Design-Geschichte:Vom Winde beweht

Der Mercedes 540K Stromlinienwagen von 1938 mit seiner Aluminiumkarosserie.

Unikat im Luftstrom: Der Mercedes 540K Stromlinienwagen von 1938 mit seiner Aluminiumkarosserie.

Aerodynamik ist eines der wichtigen Elemente bei der Gestaltung von Automobilen. Die Stromlinienform, die in den 1930er-Jahren zu spektakulären Fahrzeugen führte, lebt im Zeitalter von Effizienz und Nachhaltigkeit nun wieder auf.

Von Joachim Becker, Hans-Ulrich von Mende

Sie waren Geisterfahrer einer anderen Art, jagten mit damals unvorstellbarem Tempo durch die Nacht, gehüllt in Karosserien, die kaum ein Mensch je zuvor gesehen hatte. "Eine Prüfung besonderer Art sind unsere Versuche mit einem schnellen Stromlinien-Kompressor-Wagen auf der Reichsautobahn, um das Verhalten der Bereifung bei schneller Dauerfahrt zu studieren und zwar mit einer Geschwindigkeit von etwa 170 Kilometer pro Stunde. Fahrpausen gibt es nur für das Tanken und den Fahrerwechsel", heißt es in einer Dunlop-Broschüre aus dem Jahr 1938. Die neuen Autobahnen zwischen Karlsruhe und Göttingen, die heutige A 5 und A 7, boten ideale Testbedingungen für schwere, schnelle Wagen und ihre Reifen.

Die 1920er- und 1930er-Jahre stehen dann im Zeichen einer zunehmenden Beschleunigung des mobilen Lebens. Nicht allein stärkere Motoren und überarbeitete Fahrwerke tragen zu höheren Reisegeschwindigkeiten bei, auch die Karosserien werden moderner - Stromlinienfahrzeuge rollen in den Blick der Öffentlichkeit. Was die relativ junge Wissenschaft der Aerodynamik leistet, zeigen Windkanalmessungen von Mercedes-Benz Classic im Mai 2014: Während ein Mercedes 540 K mit acht Zylindern 140 bis 145 km/h erreicht, schafft der spezielle 540 K Stromlinienwagen aus dem Jahr 1938, den Dunlop einsetzt, den vorzüglichen Wert von cW 0,36. Daraus resultiert eine mögliche Dauergeschwindigkeit von 165 bis 170 km/h, mit Kompressorhilfe sind sogar 185 km/h drin.

Es geht um eine Grundform, an der sich die Luft reibt

Von vorn bis hinten ist der Stromlinienwagen so modelliert, dass er dem Wind den geringstmöglichen Widerstand entgegensetzt. Die Windschutzscheiben sind seitlich gebogen, die Dachlinie ist niedrig angesetzt, läuft nach hinten in der Mitte spitz aus und geht dort in die horizontale, weich abgerundete Heckpartie über. Die Scheinwerfer sind integriert. Überall, wo die Strömung abreißen könnte, haben die Gestalter die Details optimiert - über versenkte Türgriffe, fehlende Stoßfänger oder geringe Spaltmaße. Der Unterboden ist vollständig abgedeckt, damit die Luftströmung auch dort so wenig wie möglich beeinträchtigt wird. Dass sich unterhalb der Karosserie nach wie vor der hoch bauende, klassische Mercedes-Spitzkühler befindet, wirkt aus heutiger Sicht wie pure Nostalgie.

Kein Wunder, dass der aktuelle Mercedes CLA mit cW 0,23 noch deutlich windschüpfiger ist. Apropos: "Windschlüpfrig" ist das oft zitierte, aber falsche Wort. Es heißt: wind-schlüpfig, weil, vereinfacht gesagt, der Wind übers Blech schlüpft, so wie das Küken aus dem (windschlüpfigen) Ei. Beim Auto wird der cW-Wert im Windkanal ermittelt: Es geht dabei um eine Grundform, an der sich die Luft reibt und verwirbelt wird und um die Stirnfläche, gegen die sie prallt. Alles zusammen ergibt den Luftwiderstand, der mit der Geschwindigkeit rapide zunimmt.

Bodenhaftung ist gefragt

Die automobile Geschichte ist ein Wechselspiel im Kampf mit diesen widrigen Kräften des Fahrtwindes. So erzielte der Franzose Jenatzy 1899 elektrisch mehr als 100 km/h mit seiner "Jamais contente", der nie Zufriedenen, granatenförmig mit frei stehenden, weit über den Wagenkörper hinausragenden Rädern. Windschlüpfig? Eher nicht. Nicht einmal die wenig später aufkommenden Motorflugzeuge hatten eine aerodynamisch betonte Form, da sie noch langsam flogen. Anders als die Flieger sollen Autos aber nicht abheben, im Gegenteil: Bodenhaftung ist gefragt.

Im Zusammenspiel von technischer Entwicklung und entsprechenden Straßen nahm die landgebundene automobile Fortbewegung an Tempo zu. Damit wurde aus der Kutsche mit Motor ein fast geschlossener Körper. Schade, dass erste Versuche windschlüpfiger Form gegen die Sehgewohnheiten kämpfen mussten. So der für den Grafen Ricotti 1913 von Castagna gebaute zeppelinähnliche Alfa-Romeo mit frei stehenden Rädern, aber schöner Panoramafrontscheibe und seitlichen Bullaugen. Erfolglos blieb auch der Rumpler-Tropfenwagen von 1921, der trotz frei stehender Räder cW 0,29 erreichte. Mit einfachsten Mitteln hatte schon das Hanomag "Kommissbrot" 1925 mit schwachem Motor, aber viertelkreisförmigem Bugprofil dem Wind getrotzt.

In den USA brach die Mode der Stromlinie aus

Ingenieure wie Jaray, Schroer, Kamm und andere versuchten dann, mit Kenntnissen aus dem Flugzeugbaue Karosserien mit minimalem Luftwiderstand zu entwickeln. Wegen fließender Längsprofile ergaben sich Baulängen, die zwar gut für Rennstrecken, aber lästig im alltäglichen Straßenverkehr waren. Erst das Kamm-Heck 1938, eine Stromlinienform mit gekürztem Ende, machte das windschlüpfige Auto straßen- und massentauglich. In USA brach gar die Mode der Stromlinie aus. Selbst Bleistiftspitzer Und Haushaltsgeräte schienen aus dem Windkanal zu kommen.

In Europa war besonders Tatra die tschechische Automarke mit dem stärksten Willen zur aerodynamischen Form. Der Käfer, Ende der 30er Jahre als KdF-Wagen bekannt geworden, von Ferdinand Porsche entwickelt, übernahm eine Mischung aus Stromlinie, Kammheck und Buckel, was schneller aussah als der tatsächliche Cw-Wert von 0,49. In friedlichen Nachkriegsjahren mit billigem Benzin reichten ohnehin symbolträchtige Motive der Fliegerei: Heckflossen, Raketen als Kühlerfigur, Namensgebung aus Luft-und Raumfahrt sprachen von einer unbesorgten Zukunftseuphorie. Die Ölkrise und steigende Benzinpreise zwangen Designer und Windkanalspezialisten schließlich wieder an einen Tisch. Ihre Aufgabe war es, ein markentypisches Design auch nach dem Windkanalbesuch wiederzuerkennen.

Trotz aller Aerodynamik-Erfolge bleibt ein Pinguin unerreicht

Das inzwischen eingeführte klassische Stufenheck hatte ebenso optimal im Wind zu wirken wie strömungsgünstige Fließheckmodelle speziell der unteren Fahrzeugklasse. Ergebnis dieser Optimierungen war ein zum Klassiker gereifter NSU Ro80. Dank kompaktem Motor hatte der flache Bug zusammen mit ansteigender Seitenlinie und hohem Heck dem Wind geringen Widerstand geboten. Knappe Stirnfläche und Cw 0,35 machten das 1967 möglich. Ein Schrägheckvertreter, der Citroen DS ebenfalls Klassiker, schaffte 1955 bereits 0,36 - mit rahmenlosen Seitenscheiben, extrem flacher Haube und im Bugbereich völlig glattem Unterboden. Jahrzehnte später überraschte uns 1982 der Audi 100 als klassischer Stufenheckvertreter mit 0,30 trotz Verzicht auf Keilform und flacher Front. Hier wurden alle Tricks eines guten Cw-Wertes angewendet: flächenbündige Scheiben rundum, abgedichtete Fugen, glatter Unterboden, optimierte Details wie Seitenspiegel oder Radhäuser.

Heute leistet sich kein Hersteller mehr ein neues Modell mit hohem Cw-Wert. Saftiger Spritpreis und erhöhtes Gewicht durch Ausstattung und Größenwachstum verlangen als Gegenmittel Feinarbeit im Windkanal. Noch sind wir nicht am Ende. Und ein Pinguin bleibt weiter unerreicht. Er kommt auf stolze 0,03.

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