Bugatti:Auf schmalem Grat

Gestern genial, heute brachial, morgen vergessen? Die legendäre Traditionsmarke Bugatti steht am Scheideweg.

Georg Kacher

"Natürlich hat Bugatti eine gesicherte Zukunft. Aus der Marke kann man noch viel machen." Bedingungslose Überlebensgarantien hören sich anders an, aber zumindest glaubt VW-Chef Martin Winterkorn wohl daran, dass sich sein Aufsichtsratsvorsitzender mit der Reanimation der Sportwagenikone nicht verhoben hat.

Ferdinand Piëch war übrigens bereits der zweite neuzeitliche Investor, der sich von der Reputation der voitures bleues, der blauen Wagen, betören ließ. Schon 1987 hatte Romano Artioli die Renaissance der Marke mit dem traditionellen Hufeisengrill gewagt. Obwohl die ehrenwerte Gesellschaft rund um den italienischen Millionär viel Geld in die Hand nahm und mit dem EB110 ein sensationell gutes Auto auf die Räder stellte, endete das Comeback ebenso im Konkurs wie zuvor Ettore Bugattis Lebenswerk.

1998 kaufte VW die Namensrechte und beauftragte Italdesign mit der visuellen Produktplanung, wobei die Entwürfe von Fabrizio Giugiaro nicht an die Qualität des Artioli-Viertürers EB112 und des von Hartmut Warkuß gezeichneten Veyron heranreichten. Trotz reduzierter Zylinderzahl - 16 statt 18 - lief der 2005 in Serie gegangene Flachmann mehr als 400 km/h und spurtete in nur 2,5 Sekunden von null auf 100 km/h - zwei Superlative, die bis heute Bestand haben.

Die Overkill-Variante des Veyron heißt Super Sport, hat 1200 PS und hält mit 431 km/h den Geschwindigkeitsweltrekord für Straßenfahrzeuge. Wie es sich anfühlt, wenn der rechte Fuß 1500 Nm Drehmoment abrufen kann und der 100-Liter-Tank bei Vollgas nach zehn Minuten leergesaugt ist?

Wie eine Mischung aus Videospiel und surrealer Zeitmaschine. Trotz Allradantrieb, ESP und einer justierbaren Aerodynamik samt Luftbremse und viel Abtrieb vermittelt sehr hohes Tempo ein seltsam virtuelles Fahrerlebnis, das sich durch extreme Differenzgeschwindigkeiten, schwer kalkulierbare Bremswege und überlebensnotwendig kurze Reaktionszeiten auszeichnet.

Der sogenannte Speed Key bleibt oft ein Autoleben lang unangetastet, denn es fehlt vielen Bugatti-Kunden wohl die Gelegenheit, um mit tiefergelegter Karosse und eingezogenen Spoilern in die Region jenseits von 375 km/h vorzudringen. Mit den Bugattis von einst hat die 1,85 Millionen Euro teure Flunder ohnehin nicht mehr viel gemeinsam. Abgesehen von dem für die Firma ruinösen Royale waren die meisten Bugattis nämlich leicht und von filigraner Gestalt.

Der Galibier als Bugatti der Neuzeit?

Die zumeist sparsam verkleideten Technik-Manifeste hatten sich mit ihrer minimalistischen DNS primär dem Motorsport verschrieben. Der volumenstärkste Bugatti war kurioserweise der Typ 19, ein Frühwerk (1915) mit dem Kosenamen Bebe, dem ein 0,85-Liter-Peugeot-Motor den Elan eines Ford T-Modells einhauchte. Neben den Vierzylindern mit 1,4 und 1,5 Litern setzte die Marke schon von 1921 an verstärkt auf den Reihenachtzylinder, dessen Hubvolumen im Lauf der Zeit von knapp 2,0 Liter bis fast 5,0 Liter ausuferte.

Trotz der Rennerfolge in den zwanziger und dreißiger Jahren (Typ 35, Typ 57) hielten sich die Stückzahlen der Straßenautos in bescheidenem Rahmen. Erfolgreichster Bugatti war der Typ 44 mit 1095 Einheiten, gefolgt vom deutlich kleineren Vierzylinder Typ 40 (800 Autos) und dem legendären Typ 57 (725 Autos).

Doch statt Entwicklung und Produktion zu konsolidieren, verzettelten sich Vater Ettore (Technik) und Sohn Jean (Design) in Kleinserien, Sondermotoren und kostspieligen Prototypen. Deshalb blieben die meisten der elf Projekte, die nach Jeans frühem Tod angeschoben worden waren, unfertige Einzelstücke.

Dass Bugatti mit seinem nächsten Modell Geld verdienen muss, schränkt den Kreis der Optionen heute deutlich ein. Unter dem letzten Chef Thomas Bscher, der seine Marke wirklich gelebt hat, waren diverse Back-to-the-Roots-Konzepte recht weit gediehen: kleiner, leichter, wendiger, erschwinglicher und vor allem puristischer.

Doch seit in der Krise die Controller den Ton angaben, entstand als Veyron-Nachfolger mit dem Galibier ein Royale der Moderne. Die formal durchaus gelungene Limousine hat mit den Kernwerten der Marke nicht mehr viel zu tun, denn als schwerer viersitziger Luxus-Sportwagen passt sie kaum in die Zeit, der auf 800 PS gedrosselte (!) Kompressor-Sechzehnzylinder ermöglicht eine wenig relevante Höchstgeschwindigkeit von 350 km/h, und der geplante Preis von knapp unter einer Million Euro will nicht so recht mit dem Absatzziel von 800 Autos harmonieren.

Obwohl der neue Bentley Mulsanne dieses Segment längst abdeckt, hat Konzernmutter VW möglicherweise schon zu viel Geld in das 700-Millionen-Euro-Wagnis gesteckt, um jetzt noch einen Rückzieher zu machen. Man darf gespannt sein, wie der von Audi abgestellte designierte Markenchef Dirk Isgen die Kleinserienmanufaktur aufstellen will, wenn der derzeitige Chef Franz-Josef Paefgen (Ruhestand) und Technik-Mann Wolfgang Schreiber demnächst von der Bugatti-Bühne abtreten.

Die Ikone Veyron ist nicht zu überbieten

Die Bandbreite der technischen Möglichkeiten ist zwar groß, aber die begrenzte Kapazität des Endmontage-Ateliers und die diffizile Kosten-Nutzen-Rechnung lassen die Bäume im elsässischen Molsheim nicht in den Himmel wachsen. Die bewusst weich formulierte Vorgabe aus Wolfsburg postuliert ein extremes Auto, das mit neuen technischen Inhalten ähnlich Maßstäbe setzen soll wie vormals der Veyron.

Konkret reicht das Gedankenspektrum vom elitären Leichtbau-Materialmix über aktive Aerodynamik bis zu einer radikal innovativen Motorisierung - sei es ein F1-tauglicher Vierzylinder-Weltmotor, ein halbierter W16, ein hochdrehender Sauger oder eine Brennstoffzelle in limitierter Auflage.

Wenn wir einen Wunsch frei hätten, dann sollte der nächste Bugatti ein Frontmittelmotorauto mit Transaxle-Doppelkupplungsgetriebe und Alukarosse sein, gerne auf Basis des neuen Standardantrieb-Baukastens, den Porsche im Schulterschluss mit Bugatti entwickeln könnte.

Am Ende entscheidet wohl wieder Ferdinand Piëch, welche strategische Richtung seine zeitweilige Lieblingsmarke einschlagen wird. Nein, ein Veyron-Nachfolger ist nicht angedacht, denn diese Ikone ist kaum zu überbieten. Stattdessen hört man immer öfter das Stichwort vom A-nach-A-Auto, das morgens ausschwärmt, um abends wieder in die Garage zurückzukehren.

Die Energie, die benötigt wird, um dabei in Veyron'sche Sphären vorzudringen, stammt entweder aus der Steckdose oder aus einem mit regenerativ erzeugtem Wasserstoff befüllten Tank.

Das funktioniert nur im Konzernverbund, der sich einen Überflieger erst dann guten Gewissens leisten mag, wenn sich bestimmte Grundgedanken auch für die Großserie abwandeln lassen - nur so heiligt der Zweck im Wortsinn die Mittel.

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