Das Ende von Tupolew?:Der Traum vom Fliegen

Tupolews hatten nie den besten Ruf, dass nun auch noch Aeroflot sie ausrangiert, verletzt die russische Seele.

Frank Nienhuysen, Moskau

Der Abschied. Im Schnee steckt eine Champagnerflasche, vor dem Bugrad stehen aufgereiht die Flugbegleiterinnen und Piloten und halten rote Nelken in den Händen. Die Maschine ist gerade aus Jekaterinburg gekommen, die Nacht bricht an, die Passagiere sind schon fort, nur die Crew harrt einsam aus für ein Erinnerungsfoto.

Es ist Silvester, der letzte Tag des Jahres, der letzte Tag der Tupolew. Aeroflot-Flug 735 nach Moskau, das war es nun. Es gab dichten Schneefall auf dem Weg vom Ural, sonst war alles normal. Außer für Nikolaj Tschuprun. "Ich war traurig", sagt er. 18 Jahre lang ist der russische Pilot die Tupolew Tu-154 geflogen, er sagt, sie ist ihm zur Freundin geworden. Jetzt muss er sich von ihr trennen. Aeroflot, Russlands größte Fluglinie und so etwas wie die Mutter aller anderen im Land, hat die letzte heimische Tupolew aussortiert.

Tschuprun klappt seinen Laptop wieder zu, auf dem er das Erinnerungsfoto gespeichert hat. Er sitzt in einem Nebengebäude des Moskauer Flughafens Scheremetjewo-1, in dem das Aeroflot-Museum untergebracht ist. Der Stolz der russischen Luftfahrt ist hier zusammengefasst auf alten Bildern, in Büchern und Flugzeugmodellen.

Auf einem Schwarz-Weiß-Foto steht der Konstrukteur Andrej Tupolew mit Mütze, Mantel und strenger Brille. In Russland wird er verehrt. Berühmt ist sein Grabstein auf dem Moskauer Nowodewitschi-Friedhof, in das mehrere Flugzeuge eingraviert sind. Sein Name steht für russische Ingenieurskunst, und doch hat er arg gelitten seit Beginn der neunziger Jahre. Für viele ist er sogar zum Schrecken geworden.

Seit 1990 33 tödliche Unfälle oder Abstürze

Erst Ende Januar schlug eine Tupolew Tu-154 in der iranischen Stadt Meshed auf. Eine Notlandung, die Maschine fing Feuer, 59 Passagiere wurden verletzt. Im vorigen Sommer stürzte eine Tupolew der Caspian Airlines kurz nach dem Start in Teheran ab, 168 Menschen starben. Nach einer Statistik des Aviation Safety Networks hat es seit 1990 insgesamt 33 tödliche Unfälle oder Abstürze einer Tupolew gegeben, die meisten in den neunziger Jahren, als die Sowjetunion zerfiel und sich aus der riesigen Aeroflot-Flotte viele neue, kleine Linien herauslösten.

Die Tupolews sind ältere Maschinen, das verschafft nicht immer Behagen. Kürzlich auf einem innerrussischen Flug einer kleinen Linie: Die Sitze verschlissen, die Rückenlehne rastet nicht richtig ein, der Gurt lässt sich kaum verstellen. Ein Passagier schimpft: "Wie lange wollen die denn noch damit fliegen?"

Tschuprun kennt diese Sorgen, er hat sie schon oft gehört. "Ob wir auch ankommen werden?, werde ich manchmal gefragt. Ich sage dann: ,Ich habe zu Hause eine Frau, zwei Töchter und eine Katze. Ich will zu ihnen zurück. Ich vertraue dem Flugzeug.'" Selbst Harro Ranter vom Aviation Safety Network sagt, statistisch seien russische Maschinen nicht unsicherer als westliche, "außer vielleicht einigen alten Antonow-Turboprops, die jetzt noch in Afrika herumfliegen".

Aeroflot hat jetzt dennoch alle Tupolews ausrangiert, das gilt auch für die drittgrößte Fluggesellschaft S-7. Einige andere russische Airlines haben sie zwar noch im Angebot, aber längst haben auch bei ihnen Boeing und Airbus die Lufthoheit gewonnen. Deren Maschinen gelten als günstiger im Kerosinverbrauch, sind moderner.

"Früher war Russland eine Macht; das Land hat eine Menge Flugzeuge hergestellt", sagt Tschuprun, "doch seit der Perestrojka haben wir viel verloren. Wir müssen wieder von vorn anfangen."

Russlands Ruf als stolze Luftfahrtnation leidet

Sogar ein Überschallflugzeug hat Tupolew einmal entwickelt, die Tu-144. Es war wie beim Wettlauf mit den Amerikanern im All. "Concordski" wurde sie spöttisch genannt, obwohl sie ihren Jungfernflug noch vor dem französischem Modell hatte. Aber auch sie war zu teuer, und dann stürzte auch noch eine Maschine bei einer Flugschau in Le Bourget ab. Ein paar Jahre später wurde das Projekt eingestellt.

Die Tupolews fliegen jetzt vor allem woanders, sind verkauft nach Iran, nach China, an die Länder Zentralasiens. Die Maschinen werden dort nicht jünger, aber Tschuprun sagt, nie in all den 18 Jahren habe er eine gefährliche Situation erlebt. "Und mir ist auch keine einzige Katastrophe einer Tupolew Tu-154 bekannt, in der das Flugzeug schuld hatte. Es war immer der Mensch." Er wisse nicht, welche Ausbildung in anderen Ländern die Piloten haben, wie sie die Technik warten, woher sie Ersatzteile bekommen. Und doch leidet Russlands Ruf als stolze Luftfahrtnation bei jedem Zwischenfall einer russischen Maschine mit, egal wo.

Aber man kann es auch so sehen: die Tu-154 als ein jahrzehntelanges unverwüstliches Erfolgsmodell. Seit Ende der sechziger Jahre hat das Unternehmen etwa tausend Maschinen in verschiedenen Varianten hergestellt, und noch immer gilt sie als robust und gut zu steuern. "Ich fühle mich darin wie der Hausherr", sagt Tschuprun, der Aeroflot-Pilot. "Andere Maschinen sind durch und durch computerisiert, einige Kapitäne erzählten mir, sie fühlten sich im eigenen Flugzeug eher wie ein Gast."

Maciej Mazurowicz ist Generaldirektor der Lufthansa Technik Vostok Services in Moskau, und er sagt: "Die russischen Flugzeuge sind viel besser als ihr Ruf. Sie sind hervorragend konstruiert und haben eine einwandfreie Aerodynamik. Obwohl die Tupolew in den vergangenen 25 Jahren anders als Boeings praktisch nicht weiter entwickelt wurden, fliegen sie noch immer gut. Das zeigt ihre Qualität."

Es ist ein offenes Geheimnis, dass sich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion viele kleine Airlines auf dem Schwarzmarkt mit gefälschten Ersatzteilen versorgt haben, da fällt so ein Flieger schon mal vom Himmel. "Die Sicherheit von Flugzeugen hängt eben immer von der Wartung und vom Menschen ab", sagt Mazurowicz.

Eine neue Chance für Tupolew

Aeroflot-Pilot Tschuprun muss jetzt umschulen auf einen Airbus. Er sagt selber: "Die Tupolew ist vergangenes Jahrhundert." Aber sie sei eben von Russen gemacht, "das ist für mich ein ganz anderes Gefühl. Es gibt in Russland das Sprichwort: Schön ist es, zu Besuch zu sein. Aber zu Hause ist es schöner." Bald wird der 44 Jahre alte Pilot mit dem Training für den Airbus beginnen, doch derweil rüstet sich die russische Luftfahrtindustrie mit neuen Flugzeugen für den Weltmarkt.

Die Tupolew bekommt dann eine neue Chance, und mit dem zwiespältigen Ruf der alten Maschinen soll die völlig neue Generation nichts mehr zu tun haben. Im nächsten Jahr soll eine Tupolew Tu-204CM Boeing und Airbus Konkurrenz machen, und vermutlich noch in diesem Jahr erhält Aeroflot aus dem Suchoj-Werk den Superjet 100, ein vollkommen neuer Passagierflieger aus heimischer Produktion.

"Rein technisch sind die Russen ebenbürtig", sagt Mazurowicz von Lufthansa. "Doch ob sie auch kommerziell erfolgreich sind, hängt vor allem von der Logistik, der Versorgung mit Ersatzteilen ab. Das wird man erst in fünf Jahren wissen." Für den Aeroflot-Kapitän Tschuprun ist schon jetzt klar, "die neuen Flugzeuge werden das Prestige unseres Landes heben. Ich wäre sofort zum Training bereit."

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