Daimler und der Kältemittelstreit:Kalter Sieg

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Schafft Daimler die Wende zum Guten?

(Foto: AFP)

Mercedes hat viele Sorgen und kämpft seit Wochen auf vielen kleinen Nebenschauplätzen. Doch nun setzt sich das Unternehmen im Gerichtsstreit mit der Pariser Regierung durch und darf seine Autos trotz eines klimaschädlichen Kältemittels wieder in Frankreich verkaufen. Ist das die Wende zum Guten?

Von Thomas Fromm und Max Hägler

Es ist schon eine ungewöhnliche Allianz, die sich jetzt freut über das Urteil des Conseil d'Etat, des obersten Verwaltungsgerichts in Frankreich. Umweltverbände, Politiker verschiedener Parteien und natürlich der Autobauer Daimler. Der ehrwürdige Staatsrat hat entschieden: Neue Mercedes-Wagen stellen keine schwere Gefährdung für die Umwelt dar - auch wenn sie ein anderes Kältemittel in ihren Klimaanlagen einsetzen, als von der EU vorgeschrieben.

Die ungewöhnliche Allianz aus deutschen Politikern, Umweltverbänden und einem Oberklasse-Autohersteller hat verschiedene Gründe. Umweltpolitische. Und industriepolitische. Für Daimler ist es ein wichtiger Etappensieg: Denn es macht in diesen Krisenzeiten schon etwas aus, ob man ein paar Tausend Autos mehr oder weniger in Frankreich verkauft.

Kleine Ursache, große Wirkung

Seit Juni durften im Nachbarland keine Neuwagen der Reihen A- und B-Klasse sowie des Mercedes SL mehr zugelassen werden, weil diese noch mit einem alten, klimaschädlichen Kältemittel in der Klimaanlage ausgestattet waren - und nicht mit dem EU-konformen R1234yf. Es geht um fast 5000 Autos und 60 Prozent des Mercedes-Absatzes in Frankreich. Zwar steht das Hauptsacheverfahren noch aus und auch die EU prüft auf Betreiben Frankreichs noch einen möglichen Regelverstoß, doch aus Stuttgart heißt es bereits triumphierend: "Wir erwarten die Zulassung der betroffenen Fahrzeuge innerhalb der nächsten 48 Stunden."

Der Anlass des Streits war klein, die Auswirkungen waren groß: Einige wenige Liter Kältemittel braucht ein Auto, mittlerweile soll das auf Weisung der EU R1234yf sein. Doch Verbraucherschützern und Umweltverbänden ist R1234yf ein Dorn im Auge: Sie bezweifeln, ob es wirklich so ungefährlich ist, wie behauptet, und sehen vor allem bei Unfällen ein hohes Gefahrenpotenzial. "Wir sind recht glücklich, auch wenn das ganze noch nicht komplett durchgestanden ist", sagt Wolfgang Lohbeck von Greenpeace.

Paris gegen Daimler, Frankreich gegen Deutschland

Aus dem Streit um die Kältemittel wurde ein heißer, industriepolitischer Konflikt: Paris gegen Daimler, Frankreich gegen Deutschland - und nicht zufällig ging es auch um die Frage, wer in der europäischen Autoindustrie zurzeit noch Geld verdient - und wer nicht. Die Deutschen verdienen trotz Krise immer noch gut, bei den Franzosen Peugeot-Citroën und Renault geht es um Arbeitsplätze und Fabriken.

Auch bei Daimler lief zuletzt nicht alles rund. Zwei Gewinnwarnungen, ein Sparpaket und eine unerfreuliche Führungsdebatte. Da war diese Aufsichtsratssitzung im Februar, in der Daimler-Chef Dieter Zetsche auf Druck der Arbeitnehmerseite nur noch eine Vertragsverlängerung von drei Jahren erhielt. Obwohl solche Vorstandsverträge in der Regel für fünf Jahre ausgestellt werden. Eine Art B-Klassen-Vertrag also, der viel über das Verhältnis von Arbeitnehmern und Managern aussagt.

Drei statt fünf Jahre - das Jahr war irgendwie schon gelaufen, bevor es überhaupt richtig angefangen hatte. Für einen Mann mit großen Zielen, der seinen Konzern bis 2020 wieder ganz nach oben bringen und endlich wieder vor Audi und BMW schieben will, der den ganz großen Dreikampf in der Premiumklasse kämpfen muss, also kein guter Start ins Jahr.

Und dann eben die Nachricht aus Frankreich, dass dort neue Wagen nicht zugelassen würden wegen der Kältemittelentscheidung von Daimler. Es war der Hammer. Ein Fahrverbot - das gab's noch nie.

Als gäbe es nicht schon genug Probleme. Die Marke mit dem Stern, die einst der Inbegriff deutscher Ingenieurskunst war, fährt den Rivalen Audi und BMW seit Jahren hinterher. Es fängt schon mit der Profitabilität an: Im zweiten Jahresquartal blieben bei den Schwaben rund 6,4 Prozent vom Umsatz als Gewinn hängen - bei BMW und Audi lag die Marge bei um die zehn Prozent und damit weit darüber.

Auch beim Absatz liegen die Bayern aus Ingolstadt und München vor den Schwaben - schuld daran ist China, wo Daimler nach wie vor ein Nischendasein fristet. Doch auch da hakelte es - der neue China-Chef vergriff sich anfangs im Ton. Die Baustelle China bleibt erhalten. Der Hersteller plant nun einen großen Wurf; will seine Produktion in den kommenden zwei Jahren mehr als verdoppeln. Mit Investitionen von insgesamt zwei Milliarden Euro sollen ab 2015 jährlich mindestens 200 000 Einheiten in China produziert werden können, kündigte das Unternehmen am Dienstag in Peking an. "Ein klarer Beweis für unser Vertrauen in Mercedes-Benz in China", sagte der neue China-Vorstand Hubertus Troska. 20 neue Modelle sollen hier in den nächsten 24 Monaten auf den Markt gebracht werden.

Immer diese Nebenkriegsschauplätze

Und als ob das nicht reichen würde, waren da noch diese anderen Nebenkriegsschauplätze: die Entscheidung des Landgerichts Stuttgarts etwa, wonach der Autokonzern nicht mehr mit offenbar beschönigenden Angaben zum Spritverbrauch und zu Schadstoffemissionen der neuen S-Klasse werben darf. Der Konzern hatte für seine Oberklasse-Serie insgesamt die Energieeffizienz-Klassen A bis D versprochen, doch halten das nicht alle Modelle ein. Die Deutsche Umwelthilfe widersprach deshalb: Daimler stelle seine Modellpalette insgesamt umweltfreundlicher dar, als diese de facto ist. Von einem "besonders dreisten Fall von Verbrauchertäuschung" sprachen die Umweltschützer nach dem Urteil - für die PR-Leute im Konzern, die seit Monaten eine gigantische Marketing-Kampagne rund um das Flaggschiff S-Klasse fahren, ein Albtraum.

Das Hitler-Video

Oder dieses Video von Studenten der Filmakademie Baden-Württemberg: Ein vermeintlicher Firmen-Werbespot, in dem ein Mercedes durchs österreichische Braunau am Inn rollt und dabei ein Kind überfährt, das den jungen Adolf Hitler darstellen soll. Botschaft: Mithilfe des Fahrerassistenzsystems Gefahren erkennen, "bevor sie entstehen". Das war nicht von Daimler-Strategen gemacht. Und doch sah der Konzern zu, dass er sich schnell von dem Spot distanzierte. Internet-Ärger wegen eines solchen Videos - das fehlte gerade noch in diesen Zeiten.

Statt sich auf den großen Kampf gegen Audi und BMW zu konzentrieren, waren es also vor allem ausgerechnet Nebenschauplätze, auf denen Daimler in den vergangenen Wochen kämpfen musste. Dumme, lästige Streitereien, die man nicht braucht, wenn man hinter den Rivalen herfährt, die aber große Auswirkungen auf den Konzern haben. Der Streit in Frankreich war so ein Nebenschauplatz. Zumindest der scheint halbwegs aufgeräumt - zumindest bis zur EU-Entscheidung.

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