Das Auto und das Öl (1):Die Therapie beginnt

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Jahrzehntelang war Mobilität den Deutschen gewiss. Der Abschied wird hart.

Von Michael Bauchmüller

Zu Deutsch hieß sie "die niemals Zufriedene", sie hatte die Form eines Torpedos und einen Mordslauf. Im April 1899 fuhr "La Jamais Contente" als erstes Auto der Welt schneller als 100 Kilometer pro Stunde, und trotzdem hatte ihre Technologie keine Chance: Der Torpedo war ein Elektroauto.

La Jamais Contente (frz: die niemals Zufriedene) war das erste Straßenfahrzeug, das schneller als 100 km/h fuhr. Es war ein Elektroauto mit einer torpedoförmigen Karosserie. (Foto: Foto: oh)

Ein schleichender Herzinfarkt

Die Verbrennungsmotoren entwickelten sich schneller, Benzin und Öl waren leichter zu speichern, der Geschwindigkeitsrekord bald gebrochen. Niemand konnte ahnen, welche Chance die Welt mit der "Unzufriedenen" vergab, nur weil die Treibstoffe ausreichend vorhanden waren und lange Zeit sogar billig.

Die Zeiten sind vorbei, mit großer Wahrscheinlichkeit kehren sie niemals zurück. Schon jetzt gilt das Jahr 2007 vielen als Wendejahr, in dem die Fortbewegung zur Geldfrage wurde. 2001 noch kostete das Barrel Rohöl im Schnitt 23 Dollar, danach stieg der Preis langsam, aber stetig. Doch 2007 explodierte er, und er steigt weiter. Glaubt man den Analysten von Goldman Sachs, landet er auch noch bei 200 Dollar. Unmöglich scheint nichts mehr, zu oft schon wurden hohe Prognosen belächelt. Für ein durchmotorisiertes Land wie Deutschland ist das eine Art schleichender Herzinfarkt.

Jahrzehntelang trug das Öl die wirtschaftliche Entwicklung. Mobilität galt, einmal abgesehen von den Ölkrisen der Siebziger, als unbeschränkt vorhandenes Gut, überall und für alle verfügbar. Eine ganze Infrastruktur orientierte sich an der Fortbewegung auf vier Rädern, eine ganze Industrie lebte davon.

Das Auto und das Öl
:Wie geht's weiter?

Die drastische Verteuerung des Kraftstoffs in jüngster Zeit wirft die Frage auf, wie sich die Menschen in Zukunft bewegen - und die weltweite Autoindustrie fragt sich noch, wie der Antrieb der Zukunft aussieht.

Und ein ganzes Land zog mit. Ein eigenes Haus, ein eigener Garten? Für Städter plötzlich greifbar. Zu Millionen verließen sie die Innenstädte, zur Arbeit kamen sie im Zweifel mit dem Auto. Ein neues Werk auf der grünen Wiese? Für Unternehmen kein Problem. In Scharen verlegten sie Standorte aus den Städten. Die Arbeiter fuhren hinterher, meistens mit dem Auto. Der Staat versüßte das Ganze mit Steuererleichterungen für die Pendler.

Der futuristisch wirkende Auto Venturi Eclectic aus Monaco wird nur von einem Elektromotor getrieben, der den Strom aus einer im Dach angebrachten Solarzelle bezieht. (Foto: Foto: oh)

Bislang herrscht beeindruckender Gleichmut

Die Entwicklung hatte eine gewisse Zwangsläufigkeit. Spätestens seit den Sechzigern galt ein Auto als erschwinglicher Luxus für die Masse, das Öl floss. Die gesamte industrialisierte Welt machte sich zum Abhängigen der Droge Öl.

Nun ist es ihr Problem. In Deutschland wird es zwei Gruppen zuerst treffen: die Armen und die entlegen Wohnenden. Die Armen, weil ein hoher Spritpreis sie überproportional hart trifft, ähnlich wie gestiegene Preise für Strom und Wärme. Die Entlegenen, weil sie oft keine Wahl haben, auf Treibstoffe nicht verzichten können, um sich in die Zentren zu bewegen. Sie trifft es inzwischen doppelt hart, denn vielerorts stellen Kommunen im ländlichen Raum den öffentlichen Nahverkehr ein - der hohen Spritpreise wegen.

Das Problem verschärft sich damit selbst: Benzin und Diesel werden teuer, und die Alternativen zum Auto fallen weg. Selbst der Schülerverkehr bricht in vielen Flächenländern zusammen, die Eltern fahren selbst, im Auto, versteht sich.

Bislang erträgt das Land die Entwicklung mit beeindruckender Gleichmut. Der Absatz von Benzin und Diesel geht nur leicht zurück. Ein Tempolimit, nahezu überall in der Welt üblich, bleibt in Deutschland tabu, und die hiesige Autoindustrie stemmt sich mit aller Macht gegen EU-Auflagen zum Bau verbrauchsarmer Autos. Vielleicht haben Bürger, Politik und Industrie den Ernst der Lage noch nicht begriffen. Vielleicht hoffen sie noch auf bessere Zeiten.

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Dabei sind schlechtere Zeiten die wahrscheinlichere Variante. In Windeseile motorisieren sich die aufstrebenden Milliardenvölker Chinas und Indiens, fragen ihrerseits Öl und Kraftstoffe nach. Neue Erdölvorkommen finden sich, wenn nichts Unvorhergesehenes geschieht, nur noch unter hohem Aufwand, zu hohen Kosten. Alle Welt fürchtet sich vor jenem Tag, an dem der Erdölverbrauch die neu aufgetanen Reserven übersteigt. Wann der Gipfelpunkt, der peak oil erreicht sein wird, weiß kein Mensch. Eines aber ist gewiss: Der Ölpreis wird dann eine Höhe erreichen, die kaum einer zahlen will - oder kann.

Trügerische Hoffnung

Es wäre ganz sicher nicht dumm, frühzeitig zu reagieren, und gute Ansätze gibt es. Die Lösung liegt in einer Mischung aus Umdenken und Fortschritt. Natürlich hat jeder Einzelne Einfluss auf seinen Verbrauch - über die Fahrweise, über den Autotyp, über die Entscheidung für oder gegen öffentliche Verkehrsmittel. Die Deutschen fahren oft zu schnell, sie fahren zu schwere Autos mit viel zu großen Motoren. Wer darauf Wert legt - bitte schön. Aber er bezahlt zunehmend mit Verzicht auf anderes. Jeder kann einen Euro nur einmal ausgeben: immer öfter an der Zapfsäule.

Der hohe Ölpreis kann aber auch den Weg in neue, effizientere Technologien ebnen. Während sich die Hoffnung auf den Wasserstoff-Antrieb per Brennstoffzelle zusehends verflüchtigt, kommt plötzlich das Elektroauto wieder ins Spiel. Denn die Batterien werden immer leistungsfähiger, ihr Strom reicht immer weiter. Gespeist aus erneuerbaren Energien könnte Autofahren damit am Ende sogar umweltfreundlich werden. Wer weiß: Vielleicht füllen die Deutschen 120, 130 Jahre nach der Rekordfahrt eines Elektro-Torpedos an der Tankstelle nicht mehr einen Tank, sondern wechseln ihren Akku. Das allerdings setzt voraus, dass auch die Hersteller sich endlich auf den Abschied vom Öl einstellen. Die Zeit wäre reif dafür.

© SZ vom 14.5.2008/gf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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