Das Auto und das Öl (5):Keine Bewegung!

Ein Blick zurück aus der Zukunft - was uns Autofahrer in nicht allzu ferner Zeit erwarten könnte.

Hermann Unterstöger

Leben ohne Auto: Der Preis für Erdöl ist explodiert, dasselbe gilt parallel fürs Benzin. Mittlerweile muss man für die Tankfüllung eines normalen Mittelklassewagens schon rund 100 Euro hinblättern. Wenn das so weitergeht, sind bald 500, vielleicht sogar 1000 Euro für eine Tankfüllung nicht mehr undenkbar. Mit dem Auto zu fahren, wäre reiner Luxus, den sich nur noch ganz wenige leisten könnten. Wird es dann überhaupt noch Autos geben? Und wie haben die Konzerne für den Tag X vorgesorgt?

Das Auto und das Öl (5): Vor allem die Ruhe in den Innenstädten, das kontemplative Dahinschreiten auf breiten Fußgängerwegen, die früher Straßen genannt wurden, sorgen für neue, lange nicht geahnte Glücksgefühle: Asphaltweg in New York.

Vor allem die Ruhe in den Innenstädten, das kontemplative Dahinschreiten auf breiten Fußgängerwegen, die früher Straßen genannt wurden, sorgen für neue, lange nicht geahnte Glücksgefühle: Asphaltweg in New York.

(Foto: Foto: Masterfile)

Der Tag, an dem der Benzinpreis die 1000-Euro-Marke überstieg, ist als dies aterrimus, als schwärzester Tag, in die Geschichte einer vormals mobilen Gesellschaft eingegangen. Die Lähmung seinerzeit war eine vollständige. Der Depressivität, die sich übers ganze Land legte, konnte man nur dadurch begegnen, dass man die orientierungslos vor sich hinstarrenden oder herumirrenden Leute in Gruppen von bis zu fünfzig Personen bündelte und je einem Psychotherapeuten, Seelsorger oder Animateur - wen immer man rekrutieren konnte - überantwortete. Inzwischen hat sich die Lage stabilisiert. Die Bevölkerung ist zu einer Gelassenheit herangereift, wie sie ihr schon in der Nachkriegszeit von Nutzen gewesen war, und so kann denn auch der Chronist darangehen, eine erste Skizze jener Tage vorzulegen.

Die Zeit unmittelbar nach dem Schock war ja, vorsichtig gesagt, unruhig. Unter denen, die längst nicht mehr fahren konnten, weil ihre Löhne höchstens noch für zwei, drei Tankfüllungen reichten, breitete sich Hass auf die aus, die über fast freie Autobahnen bretterten und bei einem Ausflug mehr in die Luft pusteten, als andere im Jahr an Miete zahlten.

Der Direktionsassistent Leon B., der den Motor aus Jux eine Stunde lang laufen ließ, fand sein Coupé später, zu einem Würfel gepresst, in der Fußgängerzone, und wer jetzt noch tanken fuhr, tat dies nachts, wenn die "Benzinpiraten" und sonstigen Autonomen schliefen.

Keine Bewegung!

Obwohl das Desaster seit Monaten mit Händen zu greifen war, gab sich die Regierung überrascht. In seiner Bundestagsrede griff der Verkehrsminister auf das Energiesicherungsgesetz vom November 1973 zurück, pries den Effekt der damaligen autofreien Sonntage - und erntete dafür eine solche Orgie aus Wut und Spott, dass es der Kanzlerin geraten schien, das Verfahren an sich zu ziehen. Übers Fernsehen wandte sie sich an die Nation, und dass ihre Rede mit den Worten "Mit brennender Sorge" begann, wurde von Beobachtern keineswegs als Versehen gewertet, sondern als letzter Beweis für den Ernst der Stunde.

Etwas zur Chefsache zu machen, ist das eine, Taten folgen zu lassen, das andere. Laut Kraftfahrt-Bundesamt waren immerhin 73,8 Millionen Autos zugelassen, von denen einer vagen Schätzung zufolge 40 Prozent ständig geparkt waren. Da nun die Regierung beschloss, in einer Art Notstandsregelung das Autofahren auf unbestimmte Zeit völlig zu verbieten, stellte sich die Frage, was mit den frei laufenden Pkws geschehen solle.

Da die Innenstädte bereits voll waren, wurde vorgeschlagen, diese Autos auf Teilstücken der Autobahn oder auf den bekannt großzügigen Einschleifungen zwischenzulagern und von arbeitslosen Tankwarten bewachen zu lassen. So geschah es, wenn auch nicht zur allgemeinen Zufriedenheit, da horrende Gebühren erhoben wurden, um den Ausfall von Kfz- und Mineralölsteuer zu kompensieren.

Keine Bewegung!

Mitten ins Mark traf es die Autohersteller sowie, mit einigem Abstand, den ADAC. Wo 73,8 Millionen Autos stehen, kannst du kein neues mehr anbringen, und so versuchten all die großen Häuser in Märkte einzudringen, die sie bislang kaum gekannt hatten. Da die Leute jetzt ja sehr sesshaft waren, wurde das Feld der Haushaltsgeräte attraktiver denn je. Sowohl BMW als auch Audi warfen sich auf Waschmaschinen, wobei Audi seinen Slogan "Vorsprung durch Technik" beibehalten konnte, im Gegensatz zu BMW, das sein "Freude am Fahren" holterdipolter in "Freude am Schleudern" änderte und damit baden ging.

Der ADAC hatte das Problem, 27 Millionen Mitglieder bei der Stange zu halten. Zu seinem Glück etablierten sich allerlei Outdoor-Bewegungen, die den frei gewordenen Verkehrsraum umzunutzen gedachten. Es kam zu wallfahrtsähnlichen Unternehmungen, als deren Erste es die "Geführte Wanderung auf der B 299" und der Kurs "Fauna und Flora auf dem Dreieck Hittistetten" zu Ruhm gebracht haben. Geschickt, wie er ist, klinkte sich der ADAC da ein und war mit seinen fix umgeschulten Gelben Engeln bald überall mit von der Partie.

Seitdem ist manches geschehen. Unter dem Motto "Ein Netz für Oma" wurde alten Leuten vom Familienministerium ein kostenloses Get-together-Portal freigeschaltet. Die Deutsche Bahn rekultivierte ihre stillgelegten Strecken und stellte, zur Freude der Kinder wie der GDL, ein paar hundert Lokführer ein. Für Staatsbesuche hat die Regierung zwar ein eisernes Depot an Sprit, doch ziehen es die Gäste mittlerweile vor, mit historischen Pferdekutschen vorgefahren zu werden. Peter Sloterdijk hat, seiner fortgeschrittenen Jahre ungeachtet, die "Regeln für den Menschenpark" so umgeschrieben, dass sie der neuen Situation aufklärerisch gerecht werden. Man hat es ihm hoch angerechnet, dass er damit eine Lesereise unternahm, die ausschließlich in aufgelassene Tankstellen führte.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: