Chrysler Neon 2.0 LE:Den Standard noch nicht erreicht

Ein lauter Motor, schlechte Sitze und große Windgeräusche

(SZ vom 04.03.1995) Die Gnade der späten Geburt - davon profitieren nicht nur Politiker, sondern bisweilen auch Autokäufer. Denn machmal haben die zuerst ausgelieferten Exemplare eines neuen Modells noch ihre Kinderkrankheiten. Dann machen sich die Ingenieure nochmals ans Werk, um nachzubessern. Nach Europa, so sagt man bei Chrysler, komme allerdings schon eine nochmals optimierte Variante des Neon, jenes Kompaktwagens, mit dem sich Chrysler anschickt, ins Revier der europäischen Platzhirsche einzudringen. Besonders die lauten Motorengeräusche sollten die Amerikaner ihrem kleinsten Sproß aberzogen haben. Doch - leider - müssen wir, nachdem wir uns mit dem Neon näher beschäftigt haben, konstatieren: Klassenziel noch nicht erreicht!

Gemessen am Standard vergleichbarer Fahrzeuge - in Frage kämen der VW Golf oder ein 3er-BMW - weist vor allem die Verarbeitungsqualität noch einige Mängel auf. So verfügte unser Neon 2.0 LE über eine Art automatischer Frischluftzufuhr: Bei Geschwindigkeiten oberhalb von 150 km/h schlossen die rahmenlosen Seitenscheiben nicht mehr dicht, und orkanartige Windgeräusche drangen stoßartig ins Fahrzeuginnere. Dies erschreckte so manchen Neon-Neuling.

Wenn wir schon beim Thema Lärm sind: Bei höheren Drehzahlen legt sich das Aggregat so lautstark ins Zeug, daß kein rechter Spaß an der eigentlich reichlich vorhandenen Leistung mehr aufkommen will. Da hift auch die relativ lange Auslegung des fünften Gangs wenig.

Wenn es schon laut ist, soll es wenigstens unbequem sein - so läßt sich der Sitzkomfort des Neon beschreiben. Besonders die Vordersitze sind so konturiert, daß wenig gestählte Mitfahrer sich der Gefahr von Krämpfen und Rückenschmerzen aussetzen. Gerade der mangelnde Sitzkomfort hat uns doch erstaunt, weil man gerade von anderen Fahrzeugen amerikanischer Provenienz - auch und gerade aus dem Hause Chrysler - besseres gewohnt ist.

Doch natürlich hat der Neon nicht nur Schatten, sondern auch Licht: Besonders gut gefallen hat uns sein pfiffiges Design, das mit der keilförmig ansteigenden Karosserie Anklänge an ein Coupé weckt. Auch die Platzverhältnisse im Innenraum wären eigentlich nicht schlecht, dank des von Chrysler propagierten Cab-forward- Designs - was nichts anderes bedeutet, als daß die Passagiere möglichst viel, und der Motor möglichst wenig Raum beanspruchen sollen. Apropos Motor: Aus 2,0 Litern Hubraum erwachsen 98 kW (133 PS), die für eine Höchstgeschwindigkeit von 188 km/h und für eine Beschleunigungszeit von 8,8 Sekunden von Null auf 100 km/h ausreichen. Als Drittelmix gibt Chrysler 7,8 Liter bleifreies Normalbenzin auf 100 Kilometer an. Wir waren mit etwas weniger als zehn Litern durchschnittlich unterwegs.

Im Reigen der Kompaktklasse stellt der Neon sicher eine erwägenswerte Alternative für Individualisten dar, wenn man bereit ist, mit seinen Macken zu leben. Zumal Chrysler auch den Preis um beinahe 2000 Mark gesenkt hat - auf 32 595 Mark.

Von Otto Fritscher

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