Autonomes Fahren:Den deutschen Herstellern droht ein Fehlstart in die Zukunft

Autonomes Fahren: Vollautonome Autos brauchen mehr als 30 Kamera-, Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren.

Vollautonome Autos brauchen mehr als 30 Kamera-, Radar-, Lidar- und Ultraschallsensoren.

(Foto: BMW)

Die US-Tech-Firmen preschen beim Roboterauto vor, Audi, BMW und Co. sind eher zögerlich. Wer gewinnt oder verliert, hängt auch davon ab, wie viele tödliche Unfälle noch passieren.

Von Joachim Becker

"In Bayern gehen die Uhren anders", ätzte Willy Brandt in den 70er-Jahren. Bei wichtigen Zukunftstechnologien gilt das immer noch. Zumindest im Vergleich zu China und den USA. Die Tech-Firmen in Kalifornien und China liefern sich einen gnadenlosen Technologiewettlauf bei vollautonomen Autos. "Ich weiß, wie weit die Silicon-Valley-Player sind. Deshalb bin ich überrascht, wie zurückhaltend einige Firmen in Deutschland noch agieren", warnte Johann Jungwirth schon vor zwei Jahren.

Der Volkswagen-Digitalchef ist mit seiner Einschätzung nicht allein, dass die deutschen Hersteller bei dem Roboterrennen zurückliegen. "Waymo hat am meisten Erfahrung beim autonomen Fahren. Wir versuchen, diesen Vorsprung in den nächsten drei Jahren einzuholen", sagt Elmar Frickenstein. Der BMW-Bereichsleiter "Autonomes Fahren" weiß, dass die Aufholjagd kein Sonntagsspaziergang wird.

Manchem Bayer pressiert es nicht gar so sehr. Rupert Stadler glaubt zum Beispiel nicht an eine Revolution auf der Straße. Der Audi-Chef ist stolz auf den A8, der bis zu 60 km/h automatisiert fahren kann. Doch die Behörden sind noch nicht so weit wie die Technik. Vor 2019/2020 wird es keine Straßenzulassung für den Autopiloten geben.

Bis dahin werden auch die anderen deutschen Marken auf der Autobahn mit 130 km/h selbständig fahren. Solche Autobahnpiloten sind hochautomatisierte Level-3-Systeme, die nur auf ausgewählten und kontrollierten Strecken funktionieren. Deshalb sollte der Fahrer seinem digitalen Chauffeur über die Schulter schauen. Im Zweifelsfall muss er die Verantwortung innerhalb weniger Sekunden wieder übernehmen. Auf dem vollautonomen Level 4 und Level 5 (ohne Lenkrad oder Pedale) muss die Maschine alles selbständig entscheiden. Dann kann sich der Fahrer schlafen legen - was den Entwicklern schlaflose Nächte bereitet.

"Ein Marathon und kein Sprint"

"Level 3 werden wir bis 2021 hinkriegen, aber Level 4 ist eine der größten Herausforderungen der Autoindustrie", bekennt Elmar Frickenstein. Wie schwierig das vollautonome Fahren ist, zeigt der tödliche Unfall vom vergangenen Wochenende. In der Stadt Tempe in Arizona wurde eine Fußgängerin von einem vollautonomen Volvo-Testwagen überfahren. Auch der Sicherheitsfahrer von Uber konnte den Unfall nicht vermeiden.

Hat Rupert Stadler also recht, wenn er das vollautonome Fahren in relativ weiter Ferne sieht? "Das Robo-Taxi auf Stufe 5 wird um 2025/2030 seine Fahrgäste durch die Stadt chauffieren." Auch Klaus Fröhlich sieht einen langen Weg zur Serienreife: "Das autonome Fahren ist ein Marathon und kein Sprint", betont der BMW-Entwicklungsvorstand. Er vergleicht die Komplexität eines Roboterautos mit den Herausforderungen einer Mars-Mission: "Zum jetzigen Zeitpunkt gibt es sowohl von der Rechenleistung als auch von der Qualität des Sensorkonzeptes noch gar keine Möglichkeit, hochautonomes Fahren unfallfrei einzusetzen", ist Fröhlich sicher.

Investitionen im hohen einstelligen Milliarden-Bereich

Nur nicht hudeln. Mit rund 240 Millionen Kilometer fehlerfrei absolvierten Testfahrten will BMW auf Nummer sicher gehen. Alle Situationen im Straßenverkehr sollen abgedeckt werden. "Das ist heute bei den Wettbewerbern nicht gegeben", kritisiert Fröhlich, "deswegen ändert sich an unserer Strategie zum autonomen Fahren durch diesen sehr bedauerlichen Unfall nichts." Das Problem ist nur: Die genannte Strecke entspricht der Entfernung vom Mars zu Sonne. Das ist mit den bald 80 BMW-Testfahrzeugen in den knapp drei verbleibenden Jahren gar nicht zu schaffen. "Deshalb rechnen wir 95 Prozent der Strecke in Simulationen durch", erläutert Frickenstein. "Wer die Simulation beherrscht, wird Level 4 beherrschen", ist sich der Elektronik-Experte sicher.

Der Aufwand für die Simulation ist enorm. Am 11. April eröffnet BMW seinen neuen "Autonomous Driving Campus", auf dem alle Automatisierungsstufen gleichzeitig entwickelt werden. Die Münchner investieren einen hohen einstelligen Milliarden-Betrag in diesen Level-3-4-5-Baukasten. Von den geplanten 1800 Spezialisten haben 1300 ihre Büros in Unterschleißheim schon bezogen. Ein eigenes Datenzentrum mit derzeit 120 Petabyte wertet die Informationen der Testflotte aus und macht sie für Simulationen verfügbar. Dabei handelt es sich ungefähr um die Datenmenge, die Google weltweit in einer Woche durch seine Suchmaschine schleust. In seiner finalen Ausbaustufe soll das Datenzentrum in Unterschleißheim sogar 600 Petabyte groß sein.

Vom Start-up zum Schwergewicht in zwei Jahren

Fragt sich nur, ob dieser gigantische Aufwand im digitalen Universum das Rennen entscheiden wird. Womöglich stiehlt den Münchnern ein kleines Start-up die Schau. Klingt verrückt, ist im Fall von Audi aber bereits passiert. Anfang 2017 gründeten die Ingolstädter eine eigene Entwicklungsgesellschaft für die Neuerfindung des Fahrens: "Die Autonomous Intelligent Driving GmbH (AID) arbeitet für den gesamten Volkswagen-Konzern", kündigte Rupert Stadler an. Doch in Wolfsburg wurde längst eine Alternative vorbereitet.

"Stand heute steht AID mit Aurora im Wettbewerb, das finde ich als Strategie genau richtig", sagt Johann Jungwirth. Er hat Apples "Titan"-Projekt für autonomes Fahren geleitet. Jetzt macht er als Chief Digital Officer dasselbe im Volkswagen-Konzern. Aurora ist noch keine zwei Jahre alt und schon ein Schwergewicht in der Branche: Innerhalb weniger Monate hat der 80-Mann-Betrieb Kooperationen mit Volkswagen, Hyundai und der chinesischen Elektroauto-Firma Byton vereinbart.

Auch Elmar Frickenstein hat die Kalifornier vor drei Wochen besucht. Wird BMW trotz seiner Kooperation mit Intel und Mobileye der nächste Partner? Klaus Fröhlich weist solche Vermutungen selbstbewusst zurück: "Wir sprechen mit allen, aber wir suchen noch danach, was die besser können als wir." Andere sind da durchaus selbstkritischer. "Ja, Aurora hat gegenüber AID einen Startvorteil, aber wir nehmen das sportlich", sagt Audi-Entwicklungsvorstand Peter Mertens: "Die Kalifornier haben mehr Erfahrung und bringen vom Know-how ein paar Persönlichkeiten mit, die das Geschäft gut verstehen."

Johann Jungwirth kommt regelrecht ins Schwärmen, wenn er von Aurora spricht: "Die Fortschritte, die ich sehe, sind phänomenal. Die sind in den vergangenen 18 Monaten extrem gut unterwegs gewesen." Begeistert berichtet der Digitalexperte von einer autonomen Testfahrt im Januar dieses Jahres: "Wir sind mit dem Aurora-Prototypen 40 Minuten lang 22 Meilen komplett ohne den Eingriff eines Sicherheitsfahrers gefahren. Mitten durch die Stadt mit 33 Ampeln, Fußgängern und Tagesbaustellen, dann über die Landstraße und Autobahn."

Die Google-Schwesterfirma Waymo liegt in Führung

Er weiß aber selbst, dass so eine sonnige Spritztour in Kalifornien mit Vorsicht zu genießen ist: "Es reicht nicht, ein Schönwettersystem zu haben, das zum Beispiel in Phoenix oder Houston funktioniert, aber nicht in Chicago, New York oder Hamburg." Die Qualität der selbstfahrenden Autos lasse sich daran erkennen, ob alle Funktionen auch bei Schnee, Regen oder Dunkelheit ohne menschliche Eingriffe verfügbar seien. Da geht es nicht nur um Sensoren, sondern um das Verständnis der gesamten Szene: Was passiert als nächstes in dem ziemlich chaotischen Durcheinander, das wir Straßenverkehr nennen?

Bei solchen Fragen geht nichts über langjährige Erfahrung. Genau hier sind die Kalifornier vorne. Die Google-Schwesterfirma Waymo führt derzeit das Ranking der kalifornischen Verkehrsbehörde bei Roboterautos an. Johann Jungwirth sieht Aurora nur wenig im Rückstand. Kein Wunder, denn die Firma mit diesem kryptisch-mythologischen Namen ist sozusagen ein Ableger von Google/Waymo. Aurora meint die Morgenröte des autonomen Zeitalters. Das ist momentan ein Riesen-Hype im Silicon Valley - eben weil die Nuss so schwierig zu knacken ist.

2018 starten große Flottentests mit Roboterautos

Der Fahrdienstvermittler Uber ist nur deshalb geschätzte 70 Milliarden US-Dollar wert, weil es eigentlich um eine Plattform für Robotertaxis geht. Entwickelt wurde Ubers Selbstfahr-Programm von Drew Bagnell. Er ist einer der angesehensten US-Experten für maschinelles Lernen. Unter dem Namen Aurora hat sich der Professor der Carnegie Mellon Universität zusammen mit Chris Urmson und Sterling Anderson selbständig gemacht. Urmson leitete fast zehn Jahre lang Googles Programm für autonome Autos. Anderson war bei Tesla für den Autopiloten verantwortlich. Problemlos haben die drei Experten gerade 90 Millionen Euro an Investorengeldern eingesammelt. Der Rest kommt aus dem laufenden Geschäft mit immer mehr Autoherstellern.

Waymo und Uber planen für dieses Jahr große Flottentests mit Roboterautos. Entscheidend seien aber nicht lokale Versuchsprojekte, sondern eine weltweit ausrollbare Lösung, ist Johann Jungwirth überzeugt. "Man muss den Städten gleich zu Anfang ein gutes Angebot machen: Mobilität als Komplettservice. Angefangen von den autonomen Fahrzeugen über das Flottenmanagement mit einer Leitstelle und Betriebshöfen in den Städten bis zur Online-Mobilitätsplattform für die Kunden."

Die führende Plattform, ist sich Jungwirth sicher, werde einen Großteil des Marktes auf dem jeweiligen Kontinent beherrschen. "Wenn man es langfristig betrachtet, kann es sein, dass nur eine Handvoll Anbieter von selbstfahrenden Systemen übrig bleiben werden: Ein bis zwei in den USA, ein bis zwei in China und ein bis zwei in Europa. Dementsprechend wichtig ist es, dass wir unseren Zeitplan einhalten." Wenn nur nichts dazwischenkommt. Noch ein tödlicher Unfall zum Beispiel.

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