Autonomes Fahren:Das Auto lernt schnell

The new Toyota Concept-i concept car, designed to learn about its driver is unveiled during the Toyota press conference at CES in Las Vegas

Das smarte, lernfähige Auto - im Bild ein Prototyp von Toyota - war das große Thema auf der High-Tech-Messe CES in Las Vegas.

(Foto: REUTERS)

Digitale Technologien rund um das autonome Fahren verändern die Autobranche - jetzt muss es plötzlich ganz fix gehen.

Von Joachim Becker

Ausgerechnet in Detroit. Mitten im Herz der traditionellen US-Autoindustrie. Statt auf der Elektronikmesse CES präsentiert sich Waymo im amerikanischen "Rostgürtel". Die umfirmierten Google-Entwickler haben fast zehn Jahre und 1,4 Millionen Kilometer Erfahrung mit autonomen Autos. Entsprechend frech und zielgenau sind ihre Provokationen: Statt einer futuristischen Studie stellen sie den Chrysler Pacifica auf die Bühne. Das Familienauto ist weder neu noch innovativ. Der erschwingliche "Pampers-Bomber" könnte in jeder Hauseinfahrt stehen. Die Botschaft ist klar: Die Zeiten der Grundlagenforschung sind vorbei. Autonomes Fahren kommt nun in der Mitte der Gesellschaft an. Tschüss Las Vegas, hallo Detroit.

Auf der Detroit Motor Show fordert Waymo-Chef John Krafcik die weltweit führenden Zulieferer heraus: "Wir stellen alle Sensoren selbst her und konnten die Kosten des Laserscanners beispielsweise um 90 Prozent senken." Aus den fröhlichen Worten tropft reines Gift, denn bisher hatten alle Spieler in der Branche unisono erklärt, dass die ersten Roboterautos enorm teuer werden würden. Luxusprodukte mit feinem Holz und Leder ausgeschlagen. Waymo demokratisiert die Technologie, bevor sie überhaupt am Start ist. Das ist eine Kampfansage.

Nach der rauschenden Party im US-Westen herrscht im Autozirkus im Osten nun Katerstimmung. Dabei hatten die Zulieferer in Las Vegas ihr Glück gesucht - und die große Bühne: Firmen, die sich sonst im Hintergrund halten, standen mit führenden Innovatoren wie Mobileye, Nvidia und Here im Rampenlicht. Die Partnerschaften mit den Tech-Firmen zeugen von einem neuen Selbstverständnis. Bosch, Continental, Delphi und ZF wollen Vorreiter des vernetzten und autonomen Fahrens sein. Doch die Kooperationen zeigen vor allem eines: Ohne agile Technologiepartner wären viele der traditionellen Zulieferer im Rennen um die Zukunft schon abgeschlagen.

"Es werden die überleben, die technisch am besten und am schnellsten sind", sagt ZF-Chef Stefan Sommer. "Wir versuchen, die schnellen Entwicklungsprozesse, die wir von Nvidia und anderen lernen, auf die Automobilwelt zu übertragen." Unumwunden gibt Sommer zu, dass der Getriebespezialist vom Bodensee ohne den TRW-Kauf vor knapp zwei Jahren den Anschluss schon verpasst hätte. "Es wäre nicht mehr viel Zeit gewesen, um in dieser Größenordnung in das Thema Sensoren und Elektronik einzusteigen." ZF hatte alternativ überlegt, durch die Übernahme mehrerer kleiner Unternehmen nach und nach ein Gesamtsystem zu entwickeln. "Wir hätten Jahre verloren und jedes Jahr Hunderte von Millionen Euro ausgegeben, nur um am Ende festzustellen, dass wir zu spät sind."

Die digitale Party geht in die nächste Runde. Und diesmal will die Autoindustrie dabei sein. Heiß begehrt sind Firmen wie der Chiphersteller Nvidia, die mit hochkomplexen Computerspielen immer neue Rekorde bei der Rechenleistung aufstellen. Doch es geht nicht nur um Terraflop-Prozessoren, sondern um maschinelles Lernen. Das Zauberwort versetzte die CES-Besucher geradezu in einen Rausch. Nach den Smartphones und den mäßig erfolgreichen Wearables zeichnet sich die Ära autonomer Autos, Drohnen und Roboter ab.

Durchbrüche bei neuronalen Netzwerken und Hochleistungschips elektrisieren nicht nur die Netzwelt. Selbst die traditionellen Automobilzulieferer wollen mit künstlichen Superhirnen künftig das ganz große Geschäft machen. Oder zumindest mit weiterentwickelten Assistenz- und Sicherheitssystemen, die als "Abfallprodukte" der Entwicklung entstehen. Man könnte auch sagen: Die Brösel, die vom Festmahl der Tech-Giganten übrig bleiben. Denn der bisher relativ langsame Einzug digitaler Technologien in die Fahrzeuge nimmt - für die Autokäufer noch unmerklich - rasant an Fahrt auf.

Die Zeit drängt

"Wir stehen am Wendepunkt für die nächste Technologiestufe. Die Hälfte der künftigen Wertschöpfung im Automobilgeschäft wird mit digitalen Technologien zusammenhängen", sagt Peter Fintl, führender Kopf der Technologie- und Innovationsberatung Altran: "Aus meiner Sicht ist Toyota der einzige Hersteller, der das Feld der digitalen Assistenten selbst aufbaut und nicht den IT-Schwergewichten überlässt." Das zeigten Toyotas laufende Investitionen in Höhe von über einer Milliarde Dollar in Robotics und Grundlagenentwicklung. "Die deutschen Hersteller sind im Bereich des autonomen Fahrens führend, überlassen aber aus heutiger Sicht das Feld der digitalen Assistenten noch den Kooperationspartnern", meint Fintl.

Sind die deutschen Hersteller und Zulieferer wirklich führend? Sicher ist nur, dass alles viel schneller geht, als die meisten Experten erwartet haben. Wie sehr die Zeit drängt, zeigt die zunehmende Zahl von autonomen Testfahrzeugen auf den Straßen. Für künftige Serienprodukte versuchen die Zulieferer jetzt herauszufinden, welche Anforderungen intelligente mechatronische Systeme erfüllen müssen: "Wenn wir heute den Auftrag für ein intelligentes Brems- oder Lenksystem haben wollen, müssen die Komponenten autonomes Fahren unterstützen. Sonst bekommen wir den Auftrag gar nicht mehr", sagt ZF-Chef Sommer.

Der hundert Jahre alte Traditionskonzern, hervorgegangen aus der Zahnradfabrik Friedrichshafen, will wie alle Systemlieferanten nicht nur Fahrerassistenzsysteme, sondern auch die künstliche Intelligenz zur Umfelderkennung bereitstellen. ZF hat daher innerhalb von sechs Monaten mit Nvidia ein Zentralhirn für autonome Autos entwickelt. Der Kern des Pro-AI-Systems (AI bedeutet artificial intelligence: künstliche Intelligenz) stammt aber von der US-Westküste. "Wir haben die Nvidia-Plattform für das Maschinenlernen wie eine undurchdringliche Blackbox mit dem Rest des Autos vernetzt", sagt Sommer.

Verrückte Welt: Die Autozulieferer produzieren immer mehr Software, während ein IT-Gigant wie die Waymo-Mutter Alphabet in die margenschwachen Niederungen der Autozulieferer hinabsteigt. Dabei gibt es kaum Unternehmen, die mit Software im Auto bisher Geld verdienen. "Ich bin mal gespannt, wann unsere Kunden für Software bezahlen. Bisher kaufen sie mechatronische Komponenten inklusive des Programms", sagt Michael Jourdan, Leiter Chassis and Safety bei dem großen Zulieferer Continental.

Verständlich werden die Umbrüche erst, wenn man den Fokus von der Autobranche auf die gesamte zweite Welle der digitalen Revolution erweitert. In Las Vegas wird alljährlich eine noch bessere digitale Zukunft beschworen. Doch die sogenannten Wearables, also smarte Uhren und Fitness-Armbänder, werden nach Altran-Schätzungen bis 2020 lediglich ein Umsatzvolumen von 18 Milliarden Euro erreichen. Der Transportsektor ist mit mehr als einer Billion Euro schon wesentlich interessanter.

Die lernende Maschine ist reif für den Massenmarkt

Selbst das wird nur ein Teil des künftigen Geschäfts mit künstlicher Intelligenz sein. Statt der starren Logik einer Software zu folgen, vernetzen sich die neuronalen Netzwerke selbst. Wie Menschen können derart ausgestattete Maschinen aus Fehlern lernen und in rasendem Tempo Fortschritte machen. Was bis vor Kurzem eine akademische Disziplin war, wird durch erschwingliche Supercomputer nun reif für den Massenmarkt. Deshalb müssen Autohersteller und Zulieferer aufpassen, dass sie nicht zu bloßen Hardware-Lieferanten degradiert werden.

Um besser zu verstehen, wie künstliche Intelligenz die Welt verändert, bietet sich der Vergleich mit Apples erstem iPhone an. Vor zehn Jahren war das knopflose Telefon mehr als eine Design-Revolution. Es enthielt ein neues Betriebssystem als Grundlage für Apps. Die Geschäftsidee war so überzeugend, dass Google mit Android ein eigenes Ökosystem für die Kleinprogramme schuf. Das Open-Source-Betriebssystem ist kostenlos, genauso wie Tensorflow, Googles Entwicklungsumgebung für künstliche Intelligenz.

Wenn man sehen will, was der Autobranche droht, muss man sich die Marktmacht der etablierten Betriebssysteme anschauen: Google Search ist die zentrale Plattform des Internets, denn die meisten Websites werden über Suchmaschinen erreicht. Android ist das dominante Betriebssystem für Smartphones. App-Entwickler können sich höchstens noch für Apple iOS entscheiden, um möglichst viele Kunden zu erreichen. Der Markt ist weitgehend verteilt, die Eintrittshürden für Wettbewerber mit neuen Betriebssystemen sind extrem hoch.

"Dasselbe erleben wir jetzt beim Thema künstliche Intelligenz", erklärt Arwed Niestroj, der das Daimler-Entwicklungszentrum im Silicon Valley leitet: "Momentan sehen wir erste Geschäftsmodelle wie die natürlichsprachlichen Assistenten Google Home oder Amazon Alexa. Die Nachfrage ist so hoch, dass jetzt auch Facebook und viele andere intelligente Systeme entwickeln." Jeder wolle in dieser Gründerphase ein eigenes Ökosystem aufbauen. "Je Erfolg versprechender eine Plattform erscheint, desto mehr kreative Köpfe zieht sie an." Programmierer, die bisher an Apps oder Computerspielen gearbeitet haben, sollen nun mit überschaubarem Aufwand auch autonome Anwendungen entwerfen.

Große IT-Konzerne wie Alphabet (Google), Microsoft oder Nvidia ebnen mit vorbereiteten Software-Tools den Weg zur künstlichen Intelligenz. "Nvidia bietet nicht nur die Hochleistungs-Chips für neuronale Netzwerke an, sondern auch die Entwicklerumgebung für derartige Programme", so Niestroj, "Google und andere sorgen zudem für günstige und beinahe unbegrenzte Rechenkapazitäten beim Maschinenlernen." Momentan sind die Eintrittsschwellen bei dem komplexen Thema künstliche Intelligenz also niedrig und die Geschäftsaussichten verlockend: Ob Autos oder (fliegende) Roboter - in den Start-up-Communitys wird weltweit mit allen möglichen Anwendungen experimentiert. Auch Häuser und ganze Städte sollen sich demnächst intelligent selbst steuern.

Zwischen all diesen Systemen gibt es eine Reihe von Anknüpfpunkten. Es geht also nicht nur um das Auto als dem kompliziertesten mobilen Endgerät, sondern letztlich um das gesamte Internet der Dinge. Die Logik für autonome Anwendungen und natürlichsprachliche Interaktion zwischen Mensch und Maschine lässt sich relativ einfach von einem Produkt auf das nächste übertragen. "Es ist äußerst spannend zu sehen, wie rasend schnell sich dieser Bereich momentan entwickelt", sagt Arwed Niestroj. Auf der nächsten CES Anfang 2018 werden die ersten wirklich intelligenten Produkte stehen, im nächsten Jahrzehnt sollen sie zum Standard werden.

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