CO2-Ausstoß bei Autos:"Das ist keine Klimadebatte, das ist ein industriepolitischer Krieg"

Groß gegen klein, deutsche gegen nichtdeutsche Konzerne: Die Autohersteller streiten heftig um die neuen Schadstoffregelungen der EU und sehen jeweils die Konkurrenten im Vorteil. Auch wenn am Ende alle ihren CO2-Ausstoß senken müssen: Für Greenpeace sind die Zielwerte immer noch zu hoch.

Thomas Fromm

Sergio Marchionne ist ein äußerst zäher Verhandlungspartner. So zäh, dass ihn einige in der Branche schon den "Mario Monti der Autoindustrie" nennen. Der Fiat-Chef als knallharter Vertreter seiner Interessen ähnlich wie der durchsetzungsstarke italienische Ministerpräsident - das ist ein gewagter Vergleich. Aber er ist griffig. Und das hilft bei diesem komplizierten Streitthema, wo es um die Berechnung von CO2-Emissionen, Fahrzeuggewicht und die Frage geht, wer in den nächsten Jahren wie viel Dreck in die Luft schleudern darf, ohne Millionenstrafen von der EU-Kommission zu bekommen.

Alles fing damit an, dass der Fiat-Chef, der auch Präsident des europäischen Branchenverbandes Acea ist, vor ein paar Monaten einiges von der Europäischen Kommission gefordert hat. Sie solle helfen, Überkapazitäten in der Autoindustrie abzubauen. Da waren vor allem die deutschen Fiat-Rivalen verblüfft. "Erst von der Abwrackprämie profitieren, dann den Steuerzahler einspannen wollen, um die eigenen Probleme zu lösen - das geht gar nicht", sagt ein deutscher Automanager. Und nun habe Marchionne schon wieder den Monti gemacht, sagen seine Konkurrenten - und zwar richtig: Er habe erfolgreich verhandelt und profitiere nun davon, dass die deutschen Hersteller von schweren Oberklasseautos nach Plänen von EU-Klimakommissarin Connie Hedegaard bis 2020 mehr CO2 einsparen müssen als zum Beispiel die Kleinwagenbauer aus Turin. Andere wiederum sagen, die deutschen Limousinen-Hersteller hätten sich gegen die Kleinwagenhersteller aus Südeuropa und Asien durchgesetzt - und dürften nun mehr CO2 in die Luft blasen als die Konkurrenz. Jeder hat so seine Version.

"Das wird eine hitzige Diskussion"

Am Mittwoch soll die Kommission über den Entwurf für die EU-Klimaschutzvorgaben bis zum Jahr 2020 entscheiden, danach geht das Thema weiter ins EU-Parlament. "Das wird eine hitzige Diskussion", heißt es aus Kommissionskreisen. Allein schon, weil jeder seine eigenen Interessen verfolge. Ärger ist schon programmiert; große Änderungen sind jederzeit - und bis zum letzten Moment - möglich. Das wissen auch die Automanager und bringen sich seit Wochen in Stellung.

Deutsche gegen Italiener und Franzosen, große Autos gegen kleine Autos, Audi A8, BMW 7er und Mercedes S-Klasse gegen Cinquecento - hinter den Kulissen wird seit Wochen gekämpft. "Das ist keine Klimadebatte, das ist ein industriepolitischer Krieg, der da geführt wird", heißt es in der Branche. Ein deutscher Automanager erläutert, die CO2-Emissionen seien derzeit so etwas wie die "Euro-Bonds der europäischen Autoindustrie". Nicht ganz so schicksalhaft vielleicht, aber genauso heftig diskutiert.

Die Details der Regelung sind kompliziert und äußerst technisch. EU-Auflagen von 2007 sahen vor, dass Neuwagen von 2012 an im Schnitt nicht mehr als 120 Gramm klimaschädliches CO2 pro Kilometer ausstoßen dürfen. Ab 2020 dann sollte der Grenzwert bei 95 Gramm CO2 liegen. Das allein ist unstrittig - vielmehr geht es um die Frage, inwiefern das durchschnittliche Gewicht der Autos mit in diese Kalkulation einbezogen wird. Dazu hat die Kommissarin Hedegaard nicht nur das Gewicht der Fahrzeuge in ihre CO2-Kalkulation aufgenommen, sondern auch einen Wert eingeführt, der im Entwurf mit a bezeichnet ist. Dieses a beschreibt jeweils, wie stark der CO2-Ausstoß vom vorgeschriebenen Richtwert 95 Gramm abweichen darf. Je höher der Wert, desto weniger muss für große Autos zusätzlich eingespart werden. Fiat käme so für 2020 auf einen Wert von 84 Gramm, Toyota von 93, Daimler von 102, BMW von 103 Gramm.

Was das bedeutet, rechnen Umweltexperten vor: Auch wenn der CO2-Schlüssel das durchschnittliche Flottengesamtgewicht der Hersteller mit einrechnet - runter mit den Emissionen müssen in den nächsten Jahren alle, die Großen wie auch die Kleinen. Nur dass nun jeder behaupte, der andere profitiere mehr von der Regelung als er selbst. "Mit dem jetzigen Kommissionsentwurf wäre gewährleistet, dass zumindest alle Hersteller zwischen 2015 und 2020 die gleichen CO2-Reduzierungen vornehmen müssen", sagt Franziska Achterberg vom Brüsseler Greenpeace-Büro. Grundsätzlich hätte man aber einen Zielwert von 80 Gramm für 2020 statt der nun geltenden 95 Gramm "für besser gehalten". Aber zumindest seien die Spielregeln für alle gleich. "Die Deutschen wollen, dass Fiat mehr absenkt als sie selbst, das geht natürlich nicht. Die Kommission muss einen ausgewogenen Vorschlag machen und kann nicht dem Druck der deutschen Hersteller nachgeben." Von Fiat selbst kommt nur so viel zum Thema: Die Italiener seien die Marke "mit dem niedrigsten CO2-Ausstoß". Das gebe "uns eine gute Position, macht es aber auch schwieriger, noch große Schritte nach unten zu machen."

Deutsche Hersteller setzen auf Segmentverschiebung

Nach unten gehen, das machen auch die deutschen Hersteller - indem ihre Autos zwar am einen Ende immer größer, am anderen dafür immer kleiner werden. "Segmentverschiebung" heißt das in der Marketingsprache der Strategen. Das bedeutet: BMW versucht, in Europa mehr Minis, 1er, 3er oder den kleinen Geländewagen X1 zu verkaufen. Daimler setzt auf Smarts und die A-Klasse, VW auf Kleinwagen wie den Up. Dadurch wird die Flotte insgesamt CO2-freundlicher. "Das ganze CO2-Thema ist ein Filter, durch den jede Modellentscheidung durch muss", sagt ein Manager.

Laut Kommissionsentwurf sind Strafen von 95 Euro pro Gramm Abweichung je Auto geplant. Es würde sich kaum lohnen, gegen die Auflagen der EU zu verstoßen. Dabei wären die Millionenstrafen für die Autobauer noch das geringste Problem: "Wir müssen", sagt ein Manager, "alle Vorgaben erfüllen, denn einen solchen Imageverlust können wir uns nicht leisten."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: