Autonome Traktoren:Bauer denkt, Traktor lenkt

Autonomer Traktor Case IH

Die Studie eines autonomen Traktors von Case IH feiert nächste Woche auf der Landwirtschaftsmesse SIMA in Paris Europapremiere.

(Foto: Case IH)

Der Landwirt sitzt vor dem Büro-Computer, während sein autonomer Traktor das Feld bestellt: Was nach Science-Fiction klingt, könnte schon 2020 Realität werden.

Von Joachim Becker

Vom Acker auf die Piste: Die Früchte der modernen Landwirtschaft kann man auch in 2000 Meter Höhe ernten. Wo sich Pistenraupen ihren Weg bahnen, sind nicht selten automatische Lenksysteme im Einsatz. Entwickelt wurde die zentimetergenaue Spurführung für Mähdrescher. Die extrem teuren und schweren Landmaschinen sollen optimal übers Feld navigieren. 1996 konnten Bauern erstmals in voller Fahrt (8 km/h) die Hände vom Steuerknüppel nehmen. Vom autonomen Fahren auf der Straße war damals noch nicht wirklich die Rede.

Heute profitieren Skifahrer weltweit von der digitalen Revolution in der Bodenbearbeitung. Denn Schnee ist (wie Nahrungsmittel) in vielen Gegenden ein knappes Gut. Ähnlich wie Mutterboden muss das weiße Gold mit äußerster Sorgfalt gehegt und gepflegt werden. Also fährt die Pistenraupe schon im Sommer Slalom über die Almen. Mit einer hochpräzisen GPS-Ortung können Höhenprofile gespeichert werden. Im Winter kramt das System die 3-D-Karte mit allen Hügeln und Senken wieder hervor. Im Vorüberfahren misst die Raupe dann ständig punktgenau, wie viel Schnee auf dem jeweiligen Terrain liegt - und kann die Vorräte entsprechend umsichtig verteilen.

Was die Ski-Saison um wertvolle Tage verlängert, kann auf dem Acker über Wohl und Wehe entscheiden. Die dünne Humusschicht soll möglichst wenig verdichtet werden. Außerdem müssen die Pflanzen immer den gleichen Abstand haben, um möglichst viel Ertrag zu bringen. Längst berechnen Traktoren und Mähdrescher den optimalen Fahrweg bei der Feldbestellung. Gespeichert in der Cloud können Maschinen mit automatischen Lenksystemen die Wege im nächsten Jahr spurgenau nachfahren. Mittlerweile lassen sich selbst die Neigebewegungen der Ackergeräte ultrapräzise elektronisch steuern. Während der Saat müssen vor allem Mais, Rüben oder Kartoffeln in genau der richtigen Bodentiefe abgelegt werden.

Ohne aufwendige und vernetzte Logistikprozesse geht heute gerade auf großen Anbauflächen nichts mehr. Das wird umso wichtiger, desto mehr Gas der ferngesteuerte Fuhrpark gibt: Große Erntemaschinen erreichen heute eine Abscheideleistung von 100 Tonnen reinen Mais pro Stunde. Ein Dreiachs-Anhänger für den Abtransport kann da schon mal 60 Tonnen wiegen. Wer damit kreuz und quer über das Feld fährt, verpresst den Boden fast zur Härte von Beton.

Die Digitalisierung der Branche schreitet voran

Mittlerweile nutzt mehr als jeder Zweite in der Branche digitale Lösungen, um die Fahrwege zu kartieren und die Bodenzusammensetzung punktgenau zu analysieren. Das zeigt eine repräsentative Befragung im Auftrag des Digitalverbands Bitkom und des Deutschen Bauernverbands (DBV). Gefragt wurde nach den drei wichtigsten Vorteilen der digitalen Landwirtschaft. Drei Viertel der 521 befragten Landwirte und Lohnunternehmer wollen dadurch langfristig ihre Kosten senken. 67 Prozent geben an, dass Smart Farming auch die Qualität der landwirtschaftlichen Erzeugnisse verbessere. Jeweils rund ein Drittel der Befragten nennen auch die Zeitersparnis, die höhere Produktionseffizienz, die körperliche Entlastung und die geringere Umweltbelastung (31 Prozent) als wichtige Vorteile der Digitalisierung.

Auf dem Stürzerhof in der Nähe von Starnberg funktioniert die datenbasierte Präzisions-Landwirtschaft schon seit 1997. Damals begann Max Stürzer junior (Jahrgang 1965) mit der Ertragskartierung per Mähdrescher. Dabei misst die Maschine kontinuierlich die Erntemenge und hält sie mit den dazugehörigen GPS-Koordinaten fest. Die so erstellten Karten zeigen Ertragsschwankungen von bis zu hundert Prozent auf einem Acker.

Für das menschliche Auge unsichtbar, bestehen Felder aus vielen relativ unterschiedlichen Zonen. "60 Dezitonnen pro Hektar Weizen sind auf einem sehr schlechten Boden akzeptabel, auf einem guten Boden dagegen absolut unbefriedigend", so Max Stürzer. Vor gut 100 Jahren lag der Hektarertrag für Weizen noch bei 18,5 Dezitonnen, heute liegt der Durchschnitt bei 76,6 Dezitonnen - mehr als viermal so hoch. Auch die Menschheit hat sich im 20. Jahrhundert nahezu vervierfacht.

Noch bleiben die globalen Hungersnöte aus

Ohne Hightech ist der Wettlauf gegen den Hunger nicht zu gewinnen. Der britische Nationalökonom Thomas Malthus hatte die Bevölkerungsexplosion bereits zu Beginn der industriellen Revolution vorhergesagt. Kurz nach dem Erscheinen seines "Essay on the Principle of Population" erreichte die Weltbevölkerung im Jahr 1804 die erste Milliarde. Heute leben rund 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde. Doch die globalen Hungersnöte, die Malthus düster prophezeit hatte, sind ausgeblieben. Noch.

Bis 2050 wird die Weltbevölkerung auf mehr als neun Milliarden Menschen steigen. Die traditionelle Landwirtschaft kann den wachsenden Bedarf allein nicht bewältigen. Zumal die verfügbare Acker- und Weidefläche durch Erosion und Versalzung auf 50 Millionen Quadratkilometer leicht zurückgehen soll. Immer mehr Nahrungsmittel müssen also mit immer weniger natürlichen Ressourcen hergestellt werden. Allein bis 2030, so die aktuelle Prognose der Vereinten Nationen, müsste die Lebensmittelproduktion weltweit um 50 Prozent zulegen. Vor allem, um die Nachfrage nach proteinreicher Nahrung zu befriedigen: Mit zunehmendem Wohlstand wächst der Hunger nach Fisch und Fleisch. Bis zum Jahr 2050 müssen die Getreideernten von 1,8 Milliarden Tonnen nach Schätzungen der Vereinten Nationen auf drei Milliarden Tonnen gesteigert werden. Auch die Fleischproduktion soll von 300 auf 470 Millionen Tonnen zulegen.

Kleinbauern verschwinden, Großbetriebe expandieren

Dafür werden immer größere Mengen an Futtergetreide benötigt. Begünstigt wird die industrielle Nahrungsmittelproduktion auch durch den Preiskampf der Discounter. Viele Menschen bevorzugen zwar Landschaften mit kleinbäuerlichen Parzellen. Das ist hübsch anzuschauen und steigert den Freizeitwert. Weil die Masse trotzdem beim Discounter kauft, sinken die Preise für Grundnahrungsmittel seit Jahren. "Die deutsche Landwirtschaftsbranche steht schon seit Jahren durch sinkende Verkaufspreise und wachsende internationale Konkurrenz unter extremem Druck. Die Digitalisierung kann hier an vielen Stellen für Entspannung sorgen", sagt Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Digitalverbands Bitkom.

Die Digitalisierung lohnt sich aber erst bei einer bestimmten Größe. Immer mehr Kleinbauern rutschen daher unter die Gewinnschwelle und geben auf. Die Zahl der Betriebe mit mehr als 100 Hektar steigt in Deutschland dagegen an. Mehr als 50 Prozent der hiesigen Ackerfläche wird von Großbauern bewirtschaftet - die im globalen Vergleich klein sind. In den USA, Osteuropa oder Australien sind rentable Betriebe in der Regel über 500 Hektar groß.

Bessere "Work-Life-Balance" für den Bauern

Moderne Feldarbeit hat durchaus Ähnlichkeiten mit Fabrikarbeit. Kein Wunder, dass kaum noch jemand den Job auf dem Traktor machen will. Der Nachwuchsmangel verstärkt den Trend zur Rationalisierung: Mit modernsten Maschinen können immer weniger (Land-)Arbeiter immer mehr Produkte herstellen. Um 1900 versorgte ein Landwirt knapp vier Personen, 1950 waren es schon zehn Menschen, heute sind es sogar 130. Fortschreiben lassen sich solche Effizienzgewinne durch eine weitere Aufrüstung mit Spezialmaschinen. Auf der SIMA, der internationalen Fachmesse für Landmaschinen in Paris, wird nächste Woche zum ersten Mal ein autonomer Traktor in Europa zu sehen sein. Die Botschaft: Monotone Arbeitstage auf dem Acker könnten zunehmend der Vergangenheit angehören. Während unbemannte Maschinen rund um die Uhr arbeiten, soll der Bauer zu einer "besseren Work-Life-Balance finden", verspricht der Hersteller Case IH aus dem Fiat-Konzern.

Der Bauer sitzt also künftig vor dem Büro-Computer, während seine autonomen Geräte hacken, düngen, jäten und ernten. Dank ultrapräziser Spurführung, GPS-Ortung und Kamerasystemen weiß der Maschinist, wo sich sein Traktor gerade befindet und was er tut. Kommt ein Hindernis in Sicht, stoppt die Maschine dank Radar- und Lidar-Technik zuverlässig. Der Manager wird per Handy-App alarmiert und kann anhand der Kamera-Feeds entscheiden, ob der Traktor warten muss oder weiterfahren darf. "Natürlich profitieren wir dabei von den Entwicklungen in der Automobilindustrie", sagt Antonio Marzia, der die Datenanalytik und Services bei Case IH leitet. "Entscheidend für den Erfolg ist aber das Zusammenspiel mit den hoch spezialisierten Anbaugeräten. Hier ist noch viel Entwicklungsarbeit nötig, um autonome Maschinen so gut wie einen erfahrenen Landwirt zu machen."

Nach Pilotprojekten sollen autonome Traktoren 2020 in Serie gehen - und ein zentrales Problem lösen helfen: "Das Zeitfenster für den optimalen Aussaat- und Erntezeitpunkt ist sehr schmal. Einige Tage mit heftigem Regen können den Ertrag empfindlich schmälern. Deshalb ist das Interesse an Landmaschinen, die rund um die Uhr arbeiten können tatsächlich groß", erklärt Ulrich Sommer, der bei Case IH für Precision Farming zuständig ist. Was nach Science-Fiction klingt, könnte schon bald Realität werden: der Acker, der sich mit autonomen Maschinen selbst bestellt.

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