Carsharing:Großer Test mit ungewissem Ausgang

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Fahrzeuge des Carsharing-Anbieters Flinkster in Stuttgart

(Foto: dpa)

Carsharing boomt - aber nur ein bisschen. Denn noch immer sind die Teilautos eine Randerscheinung. Außerdem hat das Prinzip einige Nachteile für die Nutzer. Und die Autohersteller haben Carsharing längst als Werbeplattform entdeckt.

Von Michael Kuntz

Es ist eine gute Idee, sich ein Auto mit anderen zu teilen. Die meisten Personenwagen stehen mehr herum als sie fahren. Ganz nutzlos sind sie selbst dann nicht: Parkende Autos vermitteln ihren Besitzern das Gefühl einer Freiheit, jederzeit losfahren zu können, irgendwohin. Diese egozentrierte Sichtweise war jahrzehntelang die vorherrschende und nicht schlecht für die Autoindustrie. Es spricht allerdings auch einiges dafür, wenn Menschen ein Fahrzeug nur so lange benutzen, wie sie es tatsächlich brauchen. Dann lassen sich zehn bis zwanzig Autos durch eines ersetzen, glauben Mobilitätsexperten.

Daher erfreut sich in den Ballungsräumen mit ihren vielen Menschen und Fahrzeugen das Carsharing zunehmender Beliebtheit. Es war bis vor ein paar Jahren vor allem bei ökologisch bewussten Menschen beliebt. Die hatten sich zwecks gemeinsamer Autobeschaffung in Vereinen verbündet. Heute dominieren kommerzielle Anbieter. Von ihnen der Größte ist die Deutsche Bahn. Sie ermöglicht Fortbewegung nicht mehr nur in Zügen und demnächst in Fernbussen, sondern auch mit Autos und auf Fahrrädern.

Die Bahn überwindet so die "letzte Meile" auf den Wegen ihrer Kunden. Autohersteller wie BMW (mit dem Vermieter Sixt), Daimler (mit Europcar) und Volkswagen testen punktuell Systeme, bei denen sich im Internet die Fahrzeuge orten lassen. Das Ziel: Der Weg zu ihnen soll nicht weiter als 400 Meter sein. Neugründungen wie Zebramobil komplettieren die Szene, in der es nur Erfolgsstories gibt, wenn man den Anbietern glaubt.

Carsharing klingt sympathisch, besitzt jedoch Tücken

Da gibt es einiges zu relativieren. Die in Prozent gemessenen enormen Zuwächse sind kein Wunder, denn das Carsharing-Gewerbe startete bei nahezu Null. Die paar Tausend Autos fallen aber kaum auf unter den 43 Millionen Fahrzeugen in Deutschland.

Das Geschäftsmodell des vor 40 Jahren in Großbritannien entwickelten Carsharing klingt sympathisch, besitzt für den Kunden jedoch Tücken. Zwei Beispiele: Nicht immer steht ein Auto in der Nähe, wenn er eines braucht. Müsste es aber. Wenn die Reservierung nur eine Viertelstunde lang gilt, darf der Weg zum Fahrzeug nicht länger dauern. Das Hauptproblem in einer überfüllten Großstadt ist es jedoch, das Carsharing-Auto wieder loszuwerden, legal. Ohne freien Parkplatz keine Rückgabe. Die Suche nach einer Lücke dauert unter Umständen länger als die Fahrt. Die Kosten erreichen auf einmal die für ein Taxi. Es bleibt immer eine Ungewissheit bei der modernen Form des Carsharing ohne feste Stellplätze, das als besonders flexibel gerühmt wird.

Der Kunde muss eine sportliche Grundhaltung besitzen: Steht kein Auto bereit, braucht er einen Plan B. Gibt es ein Auto, aber keinen Parkplatz, trägt er die finanziellen Nebenwirkungen. Im Alltag stellt sich zudem oft heraus, dass in einer Stadt voller Bahnen, Bussen und Taxis der Bedarf für Autofahrten unter den erwähnten Umständen nicht sehr groß ist.

Eine neue Möglichkeit individueller Mobilität

Das wissen die Anbieter auch. Während die genossenschaftlich gedachten Stattauto-Vereine eher Transportmittel offerierten, locken die neuen Carsharing-Firmen daher mit fabrikneuen, komfortablen Fahrzeugen. Sie ermöglichen den Zugang zu moderner Technik auch Menschen, die kein Geld für einen Neuwagen ausgeben wollen - oder können.

Die Generation Praktikum mit ihren prekären Arbeitsverträgen kann sich eben nur ein iPad, aber keinen Golf leisten. In Deutschland ist der Käufer eines Neuwagens durchschnittlich um die fünfzig Jahre alt. Es sorgt also nicht allein die neue Kultur des Teilens für den Erfolg des Carsharing. In einer sozial auseinanderdriftenden Gesellschaft bietet es einer wachsenden Zahl von Menschen eine Möglichkeit individueller Mobilität.

Probefahrten gegen Gebühr

Beim Carsharing darf jeder mal in ein fast neues Auto einsteigen, im Schnitt eine halbe Stunde lang. Das macht die Sache für Autohersteller interessant: Künftige Kunden bezahlen praktisch für Probefahrten. Carsharing ist ein großer Test, Ausgang ungewiss. Die Firmen machen keine tollen Profite, sie experimentieren. Manches geht nicht ohne den Staat.

Die Kreativität der Unternehmen beim Carsharing wünscht man sich auch von den Politikern. Die diskutieren die Höhe der Parkgebühren, die sie pro Auto kassieren wollen. Das ist zu wenig. Wenn sie ihre Innenstädte durch gemeinschaftlich genutzte Personenwagen entlasten wollen, muss über Lippenbekenntnisse hinaus eine öffentliche Infrastruktur entstehen. Für den Linienbus gibt es die Haltestelle, für das Taxi den Warteplatz, für das Fahrrad den Ständer, für den Fernbus den Busbahnhof. Wann kommt für das Carsharing der Auto-Bahnhof?

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