Design-Rückblick 2006:Vorsprung durch Gestaltung

So wie Starköche ihre kulinarischen Träume kreieren, so muss man sich die Designarbeit an einem Automobil vorstellen. Nur wenn das Menü als Ganzes harmoniert, wird sich der visuelle, haptische und auch akustische Genuss einstellen: Ein Rückblick auf automobile Ästhetik 2006 am Beispiel einiger besonders gelungener Modelle.

Peter Naumann

Dass mittlerweile Design beim Kauf eines Automobils die herausragende Rolle spielt, ist längst kein Geheimnis mehr. Wenn wir also wissen, dass in Deutschland jeder siebte Arbeitsplatz allein von der Autoindustrie abhängt, so muss man kein Genie sein, um den Schluss zu ziehen, dass für die deutsche Wirtschaft die Gestaltung ihrer Produkte überlebenswichtig ist.

BMW Studie Mille Miglia

Die BMW Studie Mille Miglia: Erinnerung an vergangene Reisekultur.

(Foto: Foto: oh)

Die Frage ist, ob man sich der Brisanz dieser Erkenntnis auf allen Entscheidungsebenen bewusst ist und ob schon Weichen in die richtige Richtung zeigen. Ich fürchte nein und das hat vermutlich damit zu tun, dass man nicht glauben mag, dass unsere Zukunft von irgendwelchen ,,Künstlern'' abhängen soll.

Hochkarätiges Design ist auch oft irrational

Auch wenn die Automobilindustrie um die Wichtigkeit des Designs weiß, so ist die finanzielle Ausstattung mit zwei bis drei Prozent des Entwicklungsbudgets vollkommen unterbelichtet. Man darf ja gar nicht laut darüber reden, mit welch primitiven Mitteln die Designer arbeiten und sich so manche Nacht um die Ohren schlagen. Dabei entwickelt sich hochkarätiges Design oft aus irrationalen, ja sogar alogischen Komponenten, die dem Ganzen emotionale Spannung und stilistische Würze verleihen.

Längst wird die Vorreiterrolle Deutschlands in Sachen Design international anerkannt und hoch geachtet. Nur bei uns selber glauben manche immer noch, dass gutes Design aus Italien kommt und Colani heißt. Unsere Freunde aus Asien haben für diese Umstände ein feines Näschen entwickelt. Man weiß bei Kia & Co. sehr genau um die eigenen Defizite und ist bereit, hohe Summen auch für Design auszugeben, um die Aufholjagd zu beschleunigen. Dazu gehört auch die Rekrutierung deutscher Spitzendesigner.

Jetzt wissen wir, dass die Sache mit dem Design eines Automobils nicht so einfach ist. Noch viel schwieriger ist es, die richtigen Entscheidungen zu treffen. Das Design einer Automarke kann immer nur so gut sein, wie es die oberste Etage zulässt. Chefdesigner brauchen da ein dickes Fell, um mit diplomatischem Geschick und ausgefeilter Psychologie den Vorstand auf den richtigen Weg zu lotsen.

Symbiose aus Eleganz, Sportlichkeit und Harmonie

Wenn die Volksseele beim Anblick des neuen Vehikels dennoch kocht und das mediale Sperrfeuer einsetzt, möchte man nicht in der Haut des obersten Geschmacksverantwortlichen stecken. Chris Bangle muss sich da keine Sorgen mehr machen. 2006 hat der BMW-Chefdesigner zwei große Würfe an die Händler ausgeliefert. Zum einen das ausgesprochen knackige Z4 Coupé und zum anderen das unverschämt gutaussehende Dreier Coupé.

Hier gehen Eleganz, Sportlichkeit und Harmonie der Proportionen eine Symbiose ein, die so mancher Fan der Marke in den letzten Jahren vermisste. Die Linie, die sich vom Frontscheinwerfer über die Flanke zu den Rückleuchten des Coupés durchzieht, verdient das Prädikat wertvoll. Das Interieur sitzt und passt wie ein feiner Lederhandschuh. Schon beim Z4 Coupé war dieser neue Zug im Design zu spüren, auch wenn es skulpturaler und verspielter auftritt. Auch die Studie Mille Miglia ist als wegweisendes Design-Beispiel 2006 zu nennen. Sie erinnert an die Reisekultur der dreißiger Jahre und ist gleichzeitig in die Zukunft gerichtet, weil sie Sinnlichkeit ausstrahlt, ohne gleichzeitig extrem aggressiv zu sein.

Audi macht's richtig

Bei Audi dürfte die Formel ,,Vorsprung durch Technik'' mittlerweile genauso berechtigt ,,Vorsprung durch Design'' lauten. Aufgebaut von Hartmut Warkus und Peter Schreyer, bringen Walter de'Silva und der neue Chefdesigner der Marke Audi, Stefan Sielaff, das Design der vier Ringe zur vollen Blüte. 2006 wurde uns mit dem neuen TT ein phantastischer Sportwagen beschert, der so manchen automobilen Traum in den Schatten stellt.

Im Exterieur hat man die Gestalt des ikonenhaften Vorgängers richtig in die Gegenwart übersetzt und dazu einen animalischen, ausgesprochen dynamisch wirkenden Körper modelliert. Im Fahrzeuginneren findet der Fahrer einen cockpitähnlichen Kommandostand, der das Herz höher schlagen lässt. Mit dem Q7 hat Audi bereits die Welt der fahrenden Einbauschränke aufgemischt und als nächstes wird der R8 die Liga der Supersportwagen durcheinander wirbeln.

Vorsprung durch Gestaltung

Nun hat Audi im eigenen Konzern mit Škoda einen sehr erfolgreichen Mitstreiter, dem so etwas wie die Quadratur des Kreises gelungen ist. Denn Familienväter beschleicht nicht selten das ungute Gefühl, dass Tourans, Vaneos oder Scénics kollektives Mitleid auslösen. Das macht die Lust aufs Kinderkriegen nicht unbedingt leichter.

BMW Studie Mille Miglia

Sinnlichkeit ohne Aggressivität.

(Foto: Foto: oh)

Klasse Design, innovative Details

Wie kommt es, dass gerade Škoda mit dem Roomster beweist, dass Praktikabilität und Ästhetik sich nicht ausschließen müssen. Thomas Ingenlath, vielleicht einer der visionärsten Automobildesigner, hat das Unmögliche möglich gemacht. Ein klasse Design und viele innovative Details für einen konkurrenzlos günstigen Preis. Es wird spannend, welche Impulse Ingenlath als Leiter des neuen Designstudios in Potsdam der Marke VW geben kann.

Für die, die sich noch mitten in der Familienplanung befinden, ist der Volvo C30 eine zeitgemäße Interpretation des legendären Schneewittchensargs. So gelingt dem Designteam um Steve Mattin ein eigenständiger Entwurf, der besonders durch die spannende Heckansicht mit der gläsernen Klappe zu begeistern weiß. Aber auch in der Silhouette und von vorne demonstriert dieses kleine Coupé typische Volvo-Züge. Der Innenraum kann da nicht ganz mithalten und erinnert ein bisschen an den letzten Besuch beim schwedischen Möbelhaus.

Mazda MX-5 und Alfa Romeo Brera

Wenn die Kinder schon dabei sind, das Elternhaus wieder zu verlassen, steht der Lust auf den Urtyp des offenen Roadsters nichts mehr entgegen. Der neueste Mazda MX-5 ist ein rundherum perfekt gestaltetes Auto fern jeder Stylingwut. Eigentlich ist das gar kein Auto, sondern eine Zeitmaschine, die uns das Gokartfahren unserer Kindheit wieder erleben lässt und uns zeigt, mit welch bescheidenen Mitteln sich Faszination einstellt. Schon fast puristisch funktional lassen sich die formalen Details auf geometrische Grundformen zurückverfolgen. Chefdesigner Nakamuta hat damit eine feine Harmonie von Design und Technik geschaffen.

Wenn es noch etwas mehr sein darf, sollte man bei Alfa Romeo vorbeischauen. Mit dem Brera und dem technisch baugleichen Spider hat sich Giorgetto Giugiaro, der Meister der italienischen Blechschneider, ein Denkmal im Herbst seiner Karriere geschaffen. Von der vorausgegangenen Designstudie wurde so gut wie nicht abgewichen und so bekommt man ein Manifest italienischen Designs. Besonders das Heck wird jene verzücken, die dieses Projektil nur von hinten zu sehen bekommen. Das Interieur zeigt allerdings leichte Schwächen.

Vorsprung durch Gestaltung

BMW Studie Mille Miglia

Hochkarätiges Design entwickelt sich oft aus irrationalen, ja sogar alogischen Komponenten, die dem Ganzen emotionale Spannung und stilistische Würze verleihen.

(Foto: Foto: oh)

Aber um von Mailand wieder nach München zurückzukehren. Sir Alec Issigonis, der Erfinder des kleinsten Kultautos der Welt, wäre mit Gert Hildebrand sehr zufrieden gewesen. Hildebrand ist Chefdesigner von Mini und damit verantwortlich für dessen überragenden Erfolg. Jetzt ist die überarbeitete Version da und Sie werden fragen, wo ist denn da der Unterschied zum Alten.

Warum sieht ein Opel wie ein Peugeot aus?

Genau das war das Ziel und wenn beide Modelle nebeneinander stehen, reift die Erkenntnis, dass die Designer jetzt alles verwirklichen konnten, was in der Hektik des ersten Wurfs zu kurz gekommen war. Das Auto steht jetzt sportlicher und kompakter auf der Straße und hat mit vielen neuen Details seinen Spielzeugcharakter abgelegt. Wenn die familienfreundliche Kombiversion kommt, werden vermutlich alle Dämme brechen.

Die hier beschriebenen Fahrzeuge haben es geschafft, zu polarisieren und ästhetisch Maßstäbe zu setzen. Dass man so manches Fahrzeug vermissen mag, hängt mit meiner Enttäuschung über die jeweiligen Ergebnisse zusammen. Warum sieht ein neuer Corsa aus wie ein Peugeot mit dem Logo von Opel, wieso ist ein Mercedes CL so weichgespült und was haben die Chromlippe und die Tränensäcke eines VW Eos, bitteschön, mit der VW-Identität zu tun?

Das Zeitalter des Dynamismus verblüht

Hier erfüllen sich nicht die Visionen, die man diesen Marken zugetraut hat und man fühlt sich nicht selten an das Märchen vom Kaiser und seinen neuen Kleidern erinnert. Irgendwann sind die Verantwortlichen wohl auf der falschen Fährte schon zu weit vorangetrabt, als dass sich noch jemand trauen würde, stopp zu sagen.

Das wird auch so bleiben, denn es kann immer nur eine kleine Gruppe erstklassiger Designer geben und als Pendant die entsprechend mutigen Entscheider. Aber seien wir uns auch bewusst, dass das Zeitalter des Dynamismus, also der uneingeschränkten Mobilität, am verblühen ist. In nicht allzu ferner Zukunft werden wir ein kleines Vermögen für Bennstoffe ausgeben müssen, um uns den Luxus einer Ausfahrt mit unseren wunderbar gestalteten Kraftwagen zu gönnen.

Der Autor ist Fahrzeug- und Produktdesigner und Professor für Industriedesign an der FH München.

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