Berühmte Marken: Lancia:Ein Edelstein wird neu geschliffen

Bald ist es so weit: Am 29. November feiert Lancia 100. Geburtstag. Doch schon Anfang September hat der oberste Fiat-Statthalter in Venedig die Korken knallen lassen - und Großes versprochen.

Georg Kacher

Gemeinsam mit seinen 2000 engsten Freunden stieß Luca di Montezemolo darauf an, dass "Lancia wieder Fahrt aufnimmt. Unternehmerisches Ziel ist nicht das nackte Überleben, sondern profitables Wachstum. Deshalb werden wir bis 2010 die Produktion von derzeit 100000 auf 300000 Autos hochfahren."

Ein feuerroter Lancia Astura Aerodinamica aus dem Jahre 1935, Foto: AP

Ein feuerroter Lancia Astura Aerodinamica aus dem Jahre 1935.

(Foto: Foto: AP)

Zwischenruf aus der ersten Reihe von Sergio Marchionne, der Fiat Auto in Rekordzeit auf Sanierungskurs getrimmt hat: "Haben wir fünf Jahre Zeit, die 300000 Autos zu produzieren - oder müssen wir allen Ernstes unseren jährlichen Absatz verdreifachen?" Schallendes Gelächter.

So wie Alfa-Romeo und Maserati künftig enger zusammenrücken werden, so üben auch Lancia und Fiat den Schulterschluss. Nach Ypsilon, Musa und Phedra klinkt sich 2008 der Delta HPE in die DNS-Spirale der Konzernmutter ein.

Im Gegensatz zum zweitürigen Original aus dem Jahr 1975 ist das neue Modell ein bildschöner Viertürer, der mit 2,70 Meter Radstand den artverwandten Fiat Bravo um eine gute Handspanne übertrifft. Der 4,50 Meter lange Wagen besitzt eine zweiteilige Heckklappe, elektronisch verstellbare Dämpfer und einen breiten Motorenfächer von 120 bis 200 PS.

Olivier François, seit einem Jahr an der Spitze von Lancia, fasst zusammen: "Der HPE wird uns helfen, jene Schieflage zu beseitigen, die darin begründet ist, dass Lancia derzeit 80 Prozent seines Umsatzes in Italien macht und dass 65 Prozent unseres Geschäfts auf den wenig ertragreichen Ypsilon entfallen. Deshalb müssen wir mindestens 25000 der geplanten 60000 Delta-Einheiten in Rest-Europa absetzen."

Ein Edelstein wird neu geschliffen

Neben dem Franzosen François bestimmen Giuseppe Bonollo (Technik) und Frank Stephenson (Design) die Geschicke der Traditionsmarke. Die Schwierigkeit dürfte vor allem darin bestehen, mit geringem Einsatz eine möglichst breite und eigenständige Produktpalette auf die Räder zu stellen.

Lancia, Foto: AP

Erich Maria Remarque schrieb einmal über seinen Lancia: "Ein Renner, der Zeit und Raum überstürmte."

(Foto: Foto:)

Sergio Marchionne präzisiert: "Lancia muss Synergien nutzen - beim Vertrieb gilt Alfa als Maß der Dinge, bei der Technik steht der komplette Konzernbaukasten zur Verfügung." Doch wie will man sicherstellen, dass sich Lancia und Alfa nicht ins Gehege kommen?

"Alfa hat vor allem Sportlichkeit im Blut. Für Lancia sind Autorennen dagegen kein Thema mehr. Stattdessen soll sich die Marke durch subjektive Werte wie Stil, Design, Anmutung und durch eine unverwechselbare italianitá profilieren. Dazu kommt ein Service, der Maßstäbe setzen wird." Marchionne verspricht eine Werkstattbetreuung rund um die Uhr und einen Hol-und-Bring-Dienst bei jeder Inspektion.

Keine technischen Eskapaden

In Absprache mit den Kollegen Antonio Baravalle (Alfa) und Luca de Meo (Fiat) hat Olivier François für Lancia eine ebenso ehrgeizige wie pragmatische Strategie entwickelt, die Mut und Machbarkeit auf einen gemeinsamen Nenner bringt.

Der einzige Farbtupfer, der in dieser Palette fehlt, ist ein klassisches Heckantriebsmodul. Alfa Romeo kann sich als Überflieger einen exklusiven 8C auf Maserati-Basis leisten und mit dem Q4-Allradantrieb alle Traktionsprobleme lösen, doch bei Lancia verbieten die geringen Stückzahlen jede technische Eskapade.

Deshalb bleibt der Nachfolger des Thesis, von dem aktuell nur 2000 Stück pro Jahr gebaut werden, beim Frontantrieb. Das Projekt mit dem vielversprechenden Decknamen Aurelia, das 2010 spruchreif sein soll, muss auch die Bodengruppe, das Fahrwerk und den Antriebsstrang vom Vorgänger übernehmen.

Innovative Antriebe kommen

Das Design ist aber komplett neu, wobei man auf eine Renaissance der legendären carozzeria italiana hoffen darf, die neben der Aurelia auch Ikonen wie Aprilia, Astura und Flaminia hervorgebracht hat. Neben der Limousine wird es mit großer Wahrscheinlichkeit einen sportlichen GT geben, den wir uns als zweisitzigen Spider und als 2+2-sitziges Coupé wünschen.

Auch die Antriebe können sich sehen lassen. Gas-Hybrid gilt als gesetzt, ebenso wie Flex-Fuel-Motoren und ein innovativer elektro-hydraulischer Ventiltrieb für mehr Drehmoment und weniger Verbrauch.

Der nächste Coup, den Lancia nach dem HPE landen will, ist ein kompakter Sportwagen im Stil der 2003 gezeigten Fulvietta-Studie.

Ein Edelstein wird neu geschliffen

Lancia Thesis, Foto: AP

Lancia Thesis bei der Präsentation 2001.

(Foto: Foto: AP)

Weil dem Coupé auf Barchetta-Basis inzwischen der Hardware-Spender fehlt, setzen die Produktplaner jetzt auf ein etwas größeres Auto mit versenkbarem Klappdach.

Den technischen Unterbau soll eine verkürzte Bodengruppe des neuen Fiat Bravo liefern. Davon profitiert auch die Rentabilität, denn das zugrundeliegende Gleichteilekonzept verspricht ordentliche Gewinne schon bei geringen Stückzahlen.

Der Phedra feiert sein Comeback

Der Nuova Fulvia ist für 2009 vorgesehen. Als drittes Lancia-Modell, das an die Bravo-Matrix andocken könnte, steht mittelfristig ein sportlich-elegantes viersitziges Coupé auf der Wunschliste der Markenverantwortlichen. Dabei ist nicht an einen Alfa-GT-Verschnitt gedacht, sondern an eine spannende Mischung aus Shooting Brake und Edelkombi.

Am unteren Ende der Skala hat sich der eben erst facegeliftete Ypsilon hübsch gemacht für den zweiten Lebensabschnitt. In seinem Schatten darbt der noble Musa als Mauerblümchen, das ohne die Fiat-Connection längst verblüht wäre.

Was der Marke in diesem Segment fehlt, ist ein echtes Gegenstück zum Grande Punto und zum kommenden Alfa Romeo Junior. So wie es aussieht, wird in diese Rolle der Ypsilon-Nachfolger hineinwachsen müssen, denn für ein weiteres Nischenmodell fehlt das Geld. Grünes Licht erhielt dagegen die Neuauflage des Phedra.

Während der farblose Fiat Ulysse wegen Erfolglosigkeit eingestellt werden soll, will Lancia den Phedra II wieder gemeinsam mit PSA konzipieren - allerdings nicht mehr als verkappten Kleinbus, sondern als sechssitzigen Lifestyle-Tourer mit nur leicht angehobener Dachpartie.

Sechs neue Modelle

O-Ton Turin: "Bei diesem Projekt geben die Franzosen den Takt vor. Wir wünschen uns ein variables Karosseriekonzept mit viel Flair und Ambiente, gerne auch als Crossover mit optionalem Allradantrieb."

Wenn man zusammenzählt, dann plant Lancia unter dem Strich sechs verschiedene neue Modelle und bis zu neun verschiedene Karosserievarianten. Das könnte reichen, um bis 2010 die angepeilte 300.000-Stück-Schallmauer zu knacken.

Auch die Renditerechnung lässt sich gut an, denn alle zusätzlichen Produkte sind mittel- bis höherpreisig. "Um als Marke im Premiumsegment nachhaltig wahrgenommen zu werden, muss Lancia breit genug aufgestellt sein", glaubt Sergio Marchionne.

"Aber mindestens so entscheidend wie die Attraktivität der Autos ist deren Qualität, und da gibt es noch Nachholbedarf. Keine Frage: Lancia stand auf der Kippe. Aber ich bin überzeugt, dass wir den Turn-around schaffen werden."

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: