Die Krise der Mittelklasse:Kern-Schmelze

Zwischen Kompaktautos und Premiummarken: Die traditionelle Mittelklasse gerät zunehmend unter Druck.

Georg Kacher

Die Mittelklasse steckt in der Krise, und das hat viele Gründe. In Amerika treiben hohe Spritpreise die Kunden aus den durstigen SUV in Kompakt- und Kleinwagen - die Mittelklasse wird dabei glatt übergangen. In Europa wiederum gerät die Mitteklasse gleich von zwei Seiten in die Klemme. Von unten drängt die Golf-Klasse, von oben machen die Premium-Hersteller Druck auf Passat, Mondeo und Vectra. Nur auf den großen Wachstumsmärkten wie China, Indien und Russland kommen Mittelklasse-Autos noch auf hohe Stückzahlen, freilich bei meist bescheidener Rendite.

Die Krise der Mittelklasse: Neue Linien: Weil Golf, Focus und Astra immer größer und besser werden, gerät die traditionelle Mittelklasse unter Druck. Neue Modelle wie der Opel Insignia zeigen, wohin ein Ausweg weist - in die Richtung von mehr Eleganz und Sportlichkeit. Die brave  Limousine hat ausgedient.

Neue Linien: Weil Golf, Focus und Astra immer größer und besser werden, gerät die traditionelle Mittelklasse unter Druck. Neue Modelle wie der Opel Insignia zeigen, wohin ein Ausweg weist - in die Richtung von mehr Eleganz und Sportlichkeit. Die brave Limousine hat ausgedient.

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Im Kern der Mittelklasse brodelt es

In der dritten Welt kann der hohe Nachholbedarf wohl nur durch weiter steigende Energiepreise gebremst werden, in Europa wird dagegen trotz endlicher Stückzahlen auch auf längere Sicht am besten verdient, und in den USA verliert bis auf weiteres fast jeder Anbieter Geld.

Doch die Hoffnung auf bessere Zeiten ist in diesem Mega-Markt offenbar größer als das größte Loch in der Kasse, und wenn die Konjunktur wieder anspringt, dann werden nicht mehr die fetten Crossover sondern die neue Mittelklasse die Kassen klingeln lassen. Wer Premium-Preise durchsetzen kann, der darf auch in der Mittelklasse noch klotzen. Mit Heckantrieb wie BMW und Mercedes, mit Allradantrieb quattro und Höherpositionierung wie Audi, mit Hybridautos wie Lexus oder mit praktischen Lifestyle-Karossen wie Volvo.

Doch im Kern der Klasse brodelt es, denn Ford Mondeo, VW Passat und Opel Vectra/Insignia tun sich schwer gegen den Wettbwerb. Zum einen werden Focus, Astra und Golf immer größer und besser. Zum zweiten machen Marken wie Dacia, Kia oder Skoda mit smarten Angeboten dem Establishment das Leben schwer. Und zum Dritten bieten Premium-Hersteller wie BMW mit Einser/Dreier, Audi mit A4/A5 und Mercedes mit der C-Klasse bezahlbare Alternativen mit deutlich mehr Sozialprestige.

Kern-Schmelze

Doch wohin ausweichen? Nach oben funktioniert nicht wirklich - siehe VW Phaeton. Nach unten schadet möglicherweise der Marke. Zur Seite verlangt Geld und Mut. VW probiert es mit dem neuen Passat CC, Ford plant ein viertüriges Mondeo Coupé und denkt über ein elegantes Coupé-Cabrio nach, Opel arbeitet an einem Insignia-Plus als Omega-Nachfolger, Renault bringt demnächst ein Laguna Coupé und Nissan die Edelmarke Infiniti.

Es wird immer schwieriger, zwischen den Modellen zu differenzieren

Manche Trends sind an der Mittelklasse vorbei gegangen noch ehe sie wirklich einschlagen konnten. Die SUV konzentrieren sich zum Beispiel nach ihrem freien Fall in Richtung Verkleinerung aktuell auf die Kompaktklasse (BMW X1, Audi Q5, Mercedes GLK, VW Tiguan, Renault Koleos), doch schon die nächste Generation dürfte noch kleiner und noch sparsamer werden (Audi Q3, Mini SAV, Skoda Yeti, Mercedes B-Klasse SUV).

In einer Sackgasse ohne Wendemöglichkeit verharren derzeit auch erwachsene Minivans wie Galaxy, Espace, Voyager und Sharan. Ebenfalls auf dem Weg ins Off sind Sechszylinder-Benziner und mittelfristig wohl auch V6-Diesel. Dieses antriebsseitige Entfeinern lässt die Mittel- und die Kompaktklasse immer dichter zusammenrücken - VW Golf und Passat, Audi A4/A5 und A6 teilen sich inzwischen die Essenz eines weitgehend identischen Aggregate-Portfolios.

Die Folge: es wird immer schwieriger, zwischen den Modellen zu differenzieren und dem Kunden das teurere Mittelklasseauto schmackhaft zu machen. Querbeet werden dazu hochwertige Ausstattungselemente und innovative Technik-Features von der Oberklasse nach ganz unten durchgereicht. Das betrifft vor allem die Bereiche Fahrerassistenzsysteme und Infotainment.

Kern-Schmelze

Antriebsseitig setzt man auch in der Mittelklasse auf die bekannte Mischung aus kleineren Hubräumen, Direkteinspritzung und Turboaufladung. Dazu kommen Doppelkupplungsgetriebe, zusätzliche Allradvarianten und das gesamte Mild Hybrid-Spektrum. Eine antriebstechnische Revolution ist dagegen nicht in Sicht. Aus CCS (kombiniertes Diesel-Benzin-Brennverfahren von VW) und Diesotto (ähnliches Prinzip von Mercedes) muss erst noch eine serientaugliche Spritspar-Technik entstehen, der Elektroantrieb steht und fällt mit der Verfügbarkeit leistungsfähiger Lithium-Ionen-Batterien, Brennstoffzelle und Wasserstoff (die BMW-Präferenz) rücken in immer weitere Ferne.

Synergie mit Killer-Effekt

Während Toyota im Januar 2009 die dritte Prius-Generation vorstellen wird und Honda für 2010 den bezahlbaren Volks-Hybrid avisiert hat, verharrt der Rest der Welt in gelähmter Skepsis. GM findet für seinen supergünstigen Malibu Hybrid kaum Kunden, und die Europäer ziehen ohnehin den Diesel vor. Weil man in der alten Welt nicht so recht an der Siegeszug der neuen Wunderbatterien glauben mag, vertraut die hiesige Industrie verstärkt auf den Gasantrieb und auf Bio-Kraftstoffe der dritten Generation.

Strategische Allianzen zeigen auch in der Mittelklasse immer öfter Wirkung. Das gilt unter anderem für die Zusammenarbeit zwischen Nissan-Renault-Dacia-Samsung, Chrysler und Chery; die Aggregate-Kooperation zwischen BMW/Mini und Peugeot/Citroen (PSA); den geplanten Komponenten-Schulterschluss zwischen Daimler und BMW oder die Übernahme von Jaguar/Land-Rover durch Tata und die gemeinsame Sportwagen-Entwicklung von Toyota und Subaru.

Die Ziele sind immer die gleichen - höhere Stückzahlen bei niedrigeren Kosten. Als tragfähiges Mindestvolumen pro Baureihe gelten 300.000 Stück, wobei vor allem die optische Differenzierung sicher gestellt sein muss. Besonders elegant funktioniert dieses DNA-Splitting innerhalb eines Mehr-Marken-Konsortiums wie General Motors (Saturn Aura, Saab 9-5, Opel Insignia) oder Ford (Europa-Focus, US-Focus, Volvo S40/V50, Mazda 3/5). Doch es gibt auch Grenzfälle. In der VW-Gruppe dürfte der neue Superb Combi dem Passat Variant das Leben ebenso schwer machen wie der künftige Seat Bolero dem Audi A4 - Stichwort Synergie mit Killer-Effekt.

Kern-Schmelze

In den nächsten zehn Jahren wird sich die Mittelklasse-Landschaft in Konturen und Inhalten deutlich verändern. Sowohl die Billigmarken als auch die Premium-Anbieter wollen ihre Position ausbauen. So plant Skoda einen zwischen VW Touran und Sharan positionierten Minivan, Kia und Hyundai gehen mit i40/i50/i60 und den Nachfolgern von Cerato/Magentis/Opirus in die Offensive; auch Dacia und Samsung setzen mit dem SM 5 auf die Mittelklasse.

Beispiele für neue Premium-Modelle sind das C-Klasse Coupé/Cabrio von Mercedes, die um ein viertüriges Coupé und einen Shooting Brake zu erweiternde BMW Dreier-Reihe, und die neuen Audi-Varianten A5 Cabrio, A5 Sportback und A7 Coupé. Die Frage, ob sich auch Luxusmarken nachhaltig im Segment zwischen 30.000 und 40.000 Euro etablieren können, ist noch nicht endgültig beantwortet. Cadillac hat in dieser Sache mit dem Cimarron früh Schiffbruch erlitten, der Jaguar X-Type ist nur mäßig erfolgreich, das Bentley Java-Projekt auf BMW Fünfer-Basis wurde noch in den Kinderschuhen gestoppt.

Doch weil die Strahlkraft der Marke in einer immer stärker emotionalisierten Kaufentscheidung an Bedeutung eher zu- als abnimmt, werden wir diesbezüglich sicher neue Anläufe erleben. Bestimmend für das Dilemma der Mittelklasse sind der hohe Kostendruck, die immer noch zunehmende Variantenvielfalt und die sehr breit gefächerte Preisstellung.

Kern-Schmelze

BMW und Mercedes können über ihren Premium-Anspruch einen höheren Aufwand betreiben und durch höhere Erlöse rechtfertigen als beispielsweise VW. Die Wolfsburger wollen statt dessen ihre neue markenübergreifende Modulstruktur dazu nutzen, um aus dem gleichen Grundbaukasten nicht nur die Billigmodelle für China, Russland und Amerika zu entwickeln, sondern auch die entsprechenden Topautos für Europa. Das bedeutet, dass ein Jetta-Nachfolger für die drei Wachstums-Exportmärkte nur rund zehn Zentimeter kürzer sein wird als ein Passat, trotzdem aber auf der viel billigeren alten Golf-Plattform basiert.

Angst vor billigen Reimporten

Dieses Konzept spart Aufwand, Zeit, Material und Produktionskosten. Nach ähnlichem Muster entsteht der Passat-Nachfolger, der größer wird als der Audi A4 und trotzdem dem Quermotorprinzip des Golf treu bleibt.

Damit diese Rechnungen aufgehen, ist vor allem Disziplin gefragt. Denn die deutschen Ingenieure können alles außer billig. Das honorieren vielleicht noch die deutschen Kunden, doch anderswo sind den Käufern die gut versteckten Geniestreiche ziemlich egal. Genau das ist die Crux: Der gute Ruf einer Marke ist auch das Ergebnis der technischen Inhalte, der Preis reflektiert Markenwert und Produktqualität, eine glaubwürdige Positionierung bedingt entweder eine Mehr-Marken-Strategie oder zumindest marktspezifisch differenzierte Produkte. So gesehen können die Wolfsburger nur hoffen, dass möglichst wenige für Assam, Sibirien oder Alaska abgespeckte Mittelklasse-Limousinen den Weg zurück nach Europa finden.

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