(SZ vom 28.08.1999) Bunt, schrill, schillernd - wie fade wäre Amerika ohne seine Leuchtreklamen. Wer nun aber glaubt, dass Chrysler mit der zweiten Generation des Neon einen Paradiesvogel auf die Straßen schickt, der hat sich geirrt. Der Neue, der Mitte Oktober nach Deutschland kommt, ziert sich eher ein bisschen, als mit seinem Auftritt zu protzen. Auf dem Parkplatz vor dem Einkaufszentrum bildet sich sicherlich keine Menschentraube um die 4,39 Meter lange Stufenhecklimousine - sie gehört in Amerika zu den Brot-und-Butter-Autos wie bei uns der Golf oder der Astra. In Deutschland ist dem Neon der große Erfolg bislang versagt geblieben, woran Chrysler nicht ganz unschuldig ist: Zunächst haperte es mit der Qualität, und vor allem der Einstiegspreis in der Nähe von 35 000 Mark für den Neon I vergrätzte viele potentielle Käufer. Auch nach zwei Preissenkungen fanden sich jährlich nicht mehr als 1000 Liebhaber für diesen American way of drive.
"Wir haben verstanden"
Doch nicht nur der deutsche Bundeskanzler, auch die Chrysler-Manager betonen unisono: "Wir haben verstanden" - und zwar die Bedürfnisse und Vorlieben der europäischen, insbesondere der deutschen Autofahrer. Also weg mit der viel zu weichen Fahrwerksabstimmung, Schluss mit schlampig verkleideten Kofferräumen. Dass diese Aussagen nicht nur Lippenbekenntnisse sind, war bei einer ersten Begegnung mit dem Neon II zu erfahren. In der Tat haben sich die Testkilometer auf deutschen Autobahnen ausgezahlt: Fahrverhalten und Handling sind deutlich besser geworden, wenn auch die Hinterachse manchmal zum Poltern neigt. Die Bremsen bekommen auch nach einigen harten Manövern keinen Schwächeanfall mehr.
Wenn nur der Motor etwas besser abgestimmt wäre: Selbst bei normalen Beschleunigungsvorgängen, etwa beim Losfahren an einer Ampel, ruckelt und zuckelt der 2,0-Liter-Vierzylinder in bestimmten Drehzahlbereichen, als ob er noch nicht ausgeschlafen hätte - er nimmt, salopp gesagt, das Gas nicht richtig an. Wer jeden Tag mit so einem unwilligen Gesellen zur Arbeit fahren muss, verweigert irgendwann selbst den Dienst. Der Motor ist wohl so mager abgestimmt, um wenig Emissionen auszustoßen und einen Durchschnittsverbrauch von 7,9 Liter Normalbenzin zu ermöglichen. Für Rainer Rüßmann, Leiter Technik bei Chrysler Deutschland, ist das Ansprechverhalten des Motors kein Problem: "Das macht mir keine Sorgen, weil man das beim Kundendienst anders einstellen kann. " Bleibt nur die Frage, warum Chrysler das nicht gleich im Werk Belvidere im US-Bundesstaat Illinois erledigt hat, wo jährlich 260 000 Neon vom Band laufen - rund 10 000 von ihnen kommen über den großen Teich.
Eine Ausweichmöglichkeit bleibt dem Neon-Käufer nicht, da nur der 2,0-Liter mit 98 kW (133 PS) angeboten wird. Kräftig genug ist das Aggregat für deutsche Autobahnen mit einer Höchstgeschwindigkeit von 200 km/h, und der Beschleunigungsvorgang aus dem Stand auf 100 km/h dauert mit 10,8 Sekunden nicht ungebührlich lange.
Ein Hauch von Luxus
Wahlfreiheit gibt es bei den Ausstattungsvarianten: Der Neon SE verfügt über alles, was unbedingt an Bord sein muss: Fahrer- und Beifahrerairbag, ABS und Servolenkung - er kostet 26 400 Mark. Den Löwenanteil der Verkaufszahlen soll die LE-Variante bringen, bei der Radio, Klimaanlage und Lederlenkrad einen Hauch von Luxus verströmen, der mit 29 950 Mark bezahlbar bleibt. Wer Ledersitze und Leichtmetallfelgen liebt, kann zum Top-Modell LX für 33 950 Mark greifen. Gerade diese aggressive Preispolitik dürfte die Verkaufszahlen des Neon deutlich in Schwung bringen.
Chrysler vergleicht den Neuen nun mit dem Bora, dem Astra und dem Toyota Corolla - nicht mehr mit dem 3er-BMW. Diese realistische Einschätzung ist die Voraussetzung für den Erfolg - und den hätte der deutlich verbesserte Neon II als amerikanische Alternative durchaus verdient.
Von Otto Fritscher