Deutsche Flussfähren:Ein ewiges Hin und Her

Flussfähren in Deutschland haben eine lange Tradition und sind weit mehr als nur touristische Fotomotive.

Marcus Müller

Es muss schnell gehen, wenn Karsten Grunow seine Tussy II belädt: links ein Auto, rechts ein Auto, bis alle acht Stellplätze belegt sind, dann kommen Fahrräder und Fußgänger. Doch Grunow hat vor dem nächsten Fahrgast noch ein paar Sätze für jeden übrig: Mit denen, die er kennt geht's um die Familie, mit den Auswärtigen um alles Mögliche. Und am Ende sagt er den Autofahrern: "Handbremse anziehen." Schließlich soll niemand während der Fahrt von Bord rollen.

Deutsche Flussfähren: Fährmann, hol über: Die Tussy II schippert zwischen Geltow und Caputh über die Havel.

Fährmann, hol über: Die Tussy II schippert zwischen Geltow und Caputh über die Havel.

(Foto: Foto: Müller)

Karsten Grunow ist Fährmann. Gemeinsam mit seiner Mutter betreibt er in der Nähe von Potsdam die gut 23 Meter lange Seil-Fähre Tussy II, die zwischen den Orten Caputh und Geltow über die Havel schippert. Bis zu 100 Mal fährt der flache, sogenannte Prahm mit zwei Lade-Rampen jeden Tag die 80 Meter hin und her. Geradezu malerisch landet er auf der Caputher Seite neben dem alten Fährhaus an, dessen Terrasse auf Bohlen über dem Fluss schwebt. Dort bekam die alte Fähre zu DDR-Zeiten an einem Stammtisch auch ihren Namen, weil sie sich wegen technischer Probleme vermeintlich wie eine "Tussy" aufführte. Der Ort Caputh hat einige Berühmtheit dadurch erlangt, dass einst der Physiker Albert Einstein hier sein Sommerhaus hatte. Die ältere Touristenattraktion aber ist die kleine Fähre, die schon um 1900 auf Postkarten gedruckt wurde.

Zwar ist die seit 1853 bestehende Familientradition der Caputher Fähre noch recht kurz, doch sie ähnelt den anderen 339 in Deutschland existierenden Binnenfähren. Diese mögen zwar bei den heute möglichen, immer längeren Brückenschlägen so wirken, als seien sie etwas aus der Zeit geraten, aber sie halten sich, meist an den ursprünglichen Anlegestellen, oft schon sehr lange.

Die Familientradition sei typisch, erklärt Friedrich-Wilhelm Brandt von der Arbeitsgemeinschaft (AG) Binnenfähren des Deutschen Schifffahrtsmuseums in Bremerhaven. Diese führt Buch über die Fähren und erforscht deren Geschichte auf Flüssen, Seen, Kanälen und in Häfen von der Flensburger Förde bis zum Bodensee.

Ein ewiges Hin und Her

Ursprünglich bekamen einzelne Familien vom König oder Fürst das Fährrecht für eine "schwimmende Brücke", erklärt Brandt. Die Kenntnisse und der Betrieb wurden dann an die Söhne weitergereicht. Da die Fährleute rund um die Uhr zum Dienst verpflichtet waren, bot es sich ebenfalls an, das Geschäft in der Familie zu lassen. Da Fähren außerdem offenbar "Durst machen", so Brandt, "gibt es auch die sehr lange Fährhaus-Tradition".

Viele Fährleute waren auch auf die Gastwirtschaften angewiesen. "Der Fährbetrieb allein hat früher die Familie nicht ernährt", sagt Klaus Hammerl, "das gelang erst mit der zunehmenden Motorisierung während des Wirtschaftswunders." Hammerl betreibt in der deutschlandweit wohl längsten Familientradition die Loreley VI auf dem Rhein.

Bereits 1532 wird sein Urahn Peter Menges als sogenannter Schiffsbrückendiener bestellt und in einem Steuerbuch erwähnt, seit 1794 ist das Unternehmen ununterbrochen ein Familienbetrieb. Bis 1980 jedenfalls handelten die Hammerls auch noch mit eigenem Wein. Die Gastwirtschaft gab es ein paar Jahre länger: "1994 hat die Mutter die Weinstube zugesperrt", sagt Hammerl, der das Fährgeschäft 2002 von seinem Vater übernahm. Besonders der technische Fortschritt erforderte immer wieder hohe Investitionen. Die 1868 gekaufte Loreley I war die erste Dampffähre auf dem Mittelrhein. Meist machte es der immer schneller werdende Verkehr auf dem Rhein nötig, eine neue Fähre anzuschaffen.

Ein ewiges Hin und Her

Die 2003 in Dienst gestellte, nach Hammerls Anforderungen eigens gebaute Loreley VI kann nun bis zu 30 Autos in etwa drei Minuten im Schatten des Loreley-Felsens von St. Goar nach St. Goarshausen befördern. Wie bei der Fähre in Caputh ist auch bei Hammerl Zeit Geld. Die Loreley VI wird gleichzeitig be- und entladen. "Es ist wichtiger, die Umschlagszeit zu reduzieren, als die Zeit für die Überfahrt", sagt Hammerl. Auf bis zu 120 Querungen kommt er pro Tag.

61 Fähren hat die AG Binnenfähren insgesamt auf dem Rhein gezählt, bundesweit sind das die meisten, gefolgt von 46 auf der Elbe und 25 auf der Weser. Erst 1993 hat die Fähre Kronsnest in Schleswig-Holstein als wohl kleinste Fähre Deutschlands ihren Betrieb wieder aufgenommen, sie wurde bereits 1576 erstmals erwähnt. Sieben Passagiere kann der Fährmann über die Krückau zwischen den Orten Seester und Neuendorf bei Elmshorn setzen.

Bei den meisten anderen Fähren handelt es sich um ein Geschäft - mit einem notwendigen Verkehrsmittel. So ist die Loreley eine von sechs Autofähren auf den gut 100 Kilometern zwischen Koblenz und Mainz, denn eine Brücke gibt es hier bisher nicht. Karsten Grunow erspart mit seiner Tussy II Autofahrern gut 20 Kilometer Strecke. Stolz ist der 40-Jährige darauf, dass er seit 1998 die Fahrpreise für Autos nicht erhöht hat, zwei Euro kassiert er pro Wagen. Hauptsächlich in den Sommermonaten verdient er sein Geld, dann muss auch das Privatleben hinten anstehen, sagt Grunow. Seine Freundin kann damit leben: Sie hat ihm eine Kette mit der Gravur "Tussy III" geschenkt. Kennengelernt hat sich das Paar natürlich auf der Fähre.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: