Chrysler Patriot:Mit Erdgas nach LeMans?

Lesezeit: 2 min

Ein raffiniertes Hybridsystem spart Gewicht und Treibstoff

(SZ vom 07.01.1995) Erdgas heizt unsere Eigenheime, erhitzt das Kaffeewasser und das morgendliche Bad. Aber mit Erdgas einen LeMans-Rennwagen befeuern? Unweigerlich erinnert man sich an Disneyland und Illusionstheater, zumal das Erdgas-Rennwagen-Projekt gleichfalls amerikanischer Phantasie entspringt.

Chrysler gab den spektakulären Auftrag an das hauseigene Research-Center 'Liberty' nahe Detroit, in dem auch ehemalige Lamborghini-F1-Ingenieure neue Aufgaben fanden: Ein Rennwagen mit umweltfreundlichem Gasturbinen-Antrieb völlig neuen Zuschnitts sei zu entwickeln. Mit der Rückkehr zum Automobilsport möchte Chrysler zudem beweisen, daß Rennen und Umweltbewußtsein sich keineswegs ausschließen müssen. Denn fraglos entstehen bei der Verbrennung von Flüssiggas in Turbinen weniger Kohlenwasserstoffe und Monoxide als bei benzingetriebenen Motoren. Und nicht unwichtig: Erdgas ist in den USA eine nationale Ressource. Wie könnte der Bolide deshalb anders heißen als Patriot?

In nur sechs Monaten gelang es dem Team um Chefentwickler François Castaing, den fahrbereiten Prototypen Mark I auf die Räder zu stellen, dem derzeit der Mark II folgt. Erst nach dessen erfolgreichem Testabschluß wird endgültig entschieden, ob der Patriot in LeMans und zur IMSA-Serie 1995 startet. Mit heute 771 Kilogramm Gesamtgewicht bewegt er sich innerhalb des Reglements.

Die Unsicherheiten für den angestrebten Renneinsatz liegen weniger in der Funktion der einzelnen Baugruppen begründet, die für sich genommen keine Erfindung von 'Liberty' sind. Chryslers Innovationen stecken vielmehr im Detail, im effizienten Zusammenwirken aller Komponenten des komplexen Antriebsaggregats. Denn der Patriot ist keineswegs einfach nur ein Gasturbinen-Rennwagen, schon eher ein rasendes Labor.

Jeweils zwei Turbinen treiben links neben dem Cockpit Hochleistungs-Induktionsmotoren zur Stromerzeugung an. Sie werden aus dem hinter dem Fahrersitz installierten 120-Liter-Tank mit komprimiertem Flüssiggas befeuert, das von drei unabhängigen Kühlkreisläufen auf minus 161 Grad Celsius gehalten wird. Die erzeugte Primärenergie wird von einer komplexen Regeltechnik einer sogenannten Power Controller-Einheit mit Datenbus-System von der rechten Fahrzeugseite aus je nach Leistungsbedarf des Rennwagens variabel verteilt: teilweise direkt an den wassergekühlten Elektromotor vor der Antriebsachse und teilweise in einen Energiespeicher, der als Puffer fungiert. Aus beiden Quellen zusammen können Leistungsspitzen bis zu 368 kW (500 PS) vom E-Motor abgerufen werden.

Nach einem ebenfalls lange bekannten Prinzip arbeitet die mechanische 'Batterie'. Sie erinnert an eine Waschmaschinentrommel, liegt crashgeschützt hinter dem Tank und kann über einen Notschalter vom Antriebsstrang getrennt werden. Kurzzeitig nicht benötigte Primär- und beim Bremsen freiwerdende, aus Reibungshitze gewonnene Sekundärenergie speichert sie als Rotationsenergie mit bis zu 15 300/min. Die Perfektionierung dieser Schwungrad-Speichertechnik geht auf Erfahrungen der Satellitenindustrie zurück, während das Know-how für die extrem leistungsfähigen, mit bis zu 100 000 Touren arbeitenden Induktionsmotoren vom US-amerikanischen Marineprojekt Seawolf stammt.

Emissionen minimiert

Die Vorteile des ausgeklügelten Hybridsystems liegen auf der Hand: Weil Abwärme zurückgewonnen und in Elektrizität umgewandelt für den Vortrieb nutzbar wird und weil die Gasturbinen trotz schwankenden Energiebedarfs gleichmäßig arbeiten können, werden Turbinen relativ kleiner Bauart benötigt. Dadurch spart man Gewicht und Treibstoff und minimiert Emissionen.

'Nicht die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber anderen Rennwagen ist oberstes Entwicklungsziel', betont François Castaing, 'sondern die Effizienz unseres Systems. Für die 24 Stunden von LeMans das Optimum zu erreichen, ist uns Motivation genug.'

Von Jürgen Zöllter

© N/A - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: