Defekte Airbags:Sicherheitssysteme haben versagt

Crashtest eines Honda CR-V

Crashtest eines Honda CR-V aus dem Jahr 2002. Honda ist von den Airbag-Problemen des Zulieferers Takata am stärksten betroffen.

(Foto: AP)
  • Weil Takata-Airbags explodierten und Metallsplitter in die Fahrgastkabine schossen, starben bereits mindestens fünf Menschen und wurden 30 verletzt.
  • Wie die New York Times berichtet, versuchte der Autozulieferer jahrelang, das Problem zu verschleiern. Nun muss er sich vor dem US-Senat verantworten.
  • Neben weiteren Massenrückrufen bei Autoherstellern, die Takata-Airbags verbauen, drohen Klagen gegen den Autozulieferer.
  • Takata verwendet besonders anfällige Zünder und wurde Opfer seines rasanten Wachstums.
  • Die Konzernleitung schweigt bislang zu den Vorwürfen.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Bei Takata dreht sich alles um die Sicherheit im Auto, das japanische Unternehmen stellt Sicherheitsgurte und Airbags her. Bei letzteren hält es 22 Prozent Weltmarktanteil. Doch beim größten Crash seiner Geschichte haben alle Sicherheitssysteme versagt. Und die Unternehmensführung macht alles noch schlimmer.

Mindestens fünf Menschen sind in den vergangenen Jahren von Takata-Airbags getötet worden, mehr als 30 wurden verletzt, weil die Zünder von Airbags explodierten und Metallsplitter in die Fahrgastkabine schossen. Anstatt Leben zu retten, ist der Airbag zur Splitterbombe geworden. Elf Autokonzerne müssen deshalb bis zu 17 Millionen Fahrzeuge zurückrufen.

In Florida haben die Angehörigen von Hien Tran, die im Oktober durch einen Airbag getötet wurde, Klage gegen das Unternehmen eingereicht. Auch Sammelklagen werden vorbereitet. Die zuständige Kommission des US-Senats hat das Unternehmen für diesen Donnerstag vorgeladen.

Verschleierte Takata die Probleme?

Nach Recherchen der New York Times, die sich auf ehemalige Angestellte von Takata USA beruft, wusste das Unternehmen seit zehn Jahren, dass seine Airbags defekt sind. Nach dem ersten tödlichen Unfall in Alabama 2004 sollen Takata-Ingenieure in einem Labor des US-Hauptquartiers in Auburn Hills/Michigan 50 Airbags geprüft haben. Zwei der Zünderkapseln seien dabei explodiert. Das Management habe die Protokolle vernichten lassen, es alarmierte weder die US-Bundesbehörde für Sicherheit im Straßenverkehr NHTSA, noch die Kunden. Vier Jahre später behauptete Takata in amtlichen Papieren, diesen Airbag-Typ erst 2008 auf Probleme getestet zu haben.

Die Zünder der fehlerhaften Airbags sind mit Ammoniumnitrat-Kügelchen gefüllt, ein Triebmittel, das kein anderer Hersteller verwendet. Im Falle einer Kollision explodieren diese Kügelchen in Sekundenbruchteilen, das setzt den Stickstoff frei, der das Luftkissen aufpumpt. Diese Explosion sei zuweilen heftiger als geplant, insbesondere in feucht-heißem Klima, gibt Takata zu. Das habe die Stahlkapseln zum Bersten gebracht. Inzwischen sind allerdings auch Fälle in nördlichen US-Bundesstaaten aufgetreten. In Japan selbst sind erst vier Fälle bekannt, bei denen allerdings niemand verletzt wurde.

Besonders anfällig sind diese Zünder, wenn sie nicht korrekt verarbeitet wurden. Im Internet sind Aufnahmen von Sicherheitskameras aufgetaucht, die zeigen, wie in der Spedition eines Takata-Werks Kisten mit Zündern vom Hubstapler fallen, um dann wieder ungeprüft verladen zu werden.

Das Problem: rasantes Wachstum

Kindersitze von Takata

Der japanische Autozulieferer Takata stellt neben Airbags auch andere Sicherheitssysteme her.

(Foto: AFP)

Takata ist ein Pionier der Verkehrssicherheit. Das Unternehmen hat bereits in den 1950er-Jahren mit der Entwicklung von Sicherheitsgurten begonnen und als erste Firma weltweit eine Anlage für Crash-Tests gebaut. 1981 baute die spätere Tochterfirma Petri in Aschaffenburg für Mercedes die ersten Airbags überhaupt.

Takata ist wie andere japanische Firmen im vergangenen Jahrzehnt rasant gewachsen. Darunter hat die Qualitätskontrolle gelitten. Interne Warnungen wurden ignoriert. Insider berichten in der New York Times, die Zeitpläne seien wegen der "Just-in-Time"-Produktion immer enger geworden. Im Falle einer Verspätung müsse Takata Konventionalstrafen in Höhe von mehreren 10 000 Dollar zahlen. Außerdem hätten sich Takata-Werke dagegen gewehrt, defekte Zünder zurückzunehmen.

Nordamerika und Asien sind die Problemzentren

Die explosiven Zünder stammen aus Takata-Fabriken in Nordamerika. Da Takata diese weltweit liefert, sind auch in Asien hergestellte Fahrzeuge betroffen. In Malaysia etwa, verblutete im Juli eine hochschwangere Honda-Fahrerin, weil die Metallsplitter eines explodierenden Airbag-Zünders sie am Hals getroffen hatten. Die anderen vier Todesfälle ereigneten sich in den USA.

Honda ist von der Takata-Krise am schwersten betroffen. Allerdings stecken auch in Modellen von BMW, Toyota, Nissan, Mazda, Mitsubishi, Subaru, Chrysler und Ford fehlerhafte Airbags. Die NHTSA verfügte nun, dass in den USA alle Fahrzeuge mit Takata-Airbag auf der Fahrerseite zurückgerufen werden müssen.

Die Konzernoberen machen sich rar

Zum Skandal haben sich die Unfälle wegen Takatas Versuchen ausgeweitet, Fehler und Mängel ein Jahrzehnt lang zu verheimlichen und zu vertuschen. Womöglich wurden diese Zünder noch weiter produziert. Damit zählt Takata zu einer unrühmliche Reihe japanischer Konzerne: Olympus veruntreute 1,3 Milliarden Dollar, bis es 15 Jahre später aufflog. Der Atomkraftkonzern Tepco umging Sicherheitsnormen, obwohl dadurch das Kernkraftwerk Fukushima I gefährdet war.

Takata hat sich vor einigen Wochen mit dem in Japan üblichen Verbeugungs-Ritual für seine Versäumnisse entschuldigt. Allerdings schickte das Unternehmen seinen Finanzchef Yoichiro Nomura vor. Vom Schweizer Stefan Stocker, seit einem Jahr Konzernchef bei Takata, war hingegen nichts zu sehen. Auch Präsident Shigehisa Takada, der Enkel des Firmengründers, wagt sich nicht mehr an die Öffentlichkeit. Schriftlich entschuldigte er sich für die "Bedenken und Schwierigkeiten", die Takata "den Anwendern unserer Produkte, Aktionären und Partnern zugemutet" habe. Von den Toten war nicht die Rede.

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