Autonomes Fahren:Fahrer denkt, Auto lenkt

Die Idee vom selbstfahrenden Fahrzeug gibt es seit Jahrzehnten, doch erst jetzt kommen die Autofirmen der Vision näher. Auch Datendienste wie Google tüfteln am Roboter-Auto. Doch der Weg zum autonomen Auto ist noch weit.

Von Joachim Becker

Autos in der Reklame haben immer freie Fahrt. Was die Werbung nicht zeigt: Kolonnenverkehr und pure Langeweile hinter dem Steuer. Wer wünscht sich keinen Chauffeur im Berufsverkehr? Tatsächlich können Fahrer bald die Hände vom Steuer und die Füße von den Pedalen lassen. Noch in diesem Jahr kommt im BMW i3 der erste Stauassistent auf die Straße, der bis 40 km/h die Fahraufgaben übernehmen kann. In der nächsten Audi-A8- Generation soll ein Staupilot bis 60 km/h beschleunigen, bremsen und lenken.

Audi hat das pilotierte Fahren im Rahmen der Consumer Electronics Show 2013 (CES) in Las Vegas vorgestellt. Auch beim Parken lässt sich künftig Zeit und Mühe sparen: Einfach den Parkpiloten aktivieren und aussteigen. Der fahrerlose Wagen wird vom Parkhauszentralrechner per Wlan automatisch in die nächste freie Parklücke gelotst. Das US-Magazin Popular Science kürte das vernetzte Parken prompt zum "Product of the Future".

Die Vorboten der 50er Jahre

Mit dem Park- und dem Staupiloten wird eine Utopie Realität, die das Autofahren schon lange begleitet: Amerikanische Straßenkreuzer sahen in den 1950er-Jahren aus wie Raumschiffe auf Rädern. Steil aufragende Heckflossen und stilisierte Düsenantriebe ließen die Fahrer vom rasanten Fortschritt träumen.

Zu den Stilelementen aus der Fliegerei kam die Vision vom selbstlenkenden Fahrzeug: "Ob wir es mögen oder nicht - langsam, aber sicher übernehmen die Roboter den Job des Autofahrers", wähnte Popular Science bereits 1958. Damals wurde der erste Tempomat im Chrysler Imperial vorgestellt. Das System konnte zwar die Geschwindigkeit konstant halten, aber keineswegs die Verkehrssituation erkennen. Bis zum autonomen Fahren war der Weg noch weit.

Erst nach der Jahrtausendwende haben Roboterfahrzeuge immer mehr Fühler in die Welt ausgestreckt: Die Forschungsagentur des US-Militärs Darpa veranstaltete mehrere Rennen für fahrerlose Autos. 2005 fand der siegreiche VW Touareg "Stanley" seinen Weg selbständig durch die Mojave-Wüste. Allerdings hatte die Darpa dem Elektronenhirn eine Komfortzone durch die menschenleere Gegend planiert: Niedrige Erdwälle als Straßenränder halfen den Radar-, Video- und Lasersensoren bei der Orientierung. Zudem war die Strecke von knapp 3000 GPS-Punkten vorgegeben. Alle 70 Meter hielt eine satellitengestützte Wegmarke die Pfadfinder auf Kurs. Im Ranking intelligenter Systeme hatten sich diese rollenden Roboter noch nicht das Prädikat autonom verdient.

Vermessung mittels Laserscanner

"Die Vermessung des Straßenrandes mithilfe eines Laserscanners haben wir in der Vorbereitung der Grand Challenge gelernt", erklärt Björn Giesler, der bei Audi für das pilotierte Fahren verantwortlich ist. Mittlerweile sind auch seriennahe Fahrzeuge ohne Fahrer im US-Bundesstaat Nevada unterwegs. Audi hat dort als erster Automobilhersteller die Lizenz zum Testen der Autopiloten im regulären Straßenverkehr bekommen. "Wie nah wir an der Serie sind, sieht man an der Größe unseres Laserscanners", sagte Ricky Hudi auf der CES. Der Leiter Entwicklung Elektrik/Elektronik bei Audi präsentierte einen handtellergroßen Sensor, der problemlos in jede Fahrzeugfront passt.

Die VW-Tochter will den Park- und Staupiloten zu einem Preis in Serie bringen, der nicht wesentlich über dem Niveau der aktuellen Adaptive Cruise Control mit Stop-and-go-Funktion liegt. Das ist ein Riesenunterschied zu den Forschungsfahrzeugen von Google und Lexus, die in Kalifornien unterwegs sind: Deren mächtige Laserscanner auf dem Autodach kosten so viel Geld wie eine voll ausgestattete Luxuslimousine.

Alle Autobauer arbeiten am automatisierten Fahren

Der Fahrer denkt, das Auto lenkt - so futuristisch diese Form der Fortbewegung auch wirken mag: Alle führenden Automobilhersteller arbeiten mit Hochdruck an der schrittweisen Einführung des automatisierten Fahrens. "Dabei wird der Fahrer lediglich auf langen, ermüdenden Strecken auf der Autobahn oder in Stausituationen durch das System entlastet.

Den komplexen Stadtverkehr oder auch kritische Situationen auf der Landstraße schafft die Sensorik heute noch nicht", relativiert der BMW-Entwickler Dirk Wisselmann allzu euphorische Erwartungen. Nach wie vor gibt es zudem hohe rechtliche Hürden für das voll automatisierte Fahren: "Jeder Fahrer soll zu jeder Zeit sein Auto kontrollieren sowie rechtzeitige und angemessene Sorgfalt walten lassen können", heißt es in der Wiener Konvention von 1968.

Das gilt auch für die Fahrzeuge von Audi, Google, Lexus, Bosch, Continental und anderen, die seit Monaten fahrerlos durch Kalifornien und Nevada rollen: In jedem Testwagen sitzt mindestens ein Beifahrer, der die Funktion aller Systeme ständig kontrolliert. Der Mensch bleibt also weiterhin in der Verantwortung und muss die Fahraufgabe jederzeit übernehmen können. Daher stellt das System auch per Kamera sicher, dass der Pilot hinter dem Steuer weder schläft noch ohnmächtig ist. Löst sich beispielsweise der Stau auf und der Verkehr fließt wieder mit mehr als 60 km/h, wird der Fahrer zur Übernahme aufgefordert. Zudem steht die Funktion nur auf der Autobahn zur Verfügung, wo es kein City-Gewusel mit Gegenverkehr und unberechenbaren Fußgängern gibt.

Städte ohne Schilderwald und nutzlos herumstehende Autos

Wie der Stadtverkehr langfristig aussehen könnte, demonstrierte der Architekt Jürgen Mayer H. im Rahmen des Audi Urban Future Award 2010: In seinen Entwürfen hat ein digitaler Tsunami die Ampeln, Verkehrszeichen und Parkplätze fortgespült. "In den inneren Teil der Stadt darf ich nur hinein, wenn mein Auto voll assistenzfähig ist", träumte der Planer. Er will Städte vom Schilderwald und nutzlos herumstehenden Autos befreien.

Selbst Kreuzungen sollen dem pausenlosen Gewimmel keinen Einhalt mehr gebieten. Statt nach starren Regeln und auf Befehl von Lichtsignalen die Straße zu queren, sollen die Fahrzeuge einander in loser Folge passieren. Was an einen chaotischen Autoscooter erinnert, ist in einer voll digitalisierten Welt möglich - vorausgesetzt, dass selbst Fußgänger und Radfahrer ständig vernetzt sind.

Verkehrsgeschehen kommt in die Cloud

Immer auf Sendung und auf Empfang: Künftig wird sich das Verkehrsgeschehen in Echtzeit in einer Datenwolke (Cloud) spiegeln. Offensichtlich will der Volkswagen-Konzern solche Datendienste nicht allein Internetfirmen wie Google überlassen. "Wir werden die Cloud als externen Sensor für das pilotierte Fahren nutzen", verspricht Ricky Hudi.

Erst die Schwarmintelligenz Abertausender vernetzter Fahrzeuge kann das Verkehrsgeschehen so genau steuern, dass sich der Fahrer risikolos anderen Tätigkeiten zuwenden kann. "Ich gehe davon aus, dass die meisten Fahrzeuge in zehn Jahren eine Kommunikationseinheit als Verbindung in die Cloud haben werden", so Hudi, "da haben wir mit der großen Flotte von Fahrzeugen des Volkswagen-Konzerns einen riesigen Vorteil."

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