Deutsche Premiumhersteller:Suche nach dem Stein der Weisen

Zwischen Öko-Denken und Leistungshunger: Die Strategien und künftigen Modelle deutscher Premiumhersteller.

Georg Kacher

Premium ist auch nicht mehr das, was es einmal war. Wer viel Geld für ein Auto ausgibt, der erwartet Spaß und Bewunderung statt Erklärungsnöte und Akzeptanzprobleme.

Sogar Rolls-Royce bekommt das zu spüren und muss umdenken. Der Phantom mit E-Antrieb mag nur ein erstes grünes Feigenblatt sein, doch ein noch kleinerer Rolls unterhalb des Ghost wäre inzwischen sinnvoll.

Auch Bentley muss aufpassen, damit sich die Marke nicht an den durstigen Zwölfzylindern und an dem antiquierten My-Car-is-my-Castle-Selbstverständnis verschluckt. Deshalb planen die Engländer gemeinsam mit Porsche eine Baureihe unterhalb des Continental GT, V8-Diesel-Varianten für den europäischen Markt und sogar einen schlanken Crossover, der am nächsten Audi Q7 mit Alukarosserie andockt.

Die Supersports-Modelle beweisen zwar, dass man in Crewe viel von Fahrdynamik versteht, doch das Gewichtshandicap wiegt schwer genug, um bei Audi in die Ultra-Schule zu gehen. Ultra ist das Stichwort für intelligenten Leichtbau, intern auch bekannt unter dem Kürzel MMSF (Multi-material Spaceframe).

Neben Leichtmetall spielen hier Kohlefaser und hochfeste Stähle die tragende Rolle. Die Mischung ist eine Frage des Preises. Lamborghini darf mit dem teuren Aventador tief in die Karbonkiste greifen, Audi spielt nur in der Oberklasse die traditionelle Alu-Karte, Bentley und Porsche werden nachziehen.

BMW lebt gut im Verbund mit Mini und Rolls-Royce. Die Kleinwagenmarke spielt in Zukunft für die Münchner eine noch größere Rolle, denn der nächste Mini und die drei neuen Einser-Varianten erhalten eine gemeinsame Plattform. Während die Nachfolger der aktuellen Einser-Reihe (Zweitürer, Viertürer, Coupé, Cabrio) dem Heckantrieb treu bleiben, können die Kunden der zusätzlich ins Programm aufgenommenen Varianten zwischen Front- und Allradantrieb wählen.

Das klingt nach Revolution, ist aber bei Audi (A3) und Mercedes (A-/B-Klasse) seit vielen Jahren Stand der Technik. Die von 2013 an einsetzenden neuen Einser sind der Compact Activity Tourer (CAT), ein raumfunktionales Konzept, das sich die Erbanlagen mit dem viertürigen Mini und dem MiniVan teilt.

BMW forciert den Frontantrieb

Der zweite ist ein Zubringer- und Stadtauto nach Art des Audi A1 und des zweitürigen Mini. Der mit dem Clubman verbandelte Family Activity Sports Tourer (FAST) wiederum will eine Mischung aus Touring, Sportback und GT sein. Am Ende sollen sich Front- und Hecktriebler langfristig die Waage halten - mit bis zu einer Million Autos pro Bauart.

Von 2018 an werden auch die Schrägheck-Einser auf Frontantrieb umgestellt. Schon 2012 ist damit zu rechnen, dass die neuen Cabrios und Coupés als Zweier vom Band rollen. Analog dazu gilt es als sicher, dass BMW die zweitürigen Dreier 2013 zur Vierer-Reihe aufwertet.

In dieses Szenario passen ein kleiner Z2 Roadster mit Heckantrieb und ein als Z6 höher positionierter Z4-Nachfolger, den wir auch als Bestandsgarantie für den geliebten Reihensechszylinder begrüßen.

Grundsätzlich sieht die Aggregate-Strategie freilich ein ziemlich rigoroses Downsizing vor. Schon im neuen Dreier, den man auch als GT und als viertüriges Coupé kaufen können wird, dominiert eindeutig der TwinPower-Turbo-Vierzylinder als 2,0-Liter-Benziner und Diesel. Im nächsten Einser setzt mit leichter Verspätung der noch sparsamere 1,5-Liter-Dreizylinder ein, der mit Ausnahme der Topmodelle künftig auch die gesamte Mini-Palette antreiben soll.

Die Nachfolger von X5 (2014) und Siebener (2015) bleiben ihren Konzepten weitgehend treu, doch mit Project i betritt BMW Neuland. Geplant sind vier Modelle: i3 Kompaktauto (2013), i5 Hochdachauto (2015), i1 Stadtauto (2017), i8 Sportwagen (2013) - alle mit Kohlefasermonocoque, Heckmotor und E- oder Hybridantrieb.

Was macht der Erzrivale Mercedes? Die Schwaben haben die Erfahrungen mit Mitsubishi und Chrysler verdrängt und sich mit Renault-Nissan schon wieder einen Nicht-Premium-Partner angelacht. Die Franzosen sollen mit Smart gemeinsame Sache machen und günstige Drei- und Vierzylinder für die neue A-/B-Klasse zuliefern.

Große Synergieeffekte in Form von rund 3,5 Millionen Einheiten pro Jahr sind freilich erst dann zu erwarten, wenn die nächste Mercedes-Kompaktwagenklasse mit der Mégane-Familie und den Nissan-Derivaten fusioniert. Was Mercedes vorläufig fehlt, sind Antworten auf das Project i von BMW und auf den A1/Q1 von Audi.

Mercedes bereinigt die Modellpalette

Auch in Sachen R-Klasse-Nachfolger, weitere E-Klasse-Ableger, Coupé- und Cabriolet-Strategie, Sportwagen-Staffelung und Maybach-Zukunft mangelt es an Stringenz und Systematik. Dafür plant man in der Golf-Klasse eine überraschende Offensive mit mindestens fünf Varianten: A-Klasse, B-Klasse, CLC Coupé, CLC Shooting Brake, BLK Crossover.

Ohne viel Aufsehen, aber mit umso mehr Effizienz hat Mercedes seine alternativen Antriebe in Stellung gebracht. In der A/B-Klasse offeriert man von 2014 an wahlweise Range Extender, E-Antrieb und Brennstoffzelle.

Für die neue C-Klasse ist neben der Brennstoffzelle jener Plug-in-Hybrid fest eingeplant, der auch in E- und S-Klasse für rasch wachsende Einbauraten sorgen dürfte. Um auch über längere Strecken von 30 bis 50 km einen rein elektrischen Betrieb zu ermöglichen, favorisieren die Techniker relativ starke E-Motoren mit 100 PS und mehr. Die Brennstoffzelle dürfte zwar Ende 2013 marktreif sein, doch der Erfolg steht und fällt mit der noch lückenhaften Wasserstoff-Infrastruktur.

Bei den Verbrennern bleibt Mercedes der Dreifaltigkeit aus Vierzylinder, V6 und V8 treu. Etwaige Dreizylinder kommen von Renault, der betagte V12 wird gepflegt, solange Bedarf besteht. Dem Trend zur Neunstufenautomatik will man sich ebenso wenig verschließen wie dem Doppelkupplungsgetriebe, die Zukunft des Handschalters beschränkt sich damit auf die neuen Fronttriebler.

Auf MRA-Basis (Mercedes Rear-wheel Drive Architecture) entstehen nicht nur die nächsten C-, S- und E-Klassen, sondern auch der Baukasten für künftige Sportwagen. Die Zusammenarbeit mit dem japanischen Karbon-Vorreiter Toray soll dabei helfen, Gewicht zu reduzieren und die modularen Strukturen optimal zu nutzen.

Außerdem will man die inzwischen ziemlich verschachtelte Modellpalette bereinigen. So ist vorgesehen, der C-, E- und S-Klasse neue Coupés und Cabrios zuzuordnen. Als zusätzliche E-Klasse-Variante ist ein sportlich-eleganter Hochdach-Viertürer im Gespräch, der zeigen könnte, was aus dem R-Klasse-Flop gelernt wurde.

Zusätzlich zu SLK, SL (neu 2012) und SLS ist ein kompakter SLC in Planung, der von 2016 an mit Front-Mittelmotor, Leichtbaukarosserie und V6-Biturbo im Revier des Porsche 911 wildern soll. Falls die Marke Maybach eingeschläfert wird, könnte es von der nächsten S-Klasse auch eine Extra-Langversion und ein viertüriges Coupé geben.

Feindbild für BMW und Mercedes: Audi

Für BMW und Mercedes hat sich Audi als gemeinsames Feindbild herauskristallisiert. Die Ingolstädter haben in der Tat einen bewundernswerten Lauf, den sie mit der mittelfristigen Neuordnung und Erweiterung der drei Standbeine A, Q und R konsolidieren wollen.

Der Nachfolger des A3 auf Basis MQB (modularer Querbaukasten) ist praktisch startklar. Zu Schrägheck und Sportback gesellen sich von 2012/13 an eine sehr hübsche viertürige Limousine und ein deutlich eigenständigeres Cabrio. Eine Stufe tiefer dürfte der zäh angelaufene A1 von der viertürigen Sportback-Version (2011) ebenso profitieren wie von der Quattro-Option und stärkeren Motoren.

Der A1 e-tron mit Wankel-Range-Extender muss dagegen wohl der großen Konzernlösung auf Golf-Basis weichen, die mit E-Antrieb und Range Extender deutlich pragmatischer ausfällt. Das A1 Cabrio und der Shooting Brake stehen zwar auf Abruf bereit, gehören jedoch wegen der kurzen Restlaufzeit nicht zu den Lieblingen der Controller. Der Q1 kommt vermutlich erst 2016, wenn die MQB-Matrix auch in der Polo-Klasse einsetzt.

Dessen ungeachtet wird die Q-Reihe für Audi zu einem immer solideren Standbein. Der nächste Q7, der fast 300 Kilo abspecken muss, soll mit seiner Alukarosse auch fahrdynamisch Akzente setzen. Der Q3 ist schon im ersten Jahr für 100.000 Einheiten gut, und der Q5 profitiert durch das baugleiche Schwestermodell Porsche Cajun, das 2013 kommt.

Aktuell legen die Designer letzte Hand an den Q6, mit dem Audi von 2015 an dem BMW X6 die Schau stehlen will. Neben dem Crossover-Coupé befindet sich ein zweitüriger Q4, von dem auch ein Porsche-Derivat diskutiert wird, in der Vorentwicklung. Den angedachten Q9 hat Audi dagegen ebenso gestoppt wie BMW den X7.

Ein A9 könnte dagegen als Showcar bereits auf der IAA debütieren. Das viersitzige Coupé auf A8-Basis lässt sich leicht in ein wunderschönes Cabrio verwandeln. Ebenfalls für Frankfurt avisiert hat Audi das Facelift für den A5. Der neue A4 kommt aber erst 2014, die Reinkarnation des umweltfreundlichen A2 mit E-Antrieb und Hochdach-Design wurde bis 2016 vertagt.

Während die zweite Generation des Lamborghini Gallardo 2013 ins Rennen geht, müssen wir auf den R8-Nachfolger bis 2015 warten. Beide besitzen eine Alu-Architektur ohne hohen Karbonanteil.

Porsche macht sich unentbehrlich

Der angedachte R5 steht und fällt mit dem Porsche 550 und mit dem VW Mimo-Sportwagen. Mimo steht für Mittelmotor. Dabei handelt es sich bei VW um einen klassischen Reihenvierzylinder, bei Porsche um einen neuen 1,6-Liter-Boxer und bei Audi um die Evolution des bis zu 350 PS starken Fünfzylinders.

Gemeinsam könnten R5 und R8 Akzente setzen, ohne dabei die Porsche-Klassiker direkt ins Visier zu nehmen. Doch der R5 steht unten auf der Prioritätenliste, denn die Systemführerschaft hat Porsche, wo bis auf weiteres andere Baustellen die Kapazitäten binden. Deshalb konzentriert sich Audi vorläufig auf die dritte Ausgabe des TT, der von Ende 2013 an im Rahmen des Downsizing zunächst auf den Vierzylinder setzt.

Die großen Gegenspieler von Audi heißen BMW, Mercedes - und Porsche. Die Stuttgarter haben zwar die Crossover-Entwicklung komplett an Ingolstadt abgegeben und werden auch das im Prinzip Panamera-kompatible A8/A9-Thema mehr oder weniger freiwillig Audi überlassen, doch die Systemführerschaft für sämtliche Sportwagen liegt von 2014 an bei Porsche.

Mehr noch: Auch das Erbgut der sportlichen Zwei- und Viertürer wird ab sofort in Zuffenhausen definiert. Dazu gehören nicht nur Panamera und Bentley Continental, sondern auch die künftige kleine Porsche-Familie (Deckname Pajun), der erwähnte kompakte Bentley sowie die dritte Lamborghini-Baureihe mit dem Estoque als Coupé und viertürige Sportlimousine.

Ebenfalls zur Porsche-Domäne gehören alle Sportwagen. Hier reicht das Spektrum vom 550 über die Nachfolger von Boxster (2012) und Cayman (2013) bis zum neuen Elfer (2011), den 918 Spyder (2013) und den 960-Supersportwagen (2015). Während der nächste Gallardo und der nächste R8 noch unter Audi-Regie entstehen, fällt die Nachfolgegeneration in den Verantwortungsbereich von Porsche.

Gleichzeitig verliert Audi die Kontrolle über künftige Lamborghini, die aus dem in Weissach erarbeiteten Modularen Sportwagen-Baukasten (MSB) hervorgehen. MSB funktioniert mit Frontmotor, Mittelmotor und Heckmotor; mit Hinterrad- und Allradantrieb; und in allen erdenklichen Aufbau- und Materialkonstellationen.

Mit diesem flexiblen Technik-Netzwerk macht sich Porsche auf einen Schlag im Konzern unentbehrlich.

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