Autonomes Fahren:Im Roboterauto darf der Fahrer spielen

Autonomes Fahren: Anzeigen auf Augenhöhe: Große Head-up-Displays können ortsgenaue Informationen zur Umgebung anzeigen, um den arbeitslosen Fahrer wach zu halten.

Anzeigen auf Augenhöhe: Große Head-up-Displays können ortsgenaue Informationen zur Umgebung anzeigen, um den arbeitslosen Fahrer wach zu halten.

(Foto: Continental)

Ein Nickerchen am Steuer, während das Auto von allein fährt? Gefährliche Sache, denn auch Roboterautos machen Fehler. Entwickler arbeiten deshalb am Unterhaltungsprogramm für den gelangweilten Fahrer.

Von Joachim Becker

Autonomes Fahren ist nichts für Feiglinge: Autos mit eingebauter grüner Welle rasen ungebremst über ampellose Kreuzungen. Alles eine Frage der Vernetzung - und des Vertrauens in die Robotertechnik. "Für uns Designer hat das Übermorgen längst begonnen", freut sich Michael Mauer, Leiter des Volkswagen-Konzerndesigns. Wie zum Beweis zeigt er das Video von der ampellosen Kreuzung. Zu sehen sind futuristische Schwarmwesen mit viel Mut zur Lücke.

Für deutsche Autokäufer liegt das alles noch in weiter Ferne. Laut einer Ipsos-Umfrage erwarten sie im Schnitt erst im Jahr 2029 eine Markteinführung der Fahrroboter. John Zimmer sieht die "dritte Transportrevolution" dagegen unmittelbar voraus. 2017 will der Gründer des US-Fahrdienstes Lyft die ersten autonomen Taxis einsetzen. Ein bis zwei Jahre später soll der Testbetrieb von einprogrammierten Routen auf variable Strecken erweitert werden. Bereits 2021 sind Roboter als Chauffeure für die Mehrheit der Lyft-Fahrten vorgesehen. "Gegen 2025 wird privater Autobesitz den Weg der DVD gehen", erwartet John Zimmer: überholt vom technischen Fortschritt. Überzeugt hat er mit seinen Visionen zumindest General Motors. Anfang dieses Jahres investierte der Opel-Mutterkonzern 500 Millionen Dollar in das kalifornische Start-up.

Tesla-Gründer Elon Musk schürt die Erwartungen weiter: Bis Ende 2017 will er demonstrieren, wie man von Los Angeles nach New York fahren kann, ohne ein einziges Mal das Lenkrad zu berühren. Wie der (Bei-)Fahrer hinter dem Steuer auf der rund 4500 Kilometer langen Strecke aufmerksam bleiben soll, verrät er nicht. Seit einem tödlichen Unfall steht Musk ohnehin in der Kritik - auch vonseiten der Bundesanstalt für Straßenwesen (BASt). Die Technikbehörde sieht eine "erhebliche Verkehrsgefährdung" durch Teslas Autopiloten. Bei Testfahrten versagte die automatische Spurführung in verschwenkten Autobahnbaustellen, zudem reagierte der Bremsassistent nur schwach. Fragwürdig sei nicht nur die Aktivierbarkeit des Systems in der Stadt, sondern vor allem, dass der Fahrassistent nicht anzeigt, wenn seine Systemgrenzen überschritten sind.

Mensch und Maschine teilen sich die Arbeit

Die Kritik am Autopiloten kommt für Alexander Dobrindt zur Unzeit: Der Bundesverkehrsminister bereitet einen Gesetzesentwurf zum hoch automatisierten Fahren vor. Geplant ist eine erweiterte Arbeitsteilung von Mensch und Maschine: Ab 2017 sollen Computer die Fahraufgabe übernehmen können. Nach dem Vorbild von Flugpiloten muss der Fahrer die Technik lediglich überwachen. Entscheidend sei seine "Wahrnehmungsbereitschaft": Auch nach einer längeren Phase des Chauffiertwerdens muss der Fahrer die Kontrolle umgehend übernehmen können.

Wie fehleranfällig das autonome Fahren noch ist, zeigen Berechnungen des Fraunhofer-Instituts: Etwa 300 000 Kilometer müsste ein Roboterauto ohne äußeren Eingriff zurückgelegen können, um so sicher unterwegs zu sein wie ein durchschnittlicher Fahrer. Autonome Versuchsfahrzeuge von Google schaffen bisher aber lediglich zwischen 1000 und 2000 Kilometer ohne Eingriff des Sicherheitsfahrers. "Dazwischen liegen Dimensionen", sagt Matthias Klingner, Leiter des Fraunhofer-Instituts für Verkehrs- und Infrastruktursysteme in Dresden.

Ohne den Menschen als letzte Entscheidungsinstanz wird es auf absehbare Zeit also nicht gehen. Private Kraftfahrer sind aber keine trainierten Berufspiloten. "Zwei Stunden einem drehenden Lenkrad zuschauen, das werde ich nicht schaffen, da schlafe ich vorher ein", sagt Jens Röper, Direktor der Kreativ- und Innovationsagentur Designit. Auf der Kölner "Gamescom"-Messe empfahl er Computerspiele gegen die ermüdende Langeweile.

Digitale Welt auf der Windschutzscheibe

Was bisher streng verboten ist, könnte die Aufmerksamkeit im Taxi-Modus gezielt steuern. "Für einen Spieler vergeht die Zeit wie im Rausch. Weil er fokussiert ist, ganz bei sich, im Flow des intensiv erlebten Augenblicks", betont der Medienphilosoph Norbert Bolz. Spielen sorgt für den Adrenalin-Kick, der uns beim Chauffiertwerden fehlt: Das Fünkchen Spaß an der Geschwindigkeit, ja sogar die Lust an Risiko und Anarchie. Was im realen Straßenverkehr zur Selbstüberschätzung führen kann, bleibt im digitalen Spiel ohne Nebenwirkungen.

Daddeln im Auto? Im Medizinbereich werden sogenannte Serious Games (englisch für ernsthafte Spiele) schon heute eingesetzt, um die Reaktionsfähigkeit von Patienten (zum Beispiel nach Schlaganfällen) zu schulen. Im Auto könnten die Lenkradtasten den Wagen problemlos zur Spielekonsole machen. Mit dem Nebeneffekt, dass der Fahrer direkt zugreifen kann, wenn er wieder lenken muss. Die regelmäßige Spiel-Interaktion stellt zudem sicher, dass er nicht schläft. Anzeigen auf Augenhöhe leiten den Blick gleich in die gewünschte Richtung. Abgestimmt auf die Fahrsituation bedeutet das mehr Sicherheit als grelle Warnsignale. Bei drohender Gefahr können diese den Fahrer leicht überfordern. Das zeigen viele Unfälle, bei denen die Passagiere sehenden Auges ins Unglück fuhren statt zu bremsen.

Die umsatzstarke Spiele-Industrie hat viele Schnittstellen zwischen Mensch und Medium neu entworfen und, wie sie selbst sagt, menschengerechter gestaltet. Maximilian Schenk spricht von kinderleichter Ergonomie, "die jeden da abholt, wo er steht", so der Geschäftsführer des Bundesverbands Interaktive Unterhaltungssoftware.

Von so einer individualisierten Informationsdarstellung und Bedienung kann Alexander Klotz momentan nur träumen: "Wir haben Standard-Schnittstellen, die für jeden Fahrer passen und 15 Jahre funktionieren müssen. Egal, ob das Auto in der Wüste fährt oder in der Eiswüste", sagt der Leiter Forschung und Entwicklung der Interieur-Division des Zulieferers Continental. Doch der Trend bewege sich langsam weg vom traditionellen Einheits-Cockpit. Mit neuen Funktionen wie dem hoch automatisierten Fahren werde auch die Informationsverteilung im Auto neu und individueller organisiert.

Continental lässt 2017 die analoge und die digitale Welt auf der Windschutzscheibe verschmelzen. Augmented Reality soll die realen Straßen in Echtzeit mit Navigationspfeilen und Spurmarkierungen überlagern. Durch die dreidimensionale, perspektivisch richtige Darstellung kann der Fahrer dem vorgeschlagenen Kurs intuitiv folgen. Zudem lassen sich Warnmeldungen auf dem großen Head-up-Display dort abbilden, wo die Gefahr herkommt. Das könnte essenziell für die Fahrzeugsicherheit werden: Hoch automatisierte Autos müssen dem Fahrer zeigen, was sie erkennen und wohin sie fahren wollen.

Spielerische Elemente machen die Überwachung des Autopiloten weniger ermüdend. "75 Prozent der Kunden im Jahr 2025 werden zur Generation Y gehören, die mit Computerspielen groß geworden ist", sagt Marcus Kühne. Audis Projektleiter für Virtual Reality ist selbst begeisterter Gamer - und will damit finanziellen Mehrwert schaffen: "Eine Stunde autonomes Fahren pro Tag ist auch für uns eine Chance, an der Wertschöpfung durch Spiele mitzuverdienen." Die Fahrzeugscheiben müssen ja nicht gleich zur Kulisse von Ballerspielen werden oder zu Aquarien, wie Michael Mauer vorschlägt: "Warum sollten die Kinder nicht vor ihren Eltern sitzen? Heute undenkbar, aber in Zukunft völlig gefahrlos, denn die Autos fahren autonom." Andere Autos könnten sich in lebendige Dinosaurier verwandeln, so Mauer "Augmented Reality sei Dank".

Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowski sieht eher eine Form von Geo-Gaming voraus: "Wir haben im Auto die Karten, die Topographie und die Geschwindigkeit. Also kann man sich eine Art von Pokémon Go ausdenken, das noch mehr mit der Umwelt zu tun hat." Spielerisch Wissen über die Umgebung sammeln, durch die das Auto fährt: Die Monsterjagd als Bildungs- und Aufmerksamkeitsübung könnte nicht nur die sieben Millionen aktiven Pokémon-Go-Spieler in Deutschland interessieren. Bundesminister Dobrindt hat das neue Thema mitsamt der Wählerklientel bereits entdeckt. Bei der Verleihung des Computerspielpreises 2016 machte er Deutschland kurzerhand zum "Land der Dichter, Denker und Gamer".

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