Carsharing:Die Skepsis gegenüber Carsharing bleibt groß

Car2go Launches First Electric Carsharing Program In Washington DC

Mehr als 150 Carsharing-Anbieter gibt es in Deutschland. Einige sind auch international aktiv, so wie Car2go, hier in Washington D.C.

(Foto: Chip Somodevilla/AFP)
  • Carsharing wird immer stärker genutzt. Allerdings ist unklar, ob das Wachstum noch lange anhalten wird.
  • Die Angebote stehen im Wettkampf mit anderen Mobilitätsformen: Fahrrad, Busse, Bahnen und natürlich privat genutzte Autos.
  • Ein Start-up möchte nun dafür sorgen, das Privat-Pkw besser ausgelastet werden. Sie sollen per App geteilt werden.

Von Katharina Kutsche

Die kleinste Flotte, die in sich funktioniert, ist ein Mehrfamilienhaus mit zwei Autos, sagt Edgar Scholler. Zwei Autos, die zwar je einem Menschen gehören, aber von den anderen Bewohnern mitgenutzt werden, wenn die eigentlichen Besitzer gerade nicht unterwegs sind. Auf dieses Prinzip hat Scholler sein Start-up Getaway aufgebaut: Teile, was du hast, aber gerade nicht nutzt, mit anderen, die es brauchen. Damit reiht sich der Gründer ein in die Riege der örtlichen und überregionalen Anbieter für Carsharing.

Dieser Markt ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Der Bundesverband Carsharing (BCS), ein Dachverband, dem sich die meisten Anbieter angeschlossen haben, zählt für 2017 etwa 1,7 Millionen Teilnehmer, die Carsharing bei 150 Anbietern in knapp 600 Orten nutzen. Dabei unterscheidet der BCS zwischen stationsbasiertem Carsharing, Anbietern also, bei denen die Fahrzeuge zu festen Stellplätzen zurückgebracht werden müssen, und stationsunabhängigen, genannt Free Floating. Letzteres nutzen 70 Prozent der Teilnehmer. Insgesamt stieg die Zahl der Carsharing-Nutzer im Vergleich zu 2016 um ein Drittel.

Getaway unterscheidet sich von anderen Anbietern vor allem dadurch, dass es keine eigenen Fahrzeuge hat, sondern private Autos nutzt. Das gibt es schon, sogar europaweit, von Drivy etwa und Snappcar, ehemals Tamyca. Doch bei beiden Unternehmen müssen Kunden mehrere Vermieter anfragen, bis sie eine Buchungszusage bekommen, und dann noch einen Mietvertrag unterzeichnen. Buchungen mit Sofortzusage sind eine zusätzliche Möglichkeit, aber nicht, wie bei Getaway der Standard.

Halter, die ihren Wagen über das Start-up anbieten wollen, laden zunächst unverbindlich und kostenlos ein Foto vom Fahrzeugschein in die Getaway-App hoch. Deren Team prüft, ob Standort und Modell interessant sind oder ob das schon der zehnte VW Golf in derselben Straße ist. Wenn nicht, verbaut ein Techniker die nötigen Anwendungen im Auto: eine Getaway-Technikbox in der Armatur, eine GPS-Antenne, eine Halterung im Handschuhfach für eine personalisierte Tankkarte.

Autos sollen nicht stehen, sondern fahren

Scholler, 31, studierte Kommunikationswissenschaften und Wirtschaft in Berlin. Gemeinsam mit zwei Partnern gründete er vor einigen Jahren schon einmal ein Unternehmen in München, bekam aber Lust auf etwas Neues und zog zurück in die Bundeshauptstadt. Der gebürtige Magdeburger war zu der Zeit viel im Ausland unterwegs und nahm jedes Mal, wenn er vom Flughafen Tegel zur Mietwagen-Station ging, wahr, wie viele Autos ungenutzt am Straßenrand standen. Er fragte sich, wie man sie besser auslasten könnte.

Das Prinzip von Getaway: Schlüssel ins Handschuhfach legen, den Wagen in der App des Start-ups freigeben ("Ich brauche das Auto wieder in ... Stunden oder Tagen"), das war's. Nutzer buchen ebenfalls über die App, bezahlen Sprit, Versicherung und die tatsächlich gefahrenen Kilometer - den Preis pro Kilometer bestimmt der Fahrzeughalter vorab, Getaway bekommt davon eine Provision. Anfangsgebühren oder spezielle Preise etwa fürs Wochenende gibt es nicht. So sind die Entgelte für alle Seiten transparent, sagt Scholler. "Geld kommt rein, wenn die Autos vermietet werden und fahren." Das Plattformmodell setzt auf eine kritische Masse: Je mehr Fahrzeuge angeboten und gemietet werden, desto lukrativer.

Viel Konkurrenz auf dem Mobilitätsmarkt

Das ist aber trotz des Trends, den der BCS beziffert, nicht gesichert. Ende November veröffentlichte der ADAC seinen Monitor "Mobil in der Stadt". Dafür hatte der Automobilclub Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger und Nutzer von öffentlichen Verkehrsmitteln in 15 deutschen Großstädten befragt, wie zufrieden sie mit der Mobilität in ihrer Stadt sind, in Berlin etwa, Hamburg, Stuttgart, München. Dabei gaben 40 Prozent der Teilnehmer an, dass Carsharing für sie nicht relevant sei. Auch für knapp ein Drittel der Radfahrer spielt es keine Rolle, ob sie Leihfahrräder nutzen können. So richtig angekommen ist das Teil-Prinzip auf deutschen Straßen noch nicht.

Dazu kommt, dass es - neben dem eigenen Auto - genügend andere mobile Möglichkeiten gibt und es auch immer vom Zweck der Fahrt abhängt, welches Mittel am besten ist. Wer etwas beim Baumarkt oder Möbelhaus besorgen möchte, für den ist ein Teil-Auto für eine überschaubare Zeit und Strecke eine gute Wahl. Für mehrere Tage, Urlaub oder Besuch etwa, mögen sich klassische Mietwagen wie von Hertz oder Sixt anbieten oder Mitfahrgelegenheiten wie bei Blablacar oder Fahrgemeinschaft.de. Und dann gibt es ja noch Flixbus und die Deutsche Bahn, die umweltfreundlichsten Verkehrsmittel, gemessen am CO₂-Ausstoß pro Person und Kilometer. Viel Konkurrenz also auf dem Mobilitätsmarkt.

Immer mehr Anbieter kooperieren mit den Kommunen

Das ist aber auch nötig, wenn Städte ihre Straßen entlasten möchten. Daher unterstützen viele Städte und Kommunen Carsharing, indem sie Park- und Stellplätze bereitstellen. Öffentliche Verkehrsbetriebe kooperieren mit Anbietern. So bietet die Münchner Verkehrsgesellschaft Sonderkonditionen an für Abonnenten, wenn sie ein Auto bei Drive Now, Beezero, Car2go oder Stattauto mieten wollen. Auch in Hamburg kooperieren Car2go und Drive Now mit der Stadt. Im Rahmen der Smart City-Strategie der Hansestadt vereinbarten beide Anbieter kürzlich, ihre Flotten zunehmend auf E-Antrieb umzustellen, um den CO₂-Ausstoß zu senken. Dass die Fahrdienste solche Zusagen machen können, liegt daran, dass hinter den beiden Branchengrößen die Auto-Hersteller Daimler (Car2go) und BMW (Drive Now) stehen.

Die starken Anbieter funktionieren aber wegen ihrer Flotten nur in der Stadt, sagt Scholler. Am Stadtrand oder auf dem Land seien sie nicht skalierbar. Infrastruktur wie Abgabestationen, Stellplätze, Wartung und Reinigung kosten. Und wer eine große eigene Flotte hat, nutzt neue Autos, die sich erst im Lauf der Zeit amortisieren. Beim Getaway-Prinzip bleibe der überwiegende Anteil der Einnahmen bei den Autobesitzern. Das können auch Handwerker oder Unternehmen sein, die ihre Fahrzeuge außerhalb der Geschäftszeiten, etwa am Wochenende auslasten möchten. Die Prozesse sind so gestaltet, dass zwischen dem Buchen eines Wagens in der App und dem Einsteigen nur zehn Minuten liegen, wenn alles klappt.

Die größte Konkurrenz bleibt das privat genutzte Auto

Bleibt die Frage nach der Sicherheit. Durch die eingebaute GPS-Antenne kann das Start-up die Fahrzeuge jederzeit orten, wenn nötig sogar eine Wegfahrsperre aus der Ferne aktivieren. Wer unterwegs ist, bekommt rechtzeitig eine Nachricht, dass er langsam zurückfahren muss, um die Abgabefrist einzuhalten. Für Verstöße gibt es einen Entgeltkatalog, "der weh tut", so Scholler. Und durch das Prinzip mit dem Auto von nebenan, greift eine soziale Kontrolle: "Man will sich ja in der Nachbarschaft noch blicken lassen können." Der Mietzeitraum selbst ist für Nutzer und Halter versichert, Getaway arbeitet mit dem Versicherer Gothaer zusammen.

Bisher nutzen 3000 Menschen die Getaway-App, knapp 650 Autobesitzer bieten ihre Fahrzeuge an. Das Start-up will gesund wachsen, finanziert durch Eigenkapital und mithilfe von Investoren. Im Herbst hätten noch ein paar Geldgeber dazukommen können: Scholler trat mit Getaway bei der Vox-Start-up-Show "Die Höhle der Löwen" auf - aus Marketinggründen, wie er sagt, ein Investment sei kein Ziel gewesen. Trotzdem wäre ein Angebot "schmeichelhaft" gewesen, doch keiner der Investoren sprang auf, auch wenn das Feedback gut war, so der Gründer.

Seine größte Konkurrenz sieht er weniger bei den anderen Anbietern, sondern vor allem im privat genutzten Auto am Straßenrand. "Auch Elektroautos werden größtenteils ungenutzt herumstehen. Durch die Ladevorgänge im Zweifel sogar länger als Verbrenner", sagt Scholler. "Die größten Potenziale zur Umweltentlastung liegen in der besseren Auslastung." Statt den Autofahrern das Autofahren schlecht zu machen, so der Gründer, sollten Anreize zur Umweltschonung gesetzt werden: "Ich bin ja selbst begeisterter Autofahrer."

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