Baufällige Infrastruktur:Verschleiß der Republik

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Baufällige Brücke an der Westendstraße in München, 2013 (Foto: Jakob Berr; Jakob Berr)

Tausende Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen sind in schlechtem Zustand. Deutschlands Verkehrsinfrastruktur wird vom Staat sträflich vernachlässigt. Dabei hat die Regierung genügend Geld - sie will es nur nicht ausgeben.

Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Außerhalb des Rhein-Main-Gebietes hatte die Schiersteiner Autobahnbrücke bisher nur einen geringen Bekanntheitsgrad. Jetzt hat die viel befahrene Rheinbrücke zwischen den Landeshauptstädten Mainz und Wiesbaden das Zeug, zum bundesweiten Symbol für schlechte Verkehrspolitik zu werden. Die Schiersteiner Brücke, die wegen Rissen im Beton für den Autoverkehr geschlossen werden musste, steht für den Zustand vieler Brücken, Fernstraßen und Eisenbahnstränge. Sie steht für fehlende staatliche Investitionen in die Infrastruktur des Landes. Die Brücke zwischen Hessen und Rheinland-Pfalz ist ein Mahnmal für die Industrienation Deutschland, die von der Substanz lebt.

Es mag tröstlich sein, dass die Experten des Landes Hessen schon lange wussten, dass der vorhandene Viadukt aus Sicherheitsgründen wahrscheinlich im Jahr 2015 gesperrt werden müsste. Aber das ist nur ein schwacher Trost, denn der seit anderthalb Jahrzehnten geplante Neubau wird erst in vier oder fünf Jahren fertig sein. Erst einmal müssen die Autofahrer Umwege machen oder die Autofähre benutzen, so wie in den Nachkriegsjahren. Wahrscheinlich werden sich solche Pannen künftig häufen und den Verkehr in Europas wichtigstem Industrieland beeinträchtigen.

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Tausende Brücken an Autobahnen und Bundesstraßen sind in schlechtem Zustand. Dabei hat die Regierung genügend Geld - sie will es nur nicht ausgeben.

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Deutschland lebt auf Pump, auf Kosten der Zukunft

Deutschland steckt zu wenig Geld in sein technisches Rückgrat, ohne das der Wirtschaftsstandort nicht funktionieren kann. Der Staat setzt dem Verschleiß, der wegen steigender Verkehrsbelastungen auch ständig wächst, nicht genug entgegen. Deutschland lebt auf Pump, auf Kosten der Zukunft, zulasten künftiger Generationen, und das in Zeiten von sprudelnden Steuereinnahmen. Selten ging es dem Staat so gut. Was soll erst geschehen, wenn die Steuereinnahmen in einer künftigen Wirtschaftskrise auch mal wieder fallen?

Es mag für einen Amerikaner, der nach Deutschland kommt, befremdlich klingen, wenn in diesem Land der Zustand von Straßen und Bahnschienen beklagt wird. Die Verhältnisse sind in Deutschland immer noch viel besser als in anderen Industrieländern. Viele Nationen beneiden die Deutschen für ihre Autobahnen und für ihren öffentlichen Nahverkehr. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass längst eine bedenkliche Abwärtsentwicklung eingesetzt hat. Aber das fällt kaum auf. Der fortschreitende Verfall ist für Laien nicht sichtbar. Die Abnutzung einer Straße vollzieht sich über Jahre. Eine Brücke wird nicht von heute auf morgen baufällig, und wenn Politiker die Erneuerung einer Autobahn aufschieben, wird sie nicht von einem Tag auf den anderen unpassierbar. Der Verschleiß kommt auf leisen Sohlen.

Straßenbau in Deutschland
:Verfall programmiert

Das deutsche Verkehrsnetz ist marode, für den Erhalt von Straßen und Brücken fehlen Milliarden. In der Rhein-Main-Region sorgte die Sperrung der Schiersteiner Brücke jetzt für ein Verkehrschaos. Dabei ließe sich der Verfall mit neuen Technologien aufhalten - wenn sie rechtzeitig eingesetzt werden.

Von Steve Przybilla

Aber irgendwann ist er nicht mehr zu übersehen. Die Ökonomen des DIW in Berlin schätzen, dass der Staat jedes Jahr vier Milliarden Euro zu wenig in den Erhalt der Verkehrswege steckt. Das Bundesverkehrsministerium räumt selbst ein, dass etwa 6000 der 40 000 Straßenbrücken an Autobahnen und Bundesstraßen in mangelhaftem Zustand sind. Der TÜV behauptet sogar, die Hälfte der Viadukte sei marode. Auch Tausende Eisenbahnbrücken sind sanierungsbedürftig. Deutschlands Verkehrsinfrastruktur wird vom Staat sträflich vernachlässigt. Das kann nicht ohne Folgen für die Wirtschaft bleiben, die von einem zuverlässigen Verkehrssystem abhängig ist.

Das Leben von der Verkehrssubstanz hat in diesem Land keine Tradition. Auch nach der Wiedervereinigung mit ihren hohen Lasten für Staat und Steuerzahler blieben die Ausgaben für Straßen und Schienen noch lange Zeit konstant auf hohem Niveau. Deshalb ist das Verkehrssystem auch noch immer funktionsfähig. Der Raubbau begann erst vor einigen Jahren, als sich die Berliner Politiker darauf verlegten, die Staatsausgaben zugunsten von Sozialleistungen und Renten zu erhöhen und stattdessen bei Investitionen in die Zukunft des Landes zu sparen. Das mag aus wahltaktischem Kalkül verständlich sein, aber es ist keine verantwortungsbewusste und nachhaltige Politik, die über eine oder zwei Wahlperioden hinaus denkt.

Es wäre an der Zeit für die Bundesregierung, sich mehr Gedanken über die Infrastruktur der Zukunft zu machen, zu der auch die digitalen Verkehrswege des Internets gehören. Stattdessen gefällt sich die Verkehrspolitik der Bundesregierung in der unerquicklichen Dauerdiskussion über eine Maut für Autobahnen, die an der gravierenden Finanzlücke im Straßensystem kaum etwas ändern würde. Es ist nicht wahr, dass der reiche deutsche Staat nicht genug Geld für seine Verkehrsinfrastruktur hätte. Er will es nur nicht dafür ausgeben.

© SZ vom 13.02.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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