Autonomes Fahren:Selbstfahrender Audi A7: Wie ein übervorsichtiger Fahrschüler

"Jack", der Prototyp des selbstfahrenden Audi A7.

An der Fahrt mit dem selbstfahrenden Audi-Prototypen "Jack" hatte unser Autor weniger Freude als dieser Herr.

(Foto: Audi AG)

Nervöses Pendeln, langes Zögern und kurzsichtige Sensoren: Eine Testrunde im autonomen Prototypen zeigt, wie viel Arbeit Audi noch vor sich hat.

Von Joachim Becker

Zukunft, die schon heute fährt: Auf der A 9 ist Audi mit Forschungsautos für das pilotierte Fahren unterwegs. "Jack" wird der Audi A7 genannt, der dort selbstständig Gas geben, lenken, bremsen und die Umwelt erkennen kann. Vor dem Überholen setzt der Roboter zum Beispiel nicht nur den Blinker, sondern drängt auch leicht zur linken Fahrbahnmarkierung: "Jack" benimmt sich also wie ein menschlicher Fahrer, der den anderen signalisieren will, was er als nächstes vorhat. Das soll Vertrauen schaffen - auch bei den Passagieren an Bord: Wer Leib und Leben einer Maschine anvertraut, will sich schließlich sicher fühlen.

Doch wirklich entspannen kann der Autor dieser Zeilen während der einstündigen Testfahrt auf der A9 nicht - obwohl oder gerade weil er schon in einigen autonomen Prototypen unterwegs war.

Übervorsichtig und trotzdem nicht gerade vertrauensbildend

Statt wie ein versierter Chauffeur benimmt sich "Jack" mit seinem Kofferraum voller Computer wie ein übervorsichtiger Fahrschüler. Zum Beispiel indem er Lkws in großem Bogen umfährt. Irritierend ist auch das nervöse Pendeln in der Fahrspur und erst Recht das Fahren auf den Linien zur Spurbegrenzung. Da verhält sich der Wagen so, wie man es von einem Fahrer mit dem Handy in der Hand kennt.

Ein altbekanntes Problem ist auch das lange Zögern, bis die Maschine eine Lücke zum Überholen findet. Nichts gegen die defensive Fahrweise und das Vermeiden von zackigen Lenkmanövern. Doch genauso unkomfortabel ist "Jacks" häufiges Bremsen vor Hindernissen. Oder er wird auf der linken Spur selbst zum Ärgernis, weil er sich stur an die Autobahnrichtgeschwindigkeit hält. Das mag im gleichmäßigen Fahrzeugfluss auf US-Highways passen. Auf deutschen Autobahnen wirkt es nicht gerade vertrauensbildend - weder bei anderen Fahrern noch beim Tester, der seinen Blick nicht von den Rückspiegeln loseisen kann.

Kurzsichtige Sensoren

Die Entwickler nennen viele Gründe für die schwammige Spurführung: Spurrillen und geneigte Fahrbahnen machen dem Testwagen ebenso zu schaffen wie die beschränkten Sichtweiten heutiger Sensoren. Halbwegs erschwingliche, autotaugliche Lidar-Scanner können Objekte zwar in Sekundenbruchteilen erkennen und den Abstand messen. Noch schauen sie aber weniger als hundert Meter weit. Angesichts des hohen Tempos auf deutschen Autobahnen kommen die optischen Systeme also schnell an ihre Grenzen.

Audi will im kommenden A8 ab Ende des nächsten Jahres erstmalig einen Lidar-Scanner im Automobil anbieten. Mit einem optionalen "Autopiloten" kann das Flaggschiff die Fahraufgabe im Stop-and-go-Verkehr auf der Autobahn bis 60 km/h komplett übernehmen. Der Fahrer darf währenddessen Fernsehen schauen oder E-Mails beantworten. Sobald der Wagen menschliche Hilfe braucht, meldet er sich per Gong und Warnleuchte. Binnen zehn Sekunden muss der Fahrer dann wieder die Kontrolle übernehmen.

Kommen die nötigen Gesetze früh genug?

Im Stadttempo pilotiert über die Autobahn - nach einer Zeitenwende klingt das nicht gerade. Wie weit der Weg zum automatischen Chauffiertwerden beim doppelten Tempo ist, zeigt die Probefahrt mit "Jack": Kleine Fehler in der Umfelderkennung verwirren den rollenden Computer. Auch die Verknüpfung mit hochgenauen Karten und elektronischen Wegmarken beispielsweise in den Leitpfosten fehlt noch, damit sich das System zentimetergenau verorten kann.

All das ist auf dem "digitalen Testfeld Autobahn" der A 9 ebenso vorgesehen wie eine Änderung der gesetzlichen Leitplanken: Eine Reform der Wiener Konvention und ein Beschluss des Bundeskabinetts haben jüngst den Weg für automatisierte Fahrsysteme frei gemacht - solange sie sich durch den Fahrer übersteuern lassen. Entsprechende Änderungen der technischen UNECE-Normen dürften jedoch bis 2017 dauern: Audi bangt bereits, ob der neue Rechtsrahmen rechtzeitig zur Premiere des Autopiloten im neuen A8 fertig sein wird.

Audi will eine Evolution, Google wagt die Revolution

Der Fortschritt ist nicht nur bei den Zulassungsregeln eine Schnecke. Während hierzulande noch diskutiert wird, unter welchen Voraussetzungen Systeme die Quer- und Längsführung übernehmen können, ist die Debatte in den USA schon einen Schritt weiter. Dort sind die Behörden nicht an die Wiener Konvention gebunden und wollen auf Drängen von Google bereits in diesem Sommer die Eckpunkte für weitreichende Tests mit fahrerlosen Fahrzeugen bekannt geben.

Von einer solchen Level-5-Automatisierung ist Audis Hoffnungsträger "Jack" noch weit entfernt - er zielt lediglich auf das teilautomatisierte Fahren auf der Autobahn bis 2020 (Level 3-4). "Strategisch verfolgen Google und Audi unterschiedliche Ansätze: Während Google vollautonome Robofahrzeuge in bestimmten Einsatzgebieten auf die Straße bringen möchte (ohne Pedale und Lenkrad), möchten wir als Premiumanbieter unsere Kunden nicht ersetzen, sondern vielmehr in kritischen oder lästigen Fahrsituationen wie dem Fahren im Stau oder auf langen Autobahnstrecken mit unserem 'Piloten' entlasten", sagt Thomas Müller. Audis Leiter der Entwicklung von Brems-, Lenk- und Fahrerassistenzsystemen will das Auto also evolutionär verbessern. Doch diese Position könnte sich gerade in Hinblick auf den US-Markt und China als genauso kurzsichtig erweisen wie das Zögern beim reinen Elektroantrieb.

Das Auto als "zentraler Integrator von künstlicher Intelligenz"

Der Erfolg von Tesla sollte Warnung genug sein: Beim hochautomatisierten Fahren geht es nicht mehr um die Evolution von Assistenzsystemen, sondern um Robotik und künstliche Intelligenz. Entsprechend interessiert sind IT-Firmen aus den USA und China. Die Kooperation zwischen Google und Fiat dürfte erst der Anfang sein: Der Datenriese liefert das Know-how, das über viele Hersteller hinweg zum Standard werden könnte. Gegen ein Umfeldmodell in der Cloud, das in Echtzeit von Millionen Autos gespeist wird, dürften die Autohersteller kaum ankommen.

Entsprechend alarmiert ist BMW. Spätestens 2021 wollen die Münchner den vollautonomen BMW i Next auf den Markt bringen: "Das autonome Fahren ist eine enorme Herausforderung. Aber wir werden das schon verfügbar haben, wenn sich andere aus Kosten- oder anderen Gründen noch nicht herantrauen", sagt der oberste BMW-Entwickler Klaus Fröhlich. Auch Audis neuer Entwicklungsvorstand Stefan Knirsch spricht von disruptivem Wandel: "Die komplette Fahrzeugarchitektur wird sich verändern - dies betrifft den Antrieb genauso wie das Fahrwerk, die Automobilelektronik ebenso wie die digitalen Dienste." Im Zentrum dieser neuen Mobilität steht für Knirsch die künstliche Intelligenz: "Selbstfahrende Autos werden zu selbstlernenden Autos. Aus unserer Sicht wird das Auto zum zentralen Integrator von künstlicher Intelligenz. Wir können und werden Motor des digitalen Wandels sein, wenn auch wir disruptive Ansätze verfolgen."

Jetzt muss Knirsch nur noch die VW-Granden und seine eigene Mannschaft überzeugen: In den nächsten Monaten soll sich entscheiden, ob Audi die Technologieführung im Konzern beim autonomen Fahren übernehmen darf.

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