Billigautos:Die Billig-Offensive

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Mit Autos für weniger als 7000 Euro wollen Indien und China auf die Erfolgsspur. Der Preisdruck auf deutsche Hersteller steigt.

Joachim Becker

Chinakracher können nach hinten losgehen: Billigreifen aus Fernost zum Beispiel, die im Dauerlauf platzen oder eine Limousine, die sich mit lautem Knall im Crashtest verabschiedet. Die Bilder vom gefalteten Brilliance B6 sorgten vor wenigen Wochen für Schrecken, der ADAC forderte ein Importverbot: "Dieses Auto ist ein Sicherheitsrisiko und hat auf unseren Straßen nichts zu suchen." 2005 hatte der Verkehrsclub den China-Geländewagen Landwind mit 64 km/h gegen die versetzte Barriere gefahren - nach dem Offset-Crash stellten die Tester "gravierende Konstruktionsfehler" fest und beklagten eine "untragbare Reduktion des Überlebensraumes".

Als der ADAC 1987 mit Crashtests begann, hieß es bei vielen Autoherstellern in Europa: "Sicherheit verkauft sich nicht - zu kompliziert, zu teuer." 20 Jahre waren nötig, um Sicherheitszelle, ABS und Airbags zu etablieren. Und das ESP ist in Europa immer noch die Ausnahme; dank sinkender Systempreise wird sich der Schleuderschutz jedoch weiter durchsetzen. "1995 kostete das erste ESP 2800 D-Mark, ein Vermögen. Heute haben wir den Preis auf 130 US-Dollar für das Basissystem reduziert", sagt Karl-Thomas Neumann, Geschäftsführer von Continental Automotive Systems (CAS).

Elektronik macht Hightech im Auto erschwinglicher. China, Indien, Osteuropa oder Russland können daher bei der Sicherheit schnell aufholen: "Es gibt regional große Unterschiede bei den Kundenerwartungen hinsichtlich Fahrgeräusch und Vibrationen", sagt Kurt Lehmann von Continental Automotive Systems, "aber bei Sicherheitssystemen, Abgasstandards und komfortablen Extras wie Klimaanlagen und mobilen Entertainment-Systemen im Auto wachsen die Kundenanforderungen weltweit schneller zusammen als erwartet", so der Senior Vice President Engineering Affordable Cars.

Hinter Lehmanns sperrigem Titel verbirgt sich eine deutsche Zulieferer-Offensive in China und Indien, den wichtigsten Zukunftsmärkten der Autoindustrie. So baut Continental ein Entwicklungszentrum in Schanghai und eine Fabrik für hydraulische Bremssysteme 100 Kilometer entfernt davon - Gesamtinvestition 100 Millionen Euro. Auch in Indien startet Conti millionenschwere Joint-Ventures, um Billigautos mit deutscher Bremsentechnik zu bestücken.

Bosch ist größter Zulieferer Indiens

Bosch ist bereits seit 1954 in Indien aktiv und hat es nach eigenen Angaben zum größten Kfz-Zulieferer des Landes gebracht. Bis zum Jahr 2010 will das Unternehmen eine Milliarde Euro Umsatz mit der Ausrüstung sogenannter Low-Price-Vehicles erreichen - das wäre ein Segmentanteil von immerhin 25 Prozent. "Wir nehmen diesen Trend sehr ernst", sagt Bosch-Geschäftsführer Bernd Bohr, "in China erwirtschaften wir mehr als 50 Prozent mit lokalen Herstellern."

Billigautos werden weltweit ein Renner, da sind sich die Experten einig. Autos, die nicht mehr als 7000 Euro kosten, könnten 2010 einen Weltmarktanteil von 13 Prozent erreichen, schätzt Bosch. Allein der Dacia Logan wird dann in sieben Werken weltweit eine Million Mal pro Jahr vom Band laufen. 2015 sollen markenübergreifend 10 Millionen Billigautos pro Jahr verkauft werden, erwartet Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer. Auch unterhalb des Dacia Logan sei preislich noch viel Luft, der Markt für Ultra-Low-Cost-Vehicles soll besonders kräftig wachsen.

Indiens größte Firmengruppe Tata will im nächsten Jahr ein 2000-Euro-Auto auf dem Heimatmarkt anbieten. Keine Rennpappe wie der Trabant soll es sein, sondern "ein richtiges Auto, ganz normal geschweißt", betonte Firmen-Chef Ratan Tata in einem Gespräch mit dem Handelsblatt; Bosch wird Bremsen, Generatoren und Einspritzsysteme für den Viersitzer liefern.

Generell dürfe ein Auto in Indien höchstens 4000 Euro kosten, um im Massenmarkt erfolgreich zu sein, sagt Ratan Tata und bezweifelt, dass Anbieter wie Volkswagen ein Auto für 2500 Euro produzieren könne. Dudenhöffer schlägt in dieselbe Kerbe: Deutsche Hersteller wie VW und Opel planten zwar Billigautos, aber im wesentlichen für das Segment von 6500 bis 9000 Euro. "Die deutschen Hersteller arbeiten nur am Produkt, vergessen aber die Billigfabrik, den Billigvertrieb, die Billiglogistik", kritisiert Dudenhöffer.

Werksgründungen der Deutschen in China und Indien reichen nicht aus, wenn sie dort keine neuen Fahrzeugkonzepte entwickeln. Folge der halbherzigen Strategie: Von den prognostizierten zehn Millionen Billigautos jährlich werden voraussichtlich mehr als vier Millionen von Autobauern wie Tata und Mahindra aus Indien oder Chery und Gely aus China kommen. Die Fahrzeuge sollen zu 90 Prozent in den Ländern verkauft werden, die restlichen zehn Prozent genügen allerdings, um den europäischen und amerikanischen Markt gehörig unter Preisdruck zu setzen.

Keine deutsche Antwort auf den Logan

Auch drei Jahre nach dem Start des Dacia Logan haben hiesige Hersteller noch keine Antwort auf das 7000-Euro-Auto gefunden. Die rumänische Sparbüchse mit drei Sternen im Crashtest ist moderner, als es scheint. "Wir liefern das Airbagsystem für den Logan - ein hoch integriertes System, das mehr Funktionalität als bisher auf einem Chip vereint", berichtet CAS-Geschäftsführer Karl-Thomas Neumann.

Konzernmutter Renault setzt beim Logan auf einen intelligenten Mix neuer und bewährter Teile; so entstammt die Bodengruppe des Logan dem Renault Clio, dessen Zuverlässigkeit in zehn Jahren Laufzeit optimiert wurde. Diese Erfahrungsbasis hilft, kostspielige Prototypen zu vermeiden. "Der Dacia Logan war ein Trendsetter bei der computergestützten Entwicklung", berichtet Pressesprecherin Axelle de Ladonchamps.

"Technologie ist in jedem Segment bezahlbar, wenn man es richtig macht", bestätigt Kurt Lehmann, "auch Wachstumsmärkte erwarten Qualität, weil sie ihre Produkte früher oder später exportieren wollen." Der Continental-Entwicklungsexperte ist angetan von chinesischen und indischen Herstellern, die genau die Erwartungen ihrer Kunden träfen: "Wir brauchen in diesen Ländern lokale Ingenieure, weil sie wissen, was gewünscht wird und Ideen haben, die weltweit Erfolg haben können."

Auch Bosch-Geschäftsführer Bernd Bohr erwartet weitreichende Impulse für Entwicklung und Produktion: "Es müssen neue technische Ansätze für passende und preiswerte Lösungen gefunden werden. Es ist nicht damit getan, Uralt-Techniken auszugraben oder Bisheriges einfacher zu machen." So hat Bosch eine neue Steuergeräte-Plattform für Benzinmotoren unter dem Namen Value Motronic konsequent auf minimale Entwicklungs- und Herstellungskosten ausgelegt, ohne die künftigen Emissionsziele in Indien auf Euro-4-Niveau zu vernachlässigen.

Billigautos müssen kein Ramsch sein; das haben Citroën 2CV, Renault R4 und VW Käfer zu ihrer Zeit bewiesen. Und der vor kurzem vorgestellte neue Fiat 500 ist die Reinkarnation einer solchen Ikone, die einer ganzen Generation von Vespa-Fahrern zum Sprung auf die eigenen vier Räder verholfen hat. Weil das Wägelchen sportlich getrimmt wurde, ist es mit 900 Kilo schwerer als ein Fiat Panda und mit 10.000 Euro auch teurer. Fiat hat den Kleinen bewusst aufgestylt, um sich von künftigen Billigautos abzusetzen, denn: 2008 wollen die Italiener ein solches mit Tata in Indien bauen und in ganz Asien verkaufen. Renault plant mit Mahindra, Indiens größtem Hersteller von Nutzfahrzeugen, ein 2500-Euro-Auto unterhalb des Dacia Logan. Europäische Crashstandards können solche Volks-Wagen zwar nicht erfüllen, dafür reisen die Passagiere sicherer als auf den Zweirädern, die sie vorher besaßen.

Crashversagen nur eine Panne bei der Aufholjagd

Durchschnittstempo und Crashanforderungen sind in Asien niedriger als bei uns, dafür ist die Wachstumsdynamik um so höher. Im laufenden Jahr wird der chinesische Automarkt den Inlandsabsatz des Weltmarktzweiten Japan überholen, 2006 ist das Reich der Mitte bereits an Deutschland vorbeigezogen. "Die Rolle der Erfindernation des Autos wird unbedeutender im Weltautogeschäft", so Dudenhöffer. Noch setzt Europa technologisch Maßstäbe, doch die Chinesen und Inder werden mindestens so schnell lernen wie einst die Japaner und Koreaner. Das Crashversagen des Brilliance B6 ist wohl nur eine peinliche Panne im Rahmen einer rasanten Aufholjagd.

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