Autonomes Fahren:Google lässt Autos bauen

Google Car auf dem Google Campus in Mountain View

Der Prototyp des autonomen Autos von Alphabet auf dem Google Campus.

(Foto: Tony Avelar/AP)

Wenn es nach dem US-Konzern geht, sollen die traditionellen Hersteller die Blechverpackung liefern für die Elektronik aus Mountain View.

Von Max Hägler und Claus Hulverscheidt

Steve Mahan, der ehemalige Vorsitzende eines Blindenzentrums im kalifornischen Santa Clara, hat bereits am eigenen Leib erfahren, wie weit die Ambitionen des Technologiekonzerns Alphabet reichen. Mahan war im letzten Jahr der erste Mensch der Welt, der sich im texanischen Austin von einem komplett selbstfahrenden Wagen der Alphabet-Tochter Google beim Arzt abholen und sich in einen örtlichen Park kutschieren ließ - ohne etwas zu sehen, ohne einen Fahrer und in einem Wagen ohne Lenkrad und Bremspedal.

Das Video, das den Rentner recht vergnügt bei der Fahrt durch die Straßen Austins zeigt, lief am Sonntagabend zum Auftakt der Automesse in Detroit, und der Stolz über das Erreichte, war John Krafcik, dem Chef der Alphabet-Tochter Waymo, deutlich anzusehen. Waymo ist das neue Unternehmen, in dem der Internetriese aus dem Silicon Valley seine Kompetenzen in Sachen Roboterfahren gebündelt hat. Und Krafciks Botschaft an die etablierten Autokonzerne der Welt ist eindeutig: Wer darauf gesetzt hat, dass Google und die Autoschwester Waymo ihre Pläne für die Entwicklung eigener Pkw aufgeben haben und sich stattdessen in die Rolle des Software-Zulieferers fügen, der irrt.

Es hat in den vergangenen Monaten viel Hin und Her gegeben bei der Frage, ob die beiden berühmten High-Tech-Konzerne aus Kalifornien, Apple und Google, selbst Autos bauen werden. Das Lifestyle-Unternehmen Apple hatte dazu ein Projekt mit selbstbewusstem Namen aufgelegt: Titan. Aber im vergangenen Jahr sollen mehrere hundert der 1000 Titan-Auto-Entwickler gegangen sein - die nie etwas wirklich rollbares in der Öffentlichkeit präsentiert haben. Offenbar war das alles zu risikoreich und kompliziert, mit der echten Welt auf der Straße, in der es Händler braucht und Werkstätten und in der die Gewinnspannen niedriger sind als bei iPhones und iPads. Man wolle nun eine Art "Plattform" entwickeln, hieß es zuletzt. Also wohl irgendeine Art von Modul, das in bestehende Wagen integriert werden kann.

Interner Firmenname: Glühwürmchen

Bei Google sind sie weiter; im Silicon Valley fahren einige Gefährte herum, in denen unter anderem Bosch-Technik steckt und die nicht ganz nach Auto aussehen: sie sind ei-förmig und tragen firmenintern den Namen Glühwürmchen. Die etablierten Hersteller lachten, waren aber auch hier in Sorge: Könnte sich da eine coole neue Marke entwickeln, die zum Wettbewerber wird, zumal bei den jungen Kunden? Danach sieht es nun nicht mehr aus, auch Google will nun so etwas wie eine "Plattform". "Wir wollen nicht ein besseres Auto bauen", betont Krafcik in Detroit. "Wir wollen einen besseren Fahrer erschaffen, einen Fahrer, der nicht einschläft oder sich ablenken lässt, der einen 360-Grad-Rundumblick hat und im Stockdunkel genauso scharf sieht wie im gleißenden Sonnenlicht." Und mit gewisser Ironie erklärt er, dass dieses Ei, das in den vergangenen Jahren die Branche in Aufregung versetzte, ein putziger, kleiner Prototyp gewesen sei. Der also nicht in Serie produziert wird.

Das klingt erst einmal nach Entspannung für die in Detroit versammelten klassischen Autohersteller, zumal Krafcik seine Rede im freundlichen, konzilianten Ton vorträgt, und doch ist am Ende deutlich, wen die Konzernmächtigen aus dem Silicon Valleys im Autogeschäft der kommenden Jahrzehnte für den Koch und den Kellner halten: Sämtliche Hard- und Software, die für das Funktionieren der fahrerlosen Mobilitätswelt der Zukunft vonnöten sei, so der Manager, werde Alphabet selbst entwickeln. Damit sind die Augen und Ohren, also die mit Laser und Radar arbeitenden Sensoren, gemeint. Nur für den Bau des fahrbaren Untersatzes will man auch Partner an Bord holen - Krafcik nannte unter anderem die traditionellen Hersteller Fiat-Chrysler und Honda. Würde man die Pläne auf die Computerindustrie übertragen, dann hieße das: Honda liefert die Blechkiste, die von Google mit Festplatte, Prozessoren und Betriebssystem ausgestattet wird und sich erst so in ein alltagstaugliches Mobilitätsvehikel der Zukunft verwandelt.

Eine Blechbüchse wird zum Roboter

Also doch, aus dieser Sicht: Die Autohersteller werden zu Teile-Lieferanten, selbst wenn Google das Auto nicht komplett selbst baut. Wie so etwas aussehen kann, zeigt Google mit Fiat-Chrysler, die eigentlich eher nicht erster Ansprechpartner bei neuen Techniken sind: ein weißer Van, ein serienmäßiges Pacifica-Modell, steht auf der Bühne, der zum selbstfahrenden Wagen hochgerüstet wurde: Die Technik wird aus dem Ei also in richtige Wagen verpflanzt. Beziehungsweise, aus Google-Sicht: Eine Blechbüchse wird zum Roboter. Nur sechs Monate hätten sie dafür gebraucht, "pretty cool" nennt das der Manager, und sofern das Ding tatsächlich selbst gut fahren kann, was noch zu beweisen ist, wäre das wirklich bemerkenswert schnell.

Bei all dem verlässt der IT-Konzern langsam das Versuchsstadium. Der Waymo-Chef spricht bereits von Geld und Zahlen: 75000 US-Dollar habe etwa noch vor kurzem das Laser-Auge oben auf dem Dach gekostet. Mittlerweile liege das nur noch bei einem Zehntel - und die Kosten würden weiter fallen, wenn das Roboterfeature demnächst von möglichst vielen Partnern verbaut würden. Es gehe nicht um ein einziges Modell, nicht um eine Marke, sagt der Manager. Und es gehe nicht nur um ein Geschäftsmodell: "Steves Fahrt hat uns die Zuversicht gegeben, den nächsten Schritt zu gehen und nun Produkte und Dienstleistungen zu entwickeln, von denen wir alle profitieren können", so Krafcik.

Begeistert klingt der eher nüchterne Mann nun. Kein Wunder: Wenn sein Unternehmen nicht nur mehr Handys und die Internetsuche dominiert, sondern auch noch die Mobilität, mögen Kritiker das als bedrohlich empfinden. Für Google wären das indes allerbeste Voraussetzungen zum Geldverdienen.

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