Die IAA als Männertraum:Autos und Mädchen, so weit das Auge reicht

Was Männer begehren, wollen sie besitzen. Das wissen auch die Bosse der Automobilunternehmen. Die IAA zwischen Gefühlstheater und Doppelvergaser.

Von Holger Liebs

(SZ vom 12.9.2003) — Nein, blümerant wird keinem zumute auf der 60. Internationalen Automobilausstellung, die gestern vom Kanzler eröffnet wurde. Obwohl sie doch die größte Männerphantasie verkörpert, die sich denken lässt: Cars and girls, wohin man schaut.

Die IAA als Männertraum: Same procedure as every year...

Same procedure as every year...

(Foto: Foto: dpa)

Zwar greifen überall Nadelstreifensakkoarme mit leicht zitternden Fingern aus, die scheu über chromglänzende Karosserien streicheln, sie vorsichtig berühren oder beklopfen, als könnten entflammte Besitzer in spe dadurch einen Gnadenakt erfahren wie bei einer neapolitanischen Madonnenstatue - oder aber das unbelebte Gefährt beseelen wie einst Pygmalion sein Marmor-Mädchen.

Aber immer ist hurtig ein Assistent zur Stelle, der mit einem feuchten Tuch die Fingerabdrücke wegwischt wie Schmutzflecken. Der Fetisch Automobil muss frei bleiben von den Spuren humaner DNA - auch und gerade dann, wenn er so sehr als Sehnsuchtsvehikel für drängelnde Herrenfahrer inszeniert wird wie in den Frankfurter Messehallen.

Begehren = Kaufreiz

Ein ungestilltes Begehren ist eben immer ein starker Kaufanreiz: Das wissen auch die Bosse der Automobilkonzerne, die sich an den Previewtagen stolz neben ihre neuesten Glücksversprechen stellen und gefühlten Automobilismus praktizieren. "This is the closest thing we will ever create to something that is alive", sagt Jaguar-Chef Sir William Lyons neben der silbrig glitzernden Jaguar-Studie R-D6, die tatsächlich aussieht wie ein grimmiger Bodybuilder, gefangen im Körper eines geschrumpften Luxussportwagens.

Nachts sollen vom Fondboden des R-D6 warme Rottöne abstrahlen wie pulsierende Blutbahnen, die Seitentüren öffnen sich gegenläufig wie Schmetterlingsflügel. Den Rest an warmem Anflug besorgt die retroaktive Frontpartie, die E-Type-Sentimentalitäten weckt - wobei aus dem E-Type-Panther von 1961 inzwischen eher eine Art Dogge geworden zu sein scheint.

Ein paar Meter weiter schwärmt Ulrich Bez, Chef von Aston Martin, vom neuen DB 9 im Aluminiumchassis, er sei "created for the heart of the people". Eine Innerlichkeitsrhetorik, die auf die große, glamouröse Sehnsuchtsgeschichte des DB-Typs anspielt, allerdings schon an der Brieftasche im Sakko vor der Käuferbrust abprallt.

Die IAA als Herzschrittmacher

Doch die IAA ist nun mal ein Seismograf und Herzschrittmacher des Imaginären, sie muss erst einmal Aktienkurse und nur mittelbar den Konsum antreiben. Daher ihre Inszenierungswut. Doch selbst den Dax zu befeuern gelingt ihr heuer nicht: Ob's am allgegenwärtigen Trend liegt, neuen Motoren- und Hightech-Wahn oft in alte Designschläuche zu gießen? Oder doch an den Herzesergießungen im Werbejargon der Hersteller - VW, powered by Erich-Fried-Lyrik -, dem doch die meisten Gefährte, in ihren muskulös schwellenden, gleichwohl kalten Metallhäuten, Hohn zu sprechen scheinen?

Die flache Kurvatur des V12-Boliden DB 9 und seine fast fugen- und nahtlose Metallhaut, wie mit wenigen, skizzen-haften Strichen gezeichnet, machen ihn zum High-Tech-Container für den Narzissmus das Passagiers, bedienen emotionale Phantasien - aber am Steuer muss man doch wieder zur kalten persona werden in der anonymen Agora des Straßenverkehrs.

Dennoch weiß die IAA sich sattelsicher in ihrer Schizophrenie zwischen sensualistischem Gefühlstheater und präzisen technischen Fakten, zwischen schwülwarmem Liebeswerben und der Grammatik der Kälte. Es geht um Initiation auf beiden Seiten - und um die Versöhnung von Mensch und Maschine, Ich und Es, Doppelhelix und Doppelvergaser.

Seat lässt auf großen Bildschirmen die DNA-Striche seiner Fahrzeuge leuchten, im BMW X3 zwitschern Vögel und zirpen Grillen vom Band - am Volant pure Natur, auf der Straße nur kalter Asphalt -, und am Stand des frech und mannhaft die Schnauze bleckenden Concept Car Audi Le Mans quattro, einem Bruder im Geiste des Lamborghini Gallardo, sieht man ein Modell seiner neuartigen Thermoverglasung, darunter putzmuntere orangene Margeriten. Unterm handelsüblichen Glas daneben lassen sie verwelkt die Köpfe hängen. Muss man dazu sagen, dass es sich um Kunstblumen handelt?

Mercedes überbietet alle, wie immer

Im großen Überwältigungstheater der IAA ist Mercedes wie immer der Hauptdarsteller. Die Festhalle ist zu einer gigantischen, weißen Muschelspirale umgebaut, zum architektonischen, medial aufgemotzten Nachfahren des Guggenheim Museums von Frank Lloyd Wright in New York. Vom Daimler-Genius hörbar belastet flüstert eine Frauenstimme, während man die Rolltreppe hinauf fährt: "Unsere Ideen zu haben ist schwer."

Dann geht es die Evolutionsspirale in fast immer logischen Schritten abwärts, von Hermann Ahrens' legendärem Mercedes-Benz 500k im braunen Volutenschwung-Ornat der Dreißiger bis zum brandneuen SLR McLaren, der als "Gran Turismo des 21. Jahrhunderts" angepriesen wird, allerdings wohl weniger in der Hautevolee der Luxusklientel als bei den Rappern der Bronx Absatz finden dürfte.

Der wuchtige Karbonfaser-Bolide, dessen Front raketengleich nach vorne schießt - mit einem Dreizackstern in der Größe eines Kanonenrohres -, wurde wohlüberlegt neben einem Formel-1-Silberpfeil und nicht neben dem Vorgänger, dem SLR der Fünfziger, präsentiert, von dem er nur vulgärere Varianten übernimmt. Dies ist ein Automobil für den zeitgenössischen Proletariatskult.

Überhaupt wirken die Physiognomien vieler Neuvorstellungen wie die plötzlich hochgeklappten Visiere von Ritterrüstungen: kantige Nasen und mal angestrengt blinzelnde, mal kalt starrende Augen, wohin man blickt.

Elektronik statt Hormonstau

Die Kriegsmetaphorik der vergangenen Jahre - zähnefletschende Grills, Kampfjet-Chassis, Muskelprotzgehabe - hat sich mittlerweile optisch ein wenig abgeschwächt, wohl auch, weil sie mittlerweile fast bis zum Kleinwagen herunterdekliniert wurde: Die Vehikel zeigen wieder Visagen ohne Hormonstau - dafür steckt in ihnen mehr Elektronik denn je.

Während der Frontspoiler einer preisgekrönten Peugeot-Studie nach wie vor wie ein bösartiges Batmobile mit Rückspiegel-Tentakeln daherkommt, sieht der Toyota-Hybrid CS&S wie ein gekapptes Frühstücksei mit traurig stumpfen Augenhöhlen aus; dem VW-Roadster Concept R dagegen vermochten die Designer fast ein - wenn auch kaltes - Lächeln zu entlocken. Restlos im schnöden Alltag geerdet wirkt die Studie "i" von Mitsubishi: Das großflächig gläserne Ei kommt daher wie eine Plastikwohnblase von Verner Panton - die transparenten Kunststoffsitze erinnern entfernt an Kloschüsseln.

Wo der Kult der Entfremdung als Affirmation der Distanz noch nicht bis zur Banalisierung aufgehoben scheint, wird weiter an der Versöhnung von stählerner Motorisierung und menschlichem Zugriff gearbeitet: so etwa beim grimmig geduckten Bugatti Veyron 16.4, der mit seinen 1001 PS und bei 406 Km/h Spitze einfach nicht am Boden kleben bleiben will.

Im April 2004 sollen die Aerodynamik-Probleme gelöst sein. Fein für die Nordschleife, aber für bundesdeutsche Autobahnen hätte man vielleicht doch eher an der Flugtauglichkeit des Boliden arbeiten sollen.

Innerlichkeitspathos will jedenfalls beim Veyron noch nicht aufkommen - nur ein technologisch vollkommenes Projektil kann zum Gegenstand unstillbarer Sehnsucht werden. Aber das wird schon noch.

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