CO₂-Grenzwerte:Schneller sauber

Das Elektroauto BMW i3

Mit dem i3 hat BMW im vergangenen Jahr sein erstes Elektroauto auf den Markt gebracht.

(Foto: Daniel Hofer)

Europäische Klimaschutz-Normen zwingen die Autohersteller, umweltfreundlichere Modelle zu entwickeln. Trotz Anlaufschwierigkeiten sind erste Erfolge unverkennbar. Mehr noch: Die Auto-Gesetzgebung aus Brüssel hat das Ende der herkömmlichen Verbrennungsmotoren eingeleitet.

Von Cerstin Gammelin

Jeder Mensch verbindet mit Zahlenreihen eigene Vorstellungen. Modeschöpfer dachten mal in 90-60-90. Klimaschützer mögen 174-130-95. Dahinter verbirgt sich gewaltiger Fortschritt: Es sind Grenzwerte, gültig für alle in Europa fahrenden Personenwagen, gemessen in Gramm Kohlendioxid pro gefahrenem Kilometer. Die Kombination ist ein Beleg, wie Gesetzgebung aus Brüssel das tägliche Leben aller Bürger beeinflusst.

Die wichtigste Zahl ist die 95. Genau so viel Gramm klimaschädliches Kohlendioxid pro gefahrenen Kilometer dürfen die Flotten der europäischen Hersteller nach 2020 vorerst noch ausstoßen. Jedenfalls durchschnittlich. Nicht alle Hersteller in Europa sind glücklich darüber. Wer größere und kleinere Karossen baut wie Fiat oder Renault oder auch Volkswagen, hat es einfacher, das Ziel 95 zu erreichen, weil die Grenzwerte über die gesamten Neuwagen eines Herstellers, die sogenannten Flotten, gemittelt werden.

Europa zwingt die Hersteller umzudenken

Die deutschen Autohersteller, die PS-starke Limousinen herstellen, wie BMW oder Daimler, tun sich schwer. Allein mit Optimierung der Motoren lässt sich die 95 nicht in den Griff bekommen. Um weiterhin die schweren Wagen bauen zu können, gleichzeitig aber Strafzahlungen wegen Überschreitung der 95 zu vermeiden, bleibt den Herstellern nur ein Weg: Sie müssen in neue Technik investieren, in Elektroautos mit Nullemissionen, die sich dann mit den Klimagasen der schnellen Limousinen verrechnen lassen. Die europäische Gesetzgebung zwingt die Hersteller umzudenken.

Dass es heute EU-Verordnungen mit Klimagasgrenzwerten für Personenwagen (und leichte Nutzfahrzeuge) gibt, geht zurück auf das Jahr 2007. Da verpesteten die Autos in Europa die Atmosphäre noch mit durchschnittlich 174 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer. Damals gelang es unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft einer engagierten Bundeskanzlerin Angela Merkel, ihre Kollegen aus den anderen europäischen Ländern auf ambitionierte Klimaziele zu verpflichten. Eine erste Zahlenreihe entstand: 20 - 20 - 20. Bis 2020 wollten die Europäer 20 Prozent weniger Treibhausgas ausstoßen, Energie um 20 Prozent effizienter verbrauchen und den Anteil der grünen Energien am Energieverbrauch auf 20 Prozent erhöhen.

Einer der üblichen europäischen Kompromisse

Ein Jahr später formulierte die Europäische Kommission aus der klimapolitischen Zahlenkombination konkrete Handlungsanweisungen. Sie legte Gesetzesvorschläge vor, wie die Energieerzeugung grüner werden könnte, wie die Effizienz zu steigern sei. Unter anderem auch einen, um Personenwagen klimafreundlicher zu machen - schließlich sollte der Transportsektor seinen Anteil an der beschlossenen Reduzierung der Treibhausgase leisten. Die Grenzwerte sollten von 2012 an gelten.

Schon damals war sichtbar, dass nicht alle Hauptstädte gleichermaßen enthusiastisch der Klima-Kanzlerin folgten. Vor allem die Osteuropäer, die befürchten, dass Klimaschutz einfach zu teuer sei, forderten anderswo Zugeständnisse für ihre Zusagen. Mit Erfolg. Angeführt von Polen, erreichten sie zahlreiche Ausnahmegenehmigungen, um weiterhin alte Kohlekraftwerke betreiben zu können.

Es war einer der üblichen europäischen Kompromisse. Jedes Land fordert für sein Ja einen Preis, der mit Zugeständnissen an anderer Stelle beziffert wird.

Kampf um Anteile in einem stagnierenden Markt

Mercedes S-Klasse Coupé

Luxusauto-Hersteller wie Mercedes-Benz haben Schwierigkeiten, die CO2-Grenzwerte einzuhalten.

(Foto: Daimler AG)

So wie Polen seine Kohlekraftwerke schützte, verteidigte Deutschland seine Autohersteller. Schon 2008 rangelten deutsche, italienische und französische Konzerne darum, wie der europäische Absolutwert in durchschnittliche Ziele für firmenspezifische Fahrzeugflotten umzurechnen sei. Es war ein heftiger Kampf um Anteile in einem stagnierenden Markt.

Nach einem Jahr ausgiebigen Streits verständigten sich Angela Merkel und der damalige französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy abermals auf einen Kompromiss. Sie vereinbarten unter anderem, die Grenzwerte für die Fahrzeugflotten vom Gewicht der Fahrzeuge abhängig zu machen (weshalb schwere Fahrzeuge mehr Kohlendioxid ausstoßen dürfen als leichte) und im Jahr 2013 prüfen zu lassen, ob diese Werte erreichbar sind.

Im Sommer 2013 dann war Daimler unaufmerksam. Erst in letzter Sekunde fanden die Stuttgarter Autohersteller heraus, dass die 95 für sie weder praktisch zu erreichen noch theoretisch zu errechnen sein würde. Sie wurden im Kanzleramt vorstellig - und Merkel stoppte per Anruf in Brüssel die bereits abgeschlossene Zwischenprüfung. Ende des Jahres dann wieder ein neuer Kompromiss: mehr Zeit und mehr Möglichkeiten, Elektroautos und energiesparende Bauteile als emissionsmindernd anzurechnen.

Die Brüsseler Gesetze haben das Ende der herkömmlichen Verbrennungsmotoren eingeleitet

Trotz aller Ausnahmen: Seit Brüssel begonnen hat, Grenzwerte vorzuschreiben, wie viel Klimagas noch ausgestoßen werden darf, sind Personenwagen umweltfreundlicher geworden. In den vergangenen sechs Jahren sank der durchschnittliche Kohlendioxidausstoß eines Neuwagens im europäischen Durchschnitt um 18 Prozent, schreibt der Verband der deutschen Automobilindustrie in seinem Jahresbericht 2013. In Deutschland sogar noch ein bisschen mehr, und das, obwohl die Motorisierung der Wagen im gleichen Zeitraum um acht Prozent auf 106 Kilowatt anstieg.

Dass die Hersteller 2015 das Zwischenziel von 130 Gramm pro gefahrenen Kilometer sicher erreichen, gilt als ausgemacht. Ende April vermeldete der europäische Automobilverband bereits für 2013 einen durchschnittlichen Wert von 127 Gramm pro gefahrenem Kilometer. Das entspricht einem Verbrauch von knapp 5,0 Liter Diesel oder 5,6 Liter Benzin je 100 Kilometer.

Um diese Verbrauchsvorgaben zu erreichen, tüftelten die Hersteller an den herkömmlichen Antrieben, optimierten sie die traditionellen Verbrennungsmotoren. Sie erfanden und bauten beispielsweise die Start-Stopp-Automatik. Für das Endziel, die 95, reicht höchste Ingenieurskunst nicht mehr aus. "Um dieses Ziel zu erreichen, ist es erforderlich, dass alternative Antriebe, insbesondere der Elektroantrieb, einen höheren Marktanteil gewinnen", schreibt die Lobbyorganisation der deutschen Autobauer. So gesehen hat die Auto-Gesetzgebung aus Brüssel das Ende der herkömmlichen Verbrennungsmotoren eingeleitet.

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