Autonomes Lenken:Countdown zum fahrerlosen Auto

Autonomes Lenken: Der Aktive Bremsassistent erkennt das Stauende per Kamera und Radarsensoren und leitet eine Notbremsung ein, wenn das Fahrzeug zu schnell unterwegs ist.

Der Aktive Bremsassistent erkennt das Stauende per Kamera und Radarsensoren und leitet eine Notbremsung ein, wenn das Fahrzeug zu schnell unterwegs ist.

Mercedes präsentiert Fahrerassistenzsysteme der kommenden E-Klasse. Die Markteinführung ist erst im März nächsten Jahres.

Von Joachim Becker

Selten hat sich ein Autohersteller so frühzeitig in die Karten schauen lassen. Obwohl die neue Mercedes E-Klasse erst auf der Naias 2016 in Detroit enthüllt wird, stellen die Stuttgarter schon jetzt neue Sicherheits- und Fahrerassistenzsysteme vor. Grund ist der (Ankündigungs-)Wettbewerb auf dem Weg zum automatisierten Fahren: Der neue BMW Siebener gibt auf der IAA im September das Auto der Zukunft. Er pilotiert seine Passagiere beispielsweise mit bis zu 210 km/h über die Autobahn - solange der Fahrer eine Hand am Lenkrad lässt. Auch Mercedes greift dem Fahrer zunehmend ins Steuer und entwickelt die Sicherheitssysteme sukzessive zu Komfortassistenten weiter.

Das Auto soll immer größere Teile der Fahraufgabe übernehmen. Die Kunst besteht darin, die Passagiere nicht mit ständigem Elektronik-Gebimmel, Fehlalarmen und Gerangel am Lenkrad zu nerven. "Die Feinabstimmung macht die Hälfte der Entwicklungszeit aus", sagt Jochen Haab, "wenn wir große Akzeptanz für neue Assistenzsysteme haben wollen, müssen wir in kleinen Schritten vorangehen", so der Mercedes-Experte für Aktive Sicherheit. Erstmals kann die neue E-Klasse nicht nur Hindernisse erkennen und autonom bremsen, sondern Unfälle auch durch Lenkmanöver vermeiden. Wenn der Fahrer einen Haken um plötzlich querende Fußgänger schlagen will, verstärkt der Aktive Lenkassistent die Ausweichbewegung. Da die Radar- und Kamerasensoren das Objekt bereits erkannt haben, setzt das System die nötige Lenkkraft ein, um vorbeizufahren und das Fahrzeug wieder zu stabilisieren.

Das alles passiert so schnell, dass der Fahrer nur heftiges Rucken in der Lenkung spürt und die quietschenden Reifen hört. Trotzdem bleibt er bis auf Weiteres der intelligenteste Sensor im Auto und behält die Verantwortung: Der Mensch hinter dem Steuer muss wissen, ob die Gegenfahrbahn frei ist und die Ausweichbewegung keinen Schaden anrichtet. "Der Straßenverkehr ist so komplex, dass wir mit vielen Systemen noch keine hundertprozentige Verfügbarkeit haben. Deshalb beginnen wir mit Sicherheitsfunktionen, die wir schrittweise ausbauen", erklärt Michael Hafner, Leiter Fahrerassistenzsysteme und aktive Sicherheit bei Mercedes.

Bestes Beispiel ist ein Baustellenassistent, der noch nicht offiziell so heißen darf. Schon seit gut einem Jahr können sich Fahrer der C-Klasse und S-Klasse mithilfe der Stereokamera bis zu einem Tempo von 80 km/h durch Engstellen und Fahrbahnverschwenkungen führen lassen. Doch die Distronic ist bisher auf klare Fahrbahnmarkierungen angewiesen. Die nächste Generation des Abstands-Piloten kann das Lenken bis 130 km/h auch dann deutlich spürbar unterstützen, wenn die Seitenlinien fehlen. Schnelle Rechnerkapazitäten erkennen die freie Fahrspur unter anderem am vorausfahrenden Fahrzeug. "Wenn dieses Radarobjekt, an das wir uns anhängen, in einer Baustelle wegbeschleunigt, dann müssen wir das System allerdings abschalten", gibt Michael Hafner zu. Das ist der Unterschied zu Forschungsfahrzeugen wie den eiförmigen Google-Mobilen, die jetzt in Kalifornien in der Praxis getestet werden. Mit ihren Lidar-Scannern zum Preis einer Luxuslimousine können sie sich zwar ein hoch genaues Bild von der Umwelt machen. Doch das hat nur beschränkte Relevanz für Serienprodukte. Wenn die cleveren Assistenten im Auto bezahlbar bleiben sollen, müssen sie auf derart teure Extras verzichten.

Ein wichtiger Baustein auf dem Weg in die Zukunft ist auch die Vernetzung der Fahrzeuge in Echtzeit. Nur wenn sie wichtige Warnmeldungen, zum Beispiel vor Geisterfahrern oder Unfallstellen, unmittelbar austauschen, können sie sozusagen um die Kurve schauen. Nachdem Mercedes bereits eine entsprechende Handy-App auf den Markt gebracht hat, soll die E-Klasse das Ad-hoc-Kommunizieren als erstes Serienfahrzeug beherrschen. Noch dauert der Verbindungsaufbau über das Mobilfunknetz allerdings rund eine halbe Sekunde. Für den rasend schnellen Positionsaustausch zwischen zwei Fahrzeugen an einer unübersichtlichen Kreuzung ist das System noch zu langsam.

Mehr Details erfahren Sie unter: sz.de/auto

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