Herzinfarkt bekommt." Denn was vor dem Anlassen noch an Öl in den Brennräumen schwappt, muss herausbefördert werden, indem die Motoren von Hand durchgedreht werden. Der Grund: Öl in den Zylindern erhöht die Verdichtung, ein Zündfunke kann ein Triebwerk in Schrott verwandeln. Also stemmt sich jeder von uns gegen 30 Liter Hubraum und die Kompression von 14 Kolben in mittlerer Kochtopfgröße.

Ins Cockpit gelangt man bergauf von hinten durch die Passagierkabine, denn der Rumpf der DC-3 ragt gen Himmel. Hat man sich vorne durch den schmalen Gang zwischen Funkgeräten, Hydraulik- und Klimaanlage gewunden, um den Sitz des Flugzeugführers zu erklimmen, ist der erste Eindruck: Heavy Metal. Alles aus dem Vollen gefräst. Die Steuerhörner würden einem Hochseeschlepper Ehre machen, auf den Seitenruder- und Bremspedalen hätte auch Schuhgröße 60 Platz, mit den Hebeln für Landeklappen und Fahrwerk könnte man Baseball spielen.

Es schadet aber auch nicht, Klavierstunden genommen zu haben, denn zum Anlassen braucht man Handballen, Zeige-, Mittel- und Ringfinger: Der Handballen hält einen Wahlschalter für eines der beiden Triebwerke, die Finger bedienen drei weitere Schalter für Voreinspritzung, Benzinpumpe und Zündung. Dann sicheln die Propellerblätter durchs Sichtfeld - eine Ölwolke, ein Beben und Rasseln und schon brabbeln die rechten 1350 PS brav vor sich hin, die linken folgen. Spätestens jetzt sollte die Crew Kopfhörer tragen, wenn sie sich verständigen will.

Die Kraftübertragung an die Ruder ist pure Mechanik

Von Connie Bowlin auf dem Copilotensitz kommt die Aufforderung, mich wieder loszuschnallen. Der tote Winkel nach vorne ist so groß, dass man die DC-3 am Boden nur halb stehend bewegen kann, wenn man den Überblick behalten will. Gelenkt wird sie ohnehin kaum mit den Ruderpedalen und den empfindlichen Bremsen, sondern durch asynchrones Gasgeben auf die beiden Motoren. Die Leistung der Dakota wird über den Ladedruck ihrer Triebwerke und die Drehzahl ihrer Propeller gesteuert. Für den Start heißt es also: "All to the Wall" - die gesamte Hebelei auf der wuchtigen Mittelkonsole, mit der dieses Zusammenspiel reguliert wird, wandert Richtung Instrumentenbrett. Erst bei 150 km/h hebt sich das Heck, bei 200 km/h schließlich heben wir ab.

Zehn Minuten später hat die alte Dame unsere Reisehöhe von rund 2500 Meter erreicht. Sanft schaukelnd, wummert sie mit gleichmäßigem Tempo 300 durch die Luft und schlürft dabei stolze 300 Liter Hochoktaniges pro Stunde aus den Tanks. "Das ist nicht viel", sagt Connie, "unterm Strich kommt man bei der Dakota auf ungefähr 750 Dollar pro Betriebsstunde. Ich kenne kein anderes Flugzeug dieser Größe, das man so preisgünstig unterhalten kann."

Wir weichen nach Westen aus, um mit unserer behäbigen Wuchtbrumme nicht in den dichten Verkehr des Flughafens Chicago O'Hare zu geraten. Nun zeigt sich, warum die Steuerorgane so reichlich bemessen wurden: Jeder Richtungswechsel des 13 Tonnen schweren Flugzeuges verlangt nach einer festen Hand und energischer Beinarbeit, weil die Kraftübertragung an die Ruder nichts als pure Mechanik ist.

Hat man die DC-3 aber zum Kurven gebracht, dann dreht sie sich so stocksolide um die Hochachse, wie sie auch geradeaus fliegt. Ihre Eigenstabilität ist enorm. Einmal sauber getrimmt, scheint sie nichts mehr aus der Bahn zu werfen. Nur als die Copilotin ganz nach hinten zum Gepäckraum geht, um zwei Dosen Coke aus der Kühlbox zu holen, senkt sich das Heck sanft um ein paar Zentimeter.

500.000 Nieten halten die DC-3 zusammen

Draußen haben sich in der strahlenden Sonne lockere Haufenwölkchen gebildet. Vor einer halben Stunde ist der Ohio River unter uns weggeglitten, rechts voraus erkennt man Nashville am Horizont. Das Flugzeug wärmt sich bereits recht südstaatlich auf, ein bisschen Frischluft kann nicht schaden - in der DC-3 kein Problem. Ihre Nase ist so geformt, dass sich der Luftstrom schon vor den Seitenscheiben des Cockpits ablöst, wodurch das bei jeder Geschwindigkeit möglich ist, was man vom Opel Manta kennt: Fenster auf und Ellenbogen raus.

Und hier reden wir nicht von Gucklöchern, sondern von Breitwand-Panorama. Ein Genuss. Frei schweift der Blick übers malerische Tennessee, über die blanke Propellernabe des linken Triebwerks, in der sich der Vorderrumpf der Dakota spiegelt, und über die Nieten der 46 Quadratmeter Tragfläche. Unglaubliche 500:000 halten jede DC-3 zusammen; würde man die Nieten aneinanderlegen, ergäbe das eine Strecke von gut fünf Kilometer. Es ist aber besser, sie an Ort und Stelle zu lassen, denn als wir Chattanooga überfliegen, hören wir bereits auf der Wetterfrequenz von Atlanta, dass sich über unserem Ziel Gewitter bilden.

Connie Bowlin entscheidet sich für einen Ausweichflugplatz. Ein freundliches Goodbye vom Streckenlotsen, und nach fast vier Stunden Flugzeit rauschen wir im Leerlauf mit 180 km/h über den Zaun des Airports von Lawrenceville, Georgia. Auf den letzten Metern ein scharfes "Let me have it!" - meine Füße und Hände zucken augenblicklich zurück. Connie zieht sachte das Höhensteuer, und schon pfeifen die Haupträder auf dem Asphalt. Zum Glück, denn: Mit mir am Ruder, unerfahren mit solch großen Maschinen, wäre die Landung mit Sicherheit reichlich hart geworden. Aber die DC-3 tut so, als hätte sie es nicht gemerkt. Gute, alte Lady.

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