Buchkritik "Formel 2 - 1964 bis 1984":Wettrennen in den Tod

Der zertrümmerte Lotus-Cosworth von Jim Clark in Hockenheim 1968.

Es geschah am 7. April: Der zertrümmerte Lotus-Cosworth von Jim Clark in Hockenheim, bewacht von einem Polizisten.

(Foto: dpa)

Eberhard Reuß lässt in seinem Buch über die Formel 2 die waghalsigen Rennen der Grand-Prix-Stars mit den jungen Wilden wieder auferstehen. Eine Zeit, an die unser Autor sehr persönliche Erinnerungen hat.

Von Eckhard Schimpf

Welch eine Spannung! In der Formel 2 konnten sieben Autos fast gleichzeitig über die Ziellinie brausen. In der Glanzzeit von Hans-Joachim Stuck appellierte der Radiosender SWR am Morgen eines Renntages an die Hörer, bitte keinesfalls ins Motodrom zu kommen. Es sei ausverkauft. 120 000 Zuschauer! Und die schossen - und das war damals neu in der Rennszene - bündelweise Raketen ab, wenn Stuck die Spitze hielt.

In seinem Buch "Formel 2 - 1964 bis 1984" hat Eberhard Reuß die Glanzzeiten, aber auch das Elend dieser Rennserie aufgezeichnet. Beim Lesen fällt es mir schwer, die Distanz des Rezensenten zu bewahren. Zu intensiv habe ich diese Rennen miterlebt. Kenne oder kannte viele Konstrukteure, Manager und Fahrer. Graham Hill, Max Mosley, Jochen Neerpasch, Strietzel Stuck.

Oder wie war das damals in London? 1964? Ich hatte Kurt Ahrens senior begleitet, der für seinen Sohn bei Cooper in Surbiton ein Chassis abholte und bei Cosworth einen Formel-2-Motor. Wir hatten noch die Racing-Car-Show am Earls Court besucht und trafen dort Jochen Rindt, der uns abends in einen Club führte. Eine Art Disco, in der junges Volk unter zuckenden Blitzen tanzte. Mitten im Gewühl, seine Freundin Shirley im Arm, Jochen Rindt. Sechs Jahre später starb er in Monza und wurde als Toter zum Weltmeister der Formel 1 gekürt. Vorher hatte er noch einen inoffiziellen Titel errungen: "König der Formel 2".

Shirleys Einfluss ließ Rindt siegen

Und genau das hatte auch mit jener Shirley zu tun, in deren Wohnung in Tottenham Jochen Rindt damals wohnte. Shirley, resolut und liebenswert, arbeitete bei Cosworth. Sie hatte Einfluss. Immerhin so viel, dass sie die Pappschilder an den fertig präparierten Rennmotoren tauschen konnte. An einem der Triebwerke baumelte da nun statt "Hill" der Name "Rindt". Das hatte Folgen. Beim Formel-2-Lauf 1964 in Chrystal Palace war Rindt, zuvor ein Nobody, plötzlich Trainingsschnellster vor Weltmeister Jim Clark. Und im Rennen siegte er vor Graham Hill, dem Exweltmeister. Es war der erste wichtige Sieg für Rindt, diesen "James Dean der Pisten". Er wurde schlagartig berühmt. Schmunzelnd erzählte er später gern die Shirley-Story.

Formel 2 - das war vor vier, fünf Jahrzehnten eine enorm beliebte Rennwagenkategorie. Hier balgten sich Weltmeister und Grand-Prix-Sieger mit den jungen Wilden. Mit denen, die nach ganz oben wollten. Das war eine Mischung, die den Zuschauern gefiel - aber mit Bernie Ecclestone einen mächtigen Gegner hatte. Getreu seinem Motto: "Ich bin gegen alles, was der Formel 1 nicht nützt." Ihm missfiel, dass die Formel 2 nicht nur die Fans und potente Sponsoren lockte, sondern sich auch Fernsehsendezeiten sicherte.

Als die Formel 2 mächtiger als die Formel 1 war

Der Begriff Formel 2 wurde 1948 geprägt, als man gleichzeitig die Formel 1 erfand und dazu die Weltmeisterschaft, die es seit 1950 gibt. Wie wichtig eine zweite Topliga des Rennsports war, zeigte sich schon bald, denn die Formel 1 dünnte aus. Umgehend wurde die WM 1952 und 1953 für Formel-2-Wagen ausgeschrieben. Als 1959 und 1960 die Formel 1 erneut schwächelte, wertete die FIA blitzartig die 1,5-Liter-Wagen der Formel 2 zur Formel 1 auf, die von 1961 bis 1965 galt. In dieser Zeit existierte für drei Jahre keine Formel 2, aber sie lebte 1964 wieder auf.

Genau da beginnt das Buch von Eberhard Reuß. Keine Frage: Dieser Mann ist kompetent. Klar formulierend, kenntnisreich und vor allem gründlich recherchierend. Reuß, der sich vor allem mit dem Buch "Hitlers Rennschlachten. Die Silberpfeile unterm Hakenkreuz" Anerkennung erwarb, beleuchtet drei Formel-2-Jahrzehnte, die fast vergessen sind. Doch was wäre der Text ohne Bilder? Der Band bietet tolle Aufnahmen von Ferdi Kräling, der seit Jahrzehnten ein wahrer Champion der Rennfotografie ist. Was indes diesem Reuß-Buch den Rang eines ewigen Nachschlagewerkes beschert hätte, wäre noch ein dritter Eckpfeiler neben Text und Fotos gewesen. Nämlich ein Anhang mit den Formel-2-Ergebnissen. Die vermisst man.

Die Deutschen in der Formel 2

Das Cover des Formel-2-Buches von Eberhard Reuß und Ferdi Kräling.

Hans-Joachim "Strietzel" Stuck ziert das Cover des Formel-2-Buches von Eberhard Reuß und Ferdi Kräling.

(Foto: Delius Klasing)

Wer in diesem Band blättert, der entdeckt, dass es kaum einen Formel-1-Star gab, der nicht auch in der Formel 2 an den Start gerollt wäre. Da kassierten sie fette Gagen. Damals ließen die Teamchefs der Formel 1 solche Zusatzstarts ihrer Piloten noch zu. Unter diesem Aspekt gewinnen die Erfolge von Fahrern wie Kurt Ahrens, Dieter Quester oder Hubert Hahne besonderes Gewicht. Das waren Kerle, die auf dem Treppchen standen, obwohl im gleichen Rennen Cracks fuhren wie Jackie Stewart, Jim Clark, Jacky Ickx, Jochen Rindt, Graham Hill, Jack Brabham, Dennis Hulme. Vor allem Ahrens gilt als unterschätzter Könner, der Glanzleistungen hinlegte, aber oft an technischen Defekten scheiterte. Vielleicht auch, weil er als Privatfahrer keine Topmechaniker hatte.

Unter den Deutschen in der Formel 2 wie Jochen Mass und Rolf Stommelen spielte Hans-Joachim Stuck eine Sonderrolle. Als "König von Hockenheim" und bayerischer Gaudi-Bursche, der - "befeuert" durch die von Paul Rosche konstruierten BMW-Motoren - eine ganze Formel-2-Ära prägte. Ende der 1970er-Jahre, als die Formel 1 sich immer professioneller organisierte, begann der Exitus der Formel 2. Die großen Namen der Formel 1 blieben weg. Junge Leute kämpften sich vor. Surer, Cheever, Giacomelli, Fabi. Auch Christian Danner, der heutige RTL-Kommentator.

Der Tod war allgegenwärtig

Das Buch von Eberhard Reuß spart die düstere Seite jener Jahre nicht aus, das Sterben auf der Rennstrecke. Der Tod war allgegenwärtig. Eine Tatsache, die unsere heutige Gesellschaft nicht mehr akzeptieren würde. Viele deutsche Asse, die in der Formel 2 glänzten, starben im Cockpit. Gerhard Mitter, Stefan Bellof, Rolf Stommelen, Manfred Winkelhock.

Erschüttert haben mich vor allem die Unfälle zweier Jungstars, mit denen ich 1979 gemeinsam im Freiburger GS-Tourenwagen-Team fuhr. Beide starben 1980 in der Formel 2. In Hockenheim zuerst Markus Höttinger und in Zandvoort dann Hans-Georg Bürger, mit dem ich 1979 beim 1000-Kilometer-Rennen auf dem Nürburgring gewonnen hatte. Beide waren bei BMW unter Vertrag. Beide galten als Talente, die McLaren-Chef Ron Dennis schon im Visier hatte.

Auch diese traurige Episode gehört dazu: Jim Clark, zweifacher Weltmeister der Formel 1, starb 1968 an einem trüben Aprilsonntag in Hockenheim. Am Tag zuvor waren Jim Clark, Kurt Ahrens und ich noch gemeinsam nach Mainz gefahren. Ins ZDF-Sportstudio. Auf dem Rückweg - locker plaudernd über Mädchen, Moorhuhnjagd und Rennwagen - ereilte den Ahrens-Mercedes plötzlich ein schleichender Pleuelschaden. Mit Mühe - weil wir alle nicht genug Geld dabei hatten - erwarben wir dank einiger Clark-Autogramme am Rasthof Pfungstadt zehn oder zwölf Liter besonders dickflüssiges Öl, um den Motor zu besänftigen. Im Kriechtempo ging es in Richtung Speyer. Gegen zwei Uhr stoppten wir vor dem Hotel Luxhof. Jim Clark schlug uns auf die Schultern und sagte: "Wir sehen uns morgen." Zehn Stunden später war er tot. Sein Lotus zerschellte im Wald von Hockenheim. Tragödien und Triumphe - die Formel 2 bot beides.

Eberhard Reuß / Ferdi Kräling: Formel 2 - Die Story von 1964 bis 1984; Delius Klasing Verlag; 208 Seiten; 72 Farb- und 47 Schwarzweißfotos; 39,90 Euro; ISBN 978-3-7688-3865-8; ET: 18. September.

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