Bentley T 1 / VW Golf VR 6:Die Qual der Wahl

Welches dieser Autos würden Sie wählen - für 50 000 Mark?

(SZ vom 10.04.1993) Was bekommt man denn heute schon für 50 000 Mark? Ein paar Quadratmeter Wohnfläche in Schwabing - einen Bauernhof in Irland - eine Reise um die Welt auf der Queen Elisabeth II - einen besseren Mittelklassewagen aus Milbertshofen. Als wir in den vergangenen Tagen die Kleinanzeigen im Autoteil studierten, die sich im Anschluß an diese Seite durch die SZ ziehen, entdeckten wir ein merkwürdiges Pärchen: einen Volkswagen bei einem VW-Händler und einen Bentley T 1 bei der Firma Auto-König - beide zum Preis von 50 000 Mark. Natürlich war der Golf VR 6 ein Neuwagen, während der Brite schon 23 Jahre auf dem Buckel hatte - dennoch reizte uns die Frage, mit welchem Wagen der bessere Kauf verbunden ist. Das Ergebnis war - wie so oft im Leben - eine Frage der persönlichen Einstellung, und es barg überraschende Erkenntnisse.

Bentley T 1: Der bessere Kauf:

Wir wollen hier nicht über das Bewußtsein derjenigen reden, die sich - für mehrere 100 000 Mark - einen neuen Bentley in die Garage stellen. Spekulationen darüber geziemen sich auch nicht für einen schlichten Redakteur, der alle sechs bis acht Jahre einmal eine Woche mit einem dieser Gefährte die Geschäftsführung verwirrt, die Kollegen in ihren Vorurteilen bestätigt und die Pförtner in einen jähen Begeisterungstaumel reißt. Reden wir über einen konservativen Autokäufer, der Qualität zu schätzen und den Begriff Wertverlust korrekt zu deuten weiß.

Reden wir über einen Bentley T 1, der im Oktober 1970 zugelassen wurde - und seinen Besitzer bis zum Sommer des vergangenen Jahres brav und zuverlässig über die Distanz von 140 000 Kilometern transportierte. Er hatte in den 70er Jahren knapp 70 000 Mark für den Wagen bezahlt - und in den beiden vergangenen Jahren nochmals in etwa dieselbe Summe für eine technische Generalüberholung investiert, so daß der noble Brite heute (wenn man einmal von einer mehr oder weniger fälligen Lackierung absieht) für die nächsten 150 000 bis 200 000 Kilometer reif ist. Dann hatte er ihn in Zahlung gegeben - ein neuerer Rolls-Royce lockte.

Nun gut, damals waren knapp 70 000 Mark sehr viel Geld - dennoch hat der Geschäftsmann gar kein so schlechtes Geschäft gemacht: Wo sonst verliert ein alltagstauglicher Luxus-Wagen über die Jahrzehnte hinweg so wenig an Wert? Da er zudem mit dem weitgehend unbekannten Bentley-Logo auf Reisen war, konnte er auch die Komponente Sozialneid nahezu vergessen. Und so wird es auch dem neuen Besitzer ergehen: eine silberne, unscheinbare Sänfte, die - unter ihrer unauffälligen Präsenz - Holz und Leder und zentimeterdicke Lammfellteppiche verbirgt.

Natürlich verfügt der 6,3-Liter-Achtzylinder über eine Dreigang-Automatik und eine mehr als ausreichend dimensionierte Klimaanlage, deren dickverchromte Bedienungsknöpfe noch in 50 Jahren so wie heute glänzen werden. Elektrische Fensterheber sind genauso an Bord wie eine Zentralverriegelung - diese Komfortdetails waren vor 23 Jahren genauso selbstverständlich, wie sie heute in der Mittelklasse noch Aufpreis kosten.

Und das Fahren in einem solchen Schlachtschiff? Sagen wir es einmal so: In einem Zeitalter, in dem die Verkehrspsychologen händeringend die Erziehung zum defensiven Fahren fordern, erzieht einen der T 1 nahezu zwangsläufig zu diesem löblichen Tun. Denn erstens ist er sehr groß; zweitens macht er den Insassen spätestens in der ersten Kurve klar, daß er zum Gleiten und nicht zum Rasen geschaffen wurde, und drittens gebietet es einem schon der Respekt vor dem Alter, dieses Prachtstück britischer Handwerkskunst nicht Gefahren irgendwelcher Art auszusetzen.

Dazu kommen natürlich die Unterhaltskosten, genauer gesagt die Benzinkosten: Ja, es fällt schwer, unter die 15- Liter-Grenze zu kommen - und in der Stadt überschreitet er auch locker die 20- Liter-Grenze. Aber auch ein VR 6 schafft bei zügiger Fahrweise die 15-Liter-Grenze in der Stadt - und der ist vollgestopft mit Elektronik und modernstem Motor-Management. Betrachten wir die Sache einmal so: Ein Bentley T 1 braucht bei Richtgeschwindigkeit auf der Autobahn soviel Benzin wie ein VR 6 bei Vollgas - und da ist der Bentley nervenschonender, erholsamer und zudem noch ein erfreulicherer Anblick. Was die Versicherungsprämien betrifft, liegt der T 1 auch nicht so schlecht, hier schlägt sich die Beliebtheit des VR 6 bei den Dieben unerfreulich nieder. Und was die Sicherheit betrifft: Die 2,3 Tonnen Stahl und Blech, die einen umgeben, sind auch nicht zu verachten.

Natürlich wollen wir auch den Aspekt der Umweltfreundlichkeit nicht vergessen: Der Bentley verträgt bleifreies Benzin, hat allerdings keinen Katalysator - dafür wurde seine Karosserie vor 23 Jahren gebaut, und sie wird auch in den nächsten 20, 30 Jahren keine Müllkippe oder Recyclinghof sehen. So betrachtet, ist der Wagen auch ein Beitrag zur Umweltfreundlichkeit.

Die ideale Mischung? Der T 1 für die Fahrt in den Urlaub und das jährliche Treffen beim Bentley Drivers Club, und eine Jahreskarte für den MVV für die Fahrten in die City - hier fühlt sich der Bentley sowieso nicht so wohl, und es stört auch der fehlende Katalysator. Und dann sprechen wir uns in 20 Jahren wieder - wetten, daß der T 1 dann noch immer wie eine Eins läuft und einen Käufer findet?

JLVW Golf VR 6: Der bessere Kauf

Einstmals, in jungen Studienjahren, träumten wir von roten Ferraris und einm beflügelten Porsche turbo - und fanden uns doch am Steuer eines klapprigen VW Käfer wieder. Das tat unserem Erkundungsdrang aber keinen Abbruch: Mit dem Käfer kutschierten wir durch halb Europa - und die eine oder andere Malaise, die unseren Untersatz auf diesen Fahrten erwischte, ließ sich eigentlich in allen Ländern Europas problemlos beheben. Für dieses internationale Gefährt waren überall Ersatzteile zu bekommen - und von den kundigen Fingern eines spanischen Mechanikers wurde sogar eine defekte Zündspule, für die es keinen Ersatz gab, zerlegt und wieder zum Leben erweckt.

Seit dieser Zeit schätzen wir problemlo-se Autos - und können uns trotzdem (berufsbedingt) zuweilen einen Traumwagen für einige Tage vor die Tür stellen. Doch das ist zumeist mit Einschränkungen verbunden: Da war jener Frontspoiler, durch den der Sportwagen zwar auf der Straße zu kleben schien, für den aber die steile Einfahrt in die Tiefgarage des Supermarktes zu einem unüberwindlichen Hindernis wurde. Da war jener 2+2- Sitzer, in dessen Fond sich unser Sohn einzusteigen weigerte: Er war aufgrund der bullaugenartigen Fenster so dunkel, daß er nur für einen Dämmerschoppen, aber nicht zum Reisen geeignet war. Da war jene teure Limousine, die wir nicht vor der Eisdiele parken wollten, um uns die neidischen Fragen von Bekannten, ob wir denn im Lotto gewonnen hätten, zu ersparen. Und wir entfernten uns auch meistens nicht allzu weit von dieser Luxuskarosse, um potentiellen Langfingern ihr Handwerk zu erschweren.

Zugegeben, der Bentley hat keinen Frontspoiler, der Fond ist geräumig, hell und luftig, und auch mit dem Prestige mag es keine Probleme geben. Und dennoch: Wir bleiben bei dem Grundsatz, daß ein Auto in allen Belangen problemlos (und damit im positiven Sinne unscheinbar) sein muß, was sich nicht nur auf die Häufigkeit von Reparaturen, sondern auch auf den ganz alltäglichen Umgang mit dem eigenen Automobil bezieht. Problemlos zu sein, das hat viele Facetten: Was für ein Auto könnte ausfallsicherer fahren als eines, das schon mehr als 13 Millionen Mal verkauft worden ist? Und zudem fühlt sich der Golf wohl in jeglicher Umgebung: Auf der Landstraße ist er handlich, in der Stadt wendig und auf der Autobahn komfortabel.

Zudem kann dieser Volkswagen mehr als nur einen Hauch von Luxus verströmen: Der VR 6-Motor mit 128 kW (174 PS) ist ein überaus unaufdringlicher, aber kraftvoller Begleiter in allen Lebenslagen - und der Benzinkonzum pendelt im Alltagsbetrieb um elf Liter, so daß man nicht unbedingt ein schlechtes Gewissen bekommen muß. Die Heckklappe und die bei Bedarf umklappbaren Rücksitzlehnen erlauben das Verstauen von Wochenendeinkäufen, Urlaubsgepäck und schmutzigen Gummistiefeln (ohne daß man sich um die hochwertige Auskleidung des Kofferraums Sorgen machen müßte), - und das bei Außenmaßen, die auch unerfahreneren Lenkern keine Angst einflößen.

Außerdem ist der VR 6 mit Sicherheitsattributen serienmäßig (wie ABS) oder optional (Airbag für Fahrer und Beifahrer) ausgestattet, die es beim Bentley weder für Geld noch gute Worte gibt - auch das fällt unter die Rubrik problemlos. Und zudem läßt sich der VW natürlich auch mit einigen (mehr oder weniger) sinnvollen Acessoires anreichern, wie einer Klimaanlage, Nebelscheinwerfern, einer Metalliclackierung und einem Cassettenradio. Bleibt nur die Frage, ob ein derart ausgestatteter VR 6, der mit stolzen 48 965 Mark zu Buche schlägt, noch den Namen Volkswagen tragen sollte.

Und außerdem paßt der Bentley sowieso nicht in unsere Garage.

Von Otto Fritscher

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