Blitzer-Marathon:Karikatur einer Kontrolle

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Beim ersten bundesweiten Blitzer-Marathon kontrolliert die Polizei 24 Stunden lang verstärkt die Geschwindigkeit von Fahrzeugen.

(Foto: dpa)

Der Führerschein und der Waffenschein sind Verwandte: Wer in Deutschland ein Auto führt, schätzt das Risiko genauso gering ein wie derjenige, der in den USA eine Knarre im Hosenbund hat. Die Freiheit des Autofahrens einzuschränken, gilt hierzulande als politischer Selbstmord. Deshalb ist der Blitzer-Marathon der Polizei keine Abzocke, sondern eine Farce.

Ein Kommentar von Ralf Wiegand

Nirgendwo ist der Bruch von Vorschriften besser organisiert als auf der Landstraße. Wenn es darum geht, Tempolimits zu überschreiten und der Strafe dafür zu entgehen, sind alle Komplizen: die Mutter auf dem Weg zum Kindergarten und der Staubsaugerverkäufer im Außendienst, der Chauffeur des Chefs und der Arzt auf Hausbesuch. All die Gehetzten des Alltags. Also jeder.

Autofahrer signalisieren dem Gegenverkehr mit Lichthupe die nächste Radarfalle, öffentlich-rechtliche Radiosender haben mit vom Staat eingetriebenen Gebühren Hotlines geschaltet, denen man Blitzer melden kann, die im Anschluss an die Verkehrsnachrichten durchgesagt werden wie der Pollenflug. Sehr raffinierte Kfz-Halter schleusen verbotene Radarwarngeräte ins Land. Navigationssysteme bieten spezielle Radarkarten an, und natürlich gibt es längst entsprechende Apps fürs Smartphone, immer up to date. Rasen ist eine sichere Sache geworden.

Regelhüter rüsten auf

Auf der anderen Seite rüsten auch die Regelhüter auf. Radargeräte werden immer kleiner und damit mobiler. Wo früher als "Starenkästen" belächelte Kameras standen, tarnen sich Messgeräte heute als Skulpturen. Auf den Autobahnen kreuzen zivile Polizeiautos, die mit Videomessung aufgebrezelt sind; von Brücken herunter werden Strecken und Zeiten gemessen und daraus das Tempo errechnet.

Das alles ist am Donnerstag geballt zum Einsatz gekommen: Der sogenannte Blitzer-Marathon war eine Art Leistungsschau der Verkehrsüberwachungsindustrie. 14 700 Polizisten haben an 8600 Stellen 24 Stunden lang gemessen, geblitzt, fotografiert und kassiert. Wir könnten auch anders, soll das wohl heißen. Warum tun sie's dann nicht öfter?

Das Blitzgewitter mutet mindestens komisch an - nicht nur, weil in Krefeld ein Lama geblitzt wurde. Wie bei einer Schnitzeljagd heften sich die Verkehrswächter an die Fersen der Verkehrssünder, sagen ihnen aber vorher genau, wann, wo und wie sie ihnen auflauern - als würde der Jäger sein Halali schon blasen, bevor er die Wildsau erlegt hat. Ein Spiel ist das Ganze, ein Wettbewerb. Fang den Hut im Asphaltdschungel: Heute halten wir uns alle für einen Tag mal an die Regeln, okay?

Gesetzeshüter auf Samtpfoten

Wie es wohl klingen würde, wenn die Kriminalpolizei solch eine Aktion auflegen würde: Heute bringen wir mal einen Tag lang keinen um, okay? Lächerlich, natürlich. Aber dem Autofahrer nähert sich der Gesetzeshüter eben stets auf Samtpfoten - das hat er mit dem Gesetzgeber gemeinsam. Die Freiheit des Autofahrens einzuschränken, gilt noch immer als sicherer politischer Selbstmord, ähnlich wie in Amerika die Einschränkung des Rechts auf Waffen. Der Waffenschein und der Führerschein sind wie Verwandte. Derjenige, der ein Auto führt, schätzt das Risiko genauso gering ein wie derjenige, der eine Knarre im Hosenbund hat. Es sind immer die anderen, die damit nicht umgehen können. Man selbst hat alles im Griff. Selbstbeschränkung? Reglementierung? Alles Schikane. Man sollte vielleicht nicht mehr sofort empört den Kopf schütteln, wenn im Autoradio mal wieder gemeldet wird, dass in den USA mal wieder kein schärferes Waffengesetz eingeführt worden ist.

Seltsam ist das. Die Menschen haben Angst vor allem, vor Eichenprozessionsspinnern, Werbeanrufen, Bankberatern, vor dem Fliegen. Aber Autofahren bei 200 Stundenkilometern mit Handy am Ohr ist kein Problem. Das Auto, lernt man schon im Physikunterricht, ist ein geschützter Raum. Es macht nicht nur immun gegen Blitzeinschlag, es macht sogar unsichtbar. Wie viele Autofahrer beschimpfen auf der Straße ihre Frau auf dem Beifahrersitz, bohren grunzend vor Glück in der Nase oder beleidigen Mitbürger durch die gewienerte Windschutzscheibe, als könnte sie niemand dabei beobachten?

Maut wichtiger als der Syrien-Konflikt

Jeder Eingriff in dieses Recht ist ein Tabubruch - oder muss offenbar als einmalige Aktion verniedlicht werden. Der erste autofreie Sonntag, während der großen Ölkrise 1973, hat es ins Geschichtsbuch geschafft, eine Besonderheit wie die Mondlandung. Ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wird nur deshalb immer wieder diskutiert, damit jemand sich feiern lassen kann, es verhindert zu haben. Die Kontrolle von in der Straßenverkehrsordnung verankerten Vorschriften gilt als Abzocke. Und im Bundestagswahlkampf war die Maut wichtiger als Syrien. Eben.

Die Blitzer-Orgie ist auf all das keine Antwort, sie ist die Karikatur davon. Nicht nur wegen des armen Lamas, auch wegen der FDP. Dass gerade die sich echauffiert in Gestalt des hessischen Justizministers Jörg-Uwe-Hahn, der von "Volkserziehergehabe" spricht - es zeigt vor allem eins: Die FDP weiß immer noch nicht, was Freiheit bedeutet. Die Freiheit zu rasen bedeutet sie jedenfalls nicht.

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