BMW 120d:Der Einerseits-Andererseits-Einser

Im Kleinsten aus München sollte man nicht das Familienauto suchen - dann kann man gegen Aufpreis viel Freude mit ihm haben.

Von Jörg Reichle

Können diese Augen lügen? Derart treuherzig schaut uns der neue Einser von BMW an, dass man den bösen Blick des Fünfer spontan vergisst und mal wieder dem Kindchen-Schema der Designer auf den Leim geht. Je größer die Augen, desto wärmer das Gefühl. Sollte man meinen.

Doch hinter seinen Glupschaugen sucht man Knuffigkeit beim derzeit kleinsten BMW eher vergebens. Das Design folgt mit der langen Haube und dem bulligen Heck, mit den dramatischen Wechseln von konvexen und konkaven Flächen, dem auffälligen Verlauf von Fugen und den betonten Radhäusern ganz der neuzeitlichen Formensprache bei BMW.

Mit den bekannten Folgen: Was die einen für bildschön halten, bezeichnen andere als schlechten Witz. Wobei sich auf unserer zweiwöchigen Testfahrt über einige tausend Kilometer die Bewunderer eindeutig in der Überzahl befanden. Und im Zweifel ist es einfach ein BMW. Das reicht für die zahlreichen Fans der Marke ja meist schon.

In die Niederungen

Die Bayern, das hat sich mittlerweile herumgesprochen, betreten mit dem Einser Neuland: Noch nie seit den Tagen der seligen Kleinwagen vom Schlage eines 700 begab man sich in die Niederungen diesseits der Mittelklasse hinab. Zu groß war irgendwann wohl die Angst, den exklusiven Anspruch der Marke anzukratzen.

Doch die Zeiten ändern sich wie das Käuferverhalten. Jetzt soll der Einser den Hecht im Karpfenteich der Golfs, Astras und Focusse geben, soll sich mit Franzosen und Italienern herumschlagen und auch dort für weißblaue Kunden sorgen, wo sich bislang, igitt, nur die Massenware tummelte.

Und BMW wäre nicht BMW, wenn man die Kernwerte der materialisierten Freude am Fahren nicht auch auf kleinere Dimensionen herunterbrechen würde. Also, sagt BMW, wird der Einser mit seinem vorne längs eingebauten Motor und der Kraftübertragung auf die Hinterräder, "eine neue Ära in der Kompaktklasse" einläuten.

Kaum mehr Unterschiede spürbar

Ob der Anspruch erfüllt wird? Einfach ist es nicht, schließlich sind die Konkurrenz-Modelle aus Wolfsburg, Ingolstadt, Stuttgart, Rüsselsheim und Köln allesamt mit exzellenten Fahrwerken versehen. Wir können uns kaum vorstellen, dass der Durchschnittsfahrer überhaupt noch in Geschwindigkeitsbereiche vorstößt, in denen echte Unterschiede zu den Fronttrieblern auszumachen sind.

Noch am ehesten wird das Plus in der spezifischen Agilität und Leichtigkeit offenbar, mit der sich der Einser dirigieren lässt. Das Einlenken geht so willig vonstatten, dass einen manchmal der Eindruck beschleicht, das Auto eile dem Fahrerwillen voraus.

Der Einerseits-Andererseits-Einser

Von möglichen hohen und höchsten Kurvengeschwindigkeiten zu reden, erübrigt sich fast schon - einerseits, weil die BMW-Fahrwerke hier traditionell über jeden Zweifel erhaben sind. Andererseits aber auch, weil die alltägliche Verkehrsdichte über weite Strecken enge Grenzen setzt.

Der Vorteil, die Hinterräder anzutreiben und damit die Vorderachse von dieser Aufgabe zu entlasten, ist also spürbar. Leider auch die Nachteile, denn der Heckantrieb kostet hinten doch wertvollen Fußraum.

Wer Schuhe jenseits der Kindergröße trägt, hat beim Aussteigen Mühe mit dem Ausfädeln, und die unten enge Türöffnung tut ein Übriges, einem das Reisen zu erschweren. Der Kofferraum ist dagegen ordentlich bemessen.

1 für zwei

Im Gegensatz zu den Allroundern der Konkurrenz ist der Einser also betont spitz positioniert: viel Fahrvergnügen für zwei heißt das positiv ausgedrückt, anders herum trifft ihn aber auch der Spott, der ihn zum ersten viertürigen Zweisitzer der Welt erklärt.

Mit dieser klaren Stärken/Schwächen-Verteilung gewinnt man natürlich keine Vergleichstests, und so fahren dem Einser in der Fachpresse unisono die Alleskönner wie VW Golf oder Mercedes A-Klasse derzeit um die Ohren, zumal der BMW mit dem gewohnt hohen Kostenniveau ein weiteres Handicap mit sich herumträgt.

Der Einerseits-Andererseits-Einser

Einerseits. Andererseits begeistert der Einser eben als echter BMW. Vorn passt er wie ein Handschuh, er hat Charakter und Biss. Vor allem der 163 PS starke Diesel hat es uns angetan.

Obwohl das Sechsgang-Getriebe zu lang ausgelegt ist, bietet der Motor Kraft und Durchzug in jeder Lage, dazu moderaten Verbrauch und gute Manieren. Und er arbeitet ohne Knurren. Klarer Punktsieg also über den Benziner. Auf den Rußfilter muss man beim 120d allerdings noch lange warten.

Bedenkliche Qualitätsanmutung

Echt gestört hat uns freilich die Nonchalance, mit der BMW den Qualitätseindruck im Innenraum vernachlässigt. Machen Sie mal den Handschuhfach-Test: auf, zu, schepper, klack. Das kann nicht BMW sein, Premium ist es schon gar nicht.

Zumal nicht bei diesen Preisen, für die es ohnehin keine üppige Serienausstattung gibt. Unser Testwagen brachte es mit vielen Extras auf immerhin 37.760 Euro. Für Altrechner wie uns: Das sind mehr als 75.000 Mark. Dafür gab es vor nicht allzu langer Zeit noch große, richtig luxuriöse Autos.

BMW 120d: 120 kW (163PS); max. Drehmoment: 340 Nm bei 2000 Umdrehungen; 0-100 km/h: 7,9 s; Vmax: 220 km/h; Verbrauch: 5,7 l; EU4; Grundpreis: 24.400 Euro

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